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Wie lernt Kirche Partizipation


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Entwicklung des gesellschaftlichen Umfeldes hat in den letzten Jahrzehnten eine neue Qualität erreicht: Zusammenhänge werden immer komplexer, das Veränderungstempo steigt, Entwicklungen lassen sich kaum verlässlich kalkulieren, Turbulenzen prägen den Alltag, Veränderung ist der Normalzustand. Im Anschluss an Peter F. Drucker13 sieht Dirk Baecker darin die Anzeichen eines epochalen Umbruchs: Wir stehen am Ende der modernen Gesellschaft, an der Schwelle zur „nächsten Gesellschaft“14. Die Kirche hinkt der Entwicklung um Jahrzehnte hinterher: Obgleich die Dysfunktionalität aufgrund mangelnder Umweltreferenz dramatisch voranschreitet, blieben die Reformen der zurückliegenden Jahrzehnte stets kulturimmanent.15 Es ging primär um Systemerhaltung und Effizienzsteigerung, also darum, das Hamsterrad der althergebrachten Produktion mit schwindenden Ressourcen nach Möglichkeit noch schneller zu drehen:

      – Der Blick war auf das Stammpublikum gerichtet.

      – Die Pastoral blieb an vorgegebenen Aufgaben und Standardprodukten orientiert.

      – Die Akteure folgten dem klassischen Rollenbild des Pastors/ Seelsorgers.

      – Der fortschreitenden Ressourcenmangel sollte strukturell durch immer weitergehende Konzentration, Verdichtung und Zentralisierung kompensiert werden.

      Damit folgt das zugrundeliegende Reformparadigma bis heute im Kern dem Modernisierungsschema des vergangenen Jahrhunderts. Getragen von der Vorstellung, den volkskirchlichen Status Quo erhalten oder wieder herstellen zu können, bindet sich Kirche in ihren Reformen an das Modell einer sterbenden Gesellschaft.16

      3.2 GRUNDZÜGE EINES REFORMPARADIGMAS 2.0

      Angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche wird ein Reformparadigma gebraucht, das den Suchraum auf die nächste Gesellschaft hin öffnet und die hierfür relevanten Umwelten inkludiert.

      (1) BASISPRÄMISSEN – DIE KOORDINATEN AUF INNOVATION AUSRICHTEN

      Wenn akzeptiert ist, dass die Volkskirche vorbei ist und die moderne Gesellschaft stirbt, sind zentrale Prämissen obsolet, die Reformen bisher bestimmt haben:

      – Vom Produktions- zum Lernmodus: Reformen dienen nicht der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung einer ehemals erfolgreichen Produktion, sondern allein dazu, Rahmenbedingungen für ein Maximum an Entwicklung und Innovation zu schaffen. Lernen geht vor Produktivität!

      – Vom Generalisierungs- zum Differenzierungsmodus: Waren Reformen bisher auf Einheitlichkeit programmiert, setzt zukünftige Kirchenentwicklung auf Deregulierung und Unterschiede. Vielfalt geht vor Standardisierung!

      – Vom Deduktion- zum Induktionsmodus: Wurde Kirchenentwicklung bis dato plandeterministisch als linearer Prozess verstanden, bei dem sich die Zukunft aus dem Bisherigen deduktiv ableiten und dann linear herstellen lässt, geht ein Reformparadigma 2.0 von dynamischen Zukunftsbildern, experimentellen Vorgehensweisen, zirkulären Prozessen und sprunghaften Verläufen aus. Experimentieren geht vor Tradition!

      – Vom Exklusions- zum Inklusionsmodus: Wurden Grenzziehungen in der Vergangenheit stets vorgängig vollzogen, ist dies in einem missionarischen Paradigma (also wie in der Zeit des frühen Christentums) nur als Traditionsbildung im Nachgang möglich. Inklusion geht vor Exklusion!

      (2) SUCHBEWEGUNG – DIE RELEVANTEN KONTEXTE EINBEZIEHEN

      Ein kirchlicher Würdenträger hat die Reformansätze in seinem Bistum einmal so zusammengefasst: „Wir denken Kirche von der Tradition (der Vergangenheit), von innen (der Binnenperspektive) und von oben (der Hierarchie) her.“ Er hat damit die relevanten Kontexte im Exklusionsmodus beschrieben. Im Inklusionsmodus gehen Reformen anders:

      – Die Getauften sind in Entscheidungsprozesse einzubeziehen: Partizipation ist nicht bloß Beiwerk (nice-to-have), sondern Konstitutivum (must-have) und umso wichtiger, je stärker sich die aktuelle Krise zu einer Stakeholderkrise entwickelt.

      – Die Adressaten sind aktiv ins Spiel zu bringen: Es geht nicht in erster Linie um die Erneuerung der Binnenorganisation, sondern um Anschlussfähigkeit jenseits der Kirchenmauern. Die Adressaten entscheiden über die Relevanz von Kirche.

      – Kirche ist von der Zukunft her zu denken: Je schneller sich die Umwelten verändern, desto weniger kann das Zukünftige vom Bisherigen abgeleitet werden. Die Annahmen der Stakeholder über die Zukunft werden gebraucht, um valide Entscheidungen treffen zu können.

      Veränderte Prämissen und erweiterte Suchbewegung werden zukünftige Prozesse der Kirchenentwicklung grundlegend verändern.17

      4. PARTIZIPATION – BAUSTEIN VON KIRCHE AN DER SCHWELLE ZUR NÄCHSTEN GESELLSCHAFT

      Wie die Kirche in Zukunft aussehen wird, wissen wir nicht, in welche Richtung es gehen kann, schon. Partizipation zieht sich dabei wie ein roter Faden durch alle Facetten des Zukunftsbildes. Darin sind sich Verantwortliche, Praktiker und Experten einig.18 Zwei zentrale Aspekte sollen skizziert werden.

      4.1 SCHLANKE UND FLUIDE SOZIALGESTALT

      Um sich in dynamischen Kontexten nachhaltig bewegen zu können, braucht die Kirche eine Organisationsform, die maximale Flexibilität und Entwicklung ermöglicht. Das heißt:

       Entkopplung von Pastoral und Verwaltung

      Die aktuelle Sozialgestalt ist gekennzeichnet durch eine hohe vertikal-organisatorische und eine geringe horizontal-pastorale Komplexität. Vergleichsweise kleine (Einheits-)Pfarreien mit einer komplexen Verwaltungsstruktur über viele Ebenen hinweg und eine dem Einheitsprinzip verpflichtete „Pastoral der Zusammenführung“ in großen pastoralen Einheiten prägen die Landschaft. Gebraucht wir das Gegenteil: Eine minimale Verwaltung in großen Organisationsräumen, mit flacher Hierarchie und radikal vereinfachten Prozessen. Und eine maximal differenzierte Pastoral in einem bunten Nebeneinander lokaler Kirchenkulturen, die in Eigenregie verantwortet werden.

      Die Kirche vor Ort ist dezentral und kategorial organisiert, ein (operatives) Netzwerk multipler pastoraler/kirchlicher Orte, an denen Kirche-Sein selbstverantwortlich auf je spezifische Weise gelebt wird. Die pastoralen/kirchlichen Orte („Gemeinden“) können sich um Kirchtürme, geistliche Gemeinschaften, carita- tive Einrichtungen, Personen, Themen oder Ideen bilden. Sie sind weitestgehend autonom, wissen umeinander und können flexibel, prozess- und projektbezogen miteinander kooperieren.

      Profilierte kirchliche Zentren bündeln die pastorale Arbeit inhaltlich, organisatorisch und personell. Sie richten Akteure und Aktivitäten auf das Ganze und die Einheit aus, schärfen exemplarisch das Profil von Kirche und sichern eine knapp bemessene „Grundversorgung“. Von hier aus werden Touchpoints organisiert, an denen Menschen Kirche neu erfahren und Gemeinden bilden können. Große Organisationsräume (kirchenrechtlich „Pfarreien“) geben die Möglichkeit, die Verwaltung auf ein Minimum zu reduzieren, die personellen Spielräume zu erhöhen und fachliche Differenzierung zu ermöglichen. Wichtig: Der Organisationsraum an sich hat keinerlei theologische oder pastorale Bedeutung! Eine derart „fluide“ Sozialgestalt eröffnet personelle Spielräume und lädt zum Experimentieren ein. Sie erhöht die Wahrscheinlichkeit innovativer Lösungen und neuer Anschlussmöglichkeiten. Die Frage ist, wie die auch in einem solchen System notwendige Steuerung und Systemabgrenzung (die Definition von innen und außen) funktionieren kann.

       Strukturell geteilte Leitung

      Die Leitung eines netzwerkartig konfigurierten pastoralen Organisationsraums ist hoch komplex und mit der klassischen Pfarrleitung nicht zu vergleichen. Sie kann verantwortlich nur in Form einer strukturell geteilten Leitung gedacht werden. Das bestehende Kirchenrecht ist kein Hindernis, wenn Zuständigkeiten, Aufgaben und Befugnisse klar umrissen, transparent beschrieben, verbindlich vereinbart, offen kommuniziert und regelmäßig überprüft werden. Feudal-monarchisches Führungshandeln ist in einem solchen Konstrukt strukturell ausgeschlossen und k.o.-Kriterium für die Besetzung von Leitungspositionen.

      Es liegt nahe, LG 4 folgend, eine Leitungsstruktur zu wählen, in der das „exekutive“ Leitungshandeln der „legislativen“ Validierung und Kontrolle unterliegt. Das bisherige synodale System ist viel zu schwach und