Georg Bergner

Volk Gottes


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Priestertums. Die in der Liturgie zusammenkommende Kirche verbindet sich zu einer Priesterschaft, einem Gottesvolk.235 Die Liturgie ist „heiliger Dienst im Interesse des Gottesvolkes“236, der Ort, „wo die Kirche als Volk Gottes betend vor Gott hintritt“237. Ähnlich wie bei Koster ist der „Leib Christi“-Begriff durch die „Volk Gottes“-Notion als liturgisch verwendetem Ausdruck für die gottesdienstliche Versammlung ergänzt worden. Die Teilhabe („participatio“) des Volkes (der eucharistischen Versammlung) am Mysterium Christi bildet die Kirche als „Leib Christi“ aus.

      Sieht man die drei beispielhaft beschriebenen Entwicklungen in der Ekklesiologie, der Laientheologie und der Liturgie zusammen, wird deutlich: Alle drei Bewegungen bedingen einander und sind Teil eines gemeinsamen Prozesses des Nachdenkens über Wesen und Sendung der Kirche. Am Vorabend des Zweiten Vatikanums gibt es offenbar unter den theologisch aufgeschlossenen Vertretern West- und Mitteleuropas ein gemeinsam geteiltes ekklesiologisches Grundverständnis. Dieses Grundverständnis einer Kirche als „Leib Christi“ kreist um die Schlüsselbegriffe „Innerlichkeit“, „Mysterium“, „Gemeinschaft“, „Eucharistie“ und „Apostolat“. Aus diesem Bild heraus ergibt sich u.a. die Frage nach der spezifischen Rolle der Laien in einer „gemeinschaftsorientierten“ Kirche. Gerade die für den liturgischen Bereich bereits etablierte Rede von der „participatio actuosa“ wird zum Schlüssel für ein sich zum Zweiten Vatikanum hin veränderndes Kirchenbild.

      Es ist wahrscheinlich der Kernbegriff der „participatio“, der den Weg für das veränderte Kirchenbild des Zweiten Vatikanums öffnet. Der Blick auf das Mechelener Ereignis hat die Verbindung von Apostolat und Liturgie deutlich gemacht. In dem Augenblick, in dem die Laien als aktiv Mitwirkende in die Pastoral und Mission der Kirche eingebunden sind, muss die Form ihrer Beteiligung, wie auch ihre Position und Rolle näher spezifiziert werden. Die „actuosa participatio“ am christlichen Apostolat bedarf zudem der geistlichen Vertiefung. Aus der apostolischpraktischen „participatio“ resultiert der Ruf nach der liturgischen „participatio“.238 Wie Winfried Haunerland schreibt, wird die „participatio actuosa“ zum „Formalprinzip der liturgischen Erneuerung“.239 Die Liturgie wird unter diesem Prinzip zur „gemeinschaftliche[n] Feier, in der alle ihre Aufgaben wahrnehmen und miteinander bezogen bleiben auf Gott und den Herrn der Kirche.“240

      Im Falle der liturgischen „participatio“ ist die Einfügung in die späteren konziliaren Texte aus zwei Gründen recht einfach: Zum einen ist die Frage nach der besseren Einbindung und Teilhabe der Laien am Gottesdienst der Kirche bereits einige Jahrzehnte vor dem Konzil ein wichtiges Thema. Die Liturgische Bewegung wird von vielen Bischöfen gefördert und schließlich auch von Pius XII. in seiner Enzyklika „Mediator Dei“ von 1947 de facto anerkannt.241 Zum zweiten können Vertreter der Bewegung zum Zeitpunkt der Konzilsvorbereitungen bereits auf die lehramtliche Etablierung des Terminus „participatio (actuosa)“ verweisen. Pius X. erwähnt ihn das erste Mal im Jahr 1903 in einem auf Italienisch abgefassten Schreiben über die Kirchenmusik:

      „Es ist uns eine innere Herzensangelegenheit, dass der richtige christliche Geist in allen Gläubigen wieder aufblühe und ohne Einschränkungen erhalten bleibe. Daher müssen wir vor allem für die Heiligkeit und Würde des Gotteshauses sorgen. Denn hier versammeln sich die Gläubigen, um diesen [christlichen] Geist aus der ersten und unentbehrlichen Quelle zu schöpfen, aus der aktiven Teilnahme an den hochheiligen Geheimnissen („misteri“) und dem öffentlichen, feierlichen Gebet der Kirche.“242

      Wie Thomas Neumann verdeutlicht, wendet Pius X. den Begriff der „participatio“ auf das innerliche Geschehen an. Nicht das Singen als aktive Teilnahme an der gottesdienstlichen Gestaltung ist gemeint, sondern eine „innere Identifikation mit dem Mysterium, die durch das Singen ihren Ausdruck findet.“243 Partizipationsobjekt ist das „Mysterium Christi“.244 Nachdem auch Pius XI. in seiner Apostolischen Konstitution zur Liturgie von der „participatio actuosa“ spricht (s.o.), wird der Begriff bei Pius XII. gleich mehrfach erwähnt. Am bedeutendsten ist dabei die Liturgieenzyklika „Mediator Dei“ (MD) von 1947.245 Sie baut auf der 1943 in „Mystici corporis“ grundgelegten Ekklesiologie des Papstes auf.246 MD bestätigt insgesamt die Bemühungen der Liturgischen Bewegung, wenn die Enzyklika an einigen Stellen diesbezüglich auch Kritikpunkte benennt.247 Besonders deutlich ist dies, wenn Pius XII. vor einem falschen Verständnis des gemeinsamen Priestertums warnt, wie es „einige in unseren Tagen“ zum Ausdruck bringen (s. MD II,3). Das Priestertum Christi repräsentiert sich im amtlichen Priestertum (Ebd.). Die in MD häufig erwähnte „participatio“ der Gläubigen (inkl. des Verbes „participare“ finden sich in der Enzyklika rund 40 Belegstellen) zeichnet sich durch zwei Merkmale aus: Sie ist, erstens, als ein inneres Geschehen der Teilhabe an der gnadenhaften Präsenz Gottes, etwa in den Sakramenten zu verstehen (s. z.B. MD, Einleitung). Es geht um eine tätige Teilhabe am Mysterium Christi.248 Sie ist, zweitens, nicht losgelöst von der amtlichen Vollmacht der Priester zu sehen. Deutlich wird dies z.B. wenn Pius XII. die Teilhabe der Gläubigen während der „Opferung“, also der Darbringung der Gaben in der Eucharistiefeier darstellt (vgl. MD II,4)249: MD weist die Ansicht zurück, die Gläubigen würden die „Opferung“ quasi in Konzelebration mit dem Priester vollziehen. Der Priester handelt an dieser Stelle im Namen Christi und nicht im Namen des Volkes. Die „participatio“ der Laien ist nur „nach ihrem Status“ möglich. Als Getaufte sind sie in den „Leib Christi“ eingegliedert, so dass sie über die Person des Priesters am heiligen Geschehen Anteil haben. Dies kommt im eucharistischen Hochgebet dadurch zum Ausdruck, dass es den Priester in der „Wir“-Form sprechen lässt. Das Messopfer soll dem gesamten „Volk“ zugutekommen. Die „participatio“ ist an dieser Stelle indirekt und eher passiv-empfangend. Wie Enrico Mazza bemerkt, entwickelt MD die Idee der „participatio actuosa“ im Grunde nicht weiter.250 Eine gewisse Bewegung ist, so Thomas Neumann, erst 1955 in der Enzyklika „Musicae sacrae disciplina“ zu erkennen, in der das Konzept der „participatio“ auch in einem Punkt, nämlich der Übertragung einiger liturgischer Aufgaben an männliche Laien, auf der äußerlich-institutionellen Seite zum Tragen kommt.251 Insgesamt beschreitet Pius XII. in Fragen der Liturgie einen vorsichtigen Weg der Neuerung und setzt selbst, etwa in der Überarbeitung des „Triduum paschale“, erste von der Liturgischen Bewegung angeregte Reformen um.252

      Der Blick auf die vorkonziliare Situation zeigt die enge Verbindung von Kirchenbild und Liturgie. Das neue „Leib Christi“-Paradigma hat auch für die Liturgie durchgesetzt. Wie für die Ekklesiologie253 wird man auch für sie festhalten können: Im Vordergrund steht die innerliche Dimension der Kirche, ihre im liturgischen Ausdruck erfahrbare gnadenhaft-sakramentale Verbindung mit Christus. Zugleich rückt die Dimension der Gemeinschaftlichkeit des liturgischen Ritus in den Vordergrund. Die Suche nach geeigneten Formen, die Gläubigen von Zuschauern zu Teilhabenden bzw. Partizipierenden in der Liturgie zu machen, stellt auch die Frage des Zueinanders von Laien und Amtsträgern und deren jeweils spezifischem Auftrag neu. Die Eucharistiefeier rückt stärker in das Zentrum allen kirchlichen Tuns. Zugleich stellt sich auch für die Liturgie eine Frage, die sich aufgrund der vorhandenen Defizite der „Leib Christi“-Ekklesiologie ergeben hatte: Wie stehen Außen und Innen zueinander im Verhältnis? Konkret: Wie drückt sich die innerlich erfahrene Christus- und Gemeinschaftsbeziehung des „Corpus Christi“ nach außen hin aus? Ist damit „nur“ das apostolische Engagement in der Welt gemeint, oder bedarf nicht auch der liturgische Ritus selbst des verstärkten Ausdrucks der gemeinschaftlichen Dimension? Wie also steht es mit dialogischen Formen, der Muttersprache, den Laienämtern oder der kommunialen Gestalt liturgischer Räume? Der „mystische Leib Christi“ bedarf der Ergänzung durch ein Bedenken der Rolle und Funktion der konkret anwesenden gottesdienstlichen Versammlung, mit den Worten Jungmanns, des „Volkes Gottes“ (s.o.). Von einem „partizipativen Parallelismus“ in MD254, einem eher passiven Mitvollziehen der vornehmlich priesterlich-amtlich vollzogenen Liturgie bis zu einer aktiven Partizipation, die sich auch im Ritus selbst ausdrückt, ist es noch ein längerer Weg.

      Die „participatio“ gehört zu den konstitutiven Bestandteilen „Leib Christi“-Ekklesiologie. Ferdinando Antonielli, der als Mitglied der vorbereitenden Kommission das Liturgieschema im Auftrag von Kardinal Larraona am 22. Oktober