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Wie lernt Kirche Partizipation


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WELZER, Harald: Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand, Frankfurt/M. 2013, S. 12f. Ich danke Hildegard Wustmans für den Hinweis auf dieses Buch und das Zitat.

      25 Evangelii Gaudium, Nr. 222-224.

      26 Ebd. Nr. 231-233.

      27 Vgl. BUCHER, Rainer: Communio. Zur Kritik einer pastoralen Projektionsformel, in: Ulrich FEESER-LICHTERFELD/Reinhard FEITER (Hg.): Dem Glauben Gestalt geben [FS für Walter Fürst], Münster 2006, S. 121-134.

      28 Siehe etwa FUCHS, Ottmar: Suche nach authentischen Erfahrungen. Volksbegehren zwischen völkischer Ideologie und volksbezogener Authentizität, in: „Wir sind Kirche“. Das Kirchenvolksbegehren in der Diskussion, Freiburg/Br. u. a. 1995, S. 101-110; BUCHER, Rainer: Hitlers Theologie, Würzburg 2008.

      29 VATTIMO, Gianni: Glauben – Philosophieren, Stuttgart 2007, S. 54.

      30 Vgl. die vielfältigen Analysen in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 55 (2014), Themenheft „Menschenrechte in der katholischen Kirche“.

      31 Vgl. BUDE, Heinz: Die Gesellschaft der Angst, Hamburg 2014.

      32 Vgl. BUCHER, Rainer: Wenn man nicht mehr wirklich gebraucht wird. Die Kirche(n) in Zeiten des hegemonialen Kapitalismus, in: Ulrike BECHMANN/Rainer BUCHER/Rainer KROCKAUER/Johann POCK (Hg.): Abfall, Münster 2015, S. 31-47.

      33 SPADARO, Antonio: Das Interview mit Papst Franziskus, Freiburg/Br. u. a. 2013, S. 49.

       Valentin Dessoy

       Partizipation und Leitung in der Kirche

      Der vorliegende Beitrag nähert sich dem Thema aus sozialwissenschaftlicher Sicht: Gefragt wird, wie Partizipation und Leitung bzw. Führung in der Kirche zusammenhängen, wie sie gestaltet werden können, um Zukunft unter den sich abzeichnenden Umweltbedingungen offen zu halten, und was getan werden kann, um die darin liegenden Chancen zu ergreifen. Es geht nicht normativ um Wahrheit, sondern pragmatisch um Wirkung, also um Relevanz.

      1. ZUM VERSTÄNDNIS VON PARTIZIPATION

      Partizipation kommt von lat. participio „teilnehmen lassen, etwas mit jemandem teilen, an etwas teilhaben“. Partizipation ist ein interaktiver Vorgang: Teil geben und Teil nehmen gehören zusammen. Im modernen Sprachgebrauch steht der Begriff für Beteiligung, Teilhabe, Mitsprache, Mitwirkung oder Mitbestimmung und ist eng mit der Idee von Emanzipation verknüpft. Im Kern wird der Begriff verwendet, um die Einbeziehung von Individuen und Gruppen in Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu beschreiben.

      Historisch reicht der Gedanke der Partizipation bis in die Zeit des Übergangs vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit zurück. Die Erfindung des modernen Buchdrucks durch Johannes Gutenberg ermöglichte die massenhafte Verbreitung von Schriften und eröffnete auf breiter Basis den Zugang zu Wissen und Information. Die veränderten Möglichkeiten der Kommunikation wurden zur Triebfeder für die Bildungsbewegung in der Renaissance und das Zeitalter der Aufklärung. In der humanistischen Tradition zielt Bildung auf Teilhabe („gleiche Bildung für alle“) und hat grundsätzlich emanzipatorischen Charakter (Ideal ist das „autonome Individuum“). Ausgelöst durch die sozialen Bewegungen und Umbrüche in den 1960er und 1970er Jahren wurden Emanzipation und Partizipation zu normativen Leitbegriffen im gesellschaftlichen Diskurs. Straßburger und Rieger1 beschreiben im Anschluss an Sherry R. Arnstein2 sechs Stufen der Partizipation auf dem Weg zu zivilgesellschaftlicher Eigenaktivität:

      (1) Informieren

      (2) Meinung erfragen

      (3) Lebensweltexpertise einholen

      (4) Mitbestimmung zulassen

      (5) Entscheidungskompetenz teilweise abgeben

      (6) Entscheidungsmacht übertragen.

      Arnstein definiert Partizipation normativ als Teilhabe an Entscheidungsmacht (Citizen Power). In diesem Sinne unterscheiden Straßburger und Rieger „Vorstufen“ (Stufen 1-3) von Formen „echter“ Partizipation (Stufen 4-6). Hier haben Menschen „eine rechtlich, formal oder konzeptionell abgesicherte und damit verbindliche Rolle im Entscheidungsprozess“3.

      In der psychologischen Forschung ist Partizipation kein explizites Thema. Dennoch gibt es interessante Hinweise auf psychologische Faktoren, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Menschen haben ein starkes Bedürfnis, ihre Umgebung aktiv mitzugestalten. Sie sind bestrebt, Zustände und Ereignisse in sich selbst und ihrer Umwelt kontrollieren zu können. Frey und Jonas4 sprechen in diesem Zusammenhang von „Kontrollmotivation“ Sie wird erlebt, wenn Dinge beeinflussbar (behavior control) oder vorhersagbar sind (information control), wenn damit verknüpfte negative Reize durch eine kognitive Strategie (Ablenkung, Sinnverleihung usw.) reduziert (cognitive control) bzw. einer Ursache zugeordnet werden können (retrospective control). Die wahrgenommene Einschränkung von Freiheitsgraden und Handlungsmöglichkeiten, also Kontrollverlust, wird dagegen als Beeinträchtigung (Stress) erlebt und führt im Sinne der Reaktanztheorie5 zu Widerstand und damit zu Stress im System oder aber – bei anhaltender Erfahrung von Kontrollverlust – nach Seligman zu „gelernter Hilflosigkeit“, zu ohnmächtiger Abhängigkeit, zu Resignation, innerer Kündigung und Burnout.6

      Im systemischen Diskurs ist Partizipation kein normativer, sondern ein beschreibender bzw. erklärender Begriff. Für Luhmann ist er gleichbedeutend mit Inklusion. Systeme entstehen durch Kommunikation, indem sich die Beteiligten wechselseitig beobachtend und aktiv selektierend auf bestimmte (relevante) Aspekte des Kontextes beziehen und diesen einen Sinn zuschreiben.7 Eine Information ist dann relevant, wenn sich der Kommunikationspartner darauf beziehen kann, wenn die Information in der Fülle der Umweltsignale wahrgenommen, mit Sinn versehen und zur Grundlage einer Anschlusskommunikation gemacht werden kann. Inklusion bezeichnet dann den Vorgang, dass Individuen (bzw. ihr Verhalten) systemrelevant werden.8 Partizipation schafft – systemisch betrachtet – die Rahmenbedingungen, damit Inklusion hergestellt werden kann. Das kann in unterschiedlicher Form geschehen, sei es, dass Personen(-gruppen) als Träger von Entscheidungen konstruiert (als die relevante systeminterne Umwelt in Entscheidungsprozesse inkludiert), als TeilnehmerInnen konsultiert (als eine relevante systeminterne Umwelt in Subsystemen ohne Entscheidungskompetenz inkludiert) oder bloß informiert (als interne Umwelt ohne Relevanz konnotiert) werden.

      Die Notwendigkeit von Partizipation in Prozessen der Veränderung ergibt sich daraus, dass Systeme nicht linear von außen verändert werden können. Sie sind mit ihren inneren und äußeren Umwelten gekoppelt und nur in dieser Kopplung überlebensfähig. Daher ist die Partizipation aller Stakeholder (=Interessensträger: Führungskräfte, MitarbeiterInnen, Adressaten, Mitglieder, Adressaten, usw.) ein Kernprinzip systemischer Organisationsentwicklung. Sie ist als Vorgang und Methode zwingend erforderlich, um Entscheidungen bottom-up und von außen her zu validieren, innere und äußere Kopplung herzustellen. Dies ist umso dringlicher, je stärker die Organisation auf Personen (deren Wissen, Überzeugung, Erfahrung, Kompetenzen usw.) setzt und je volatiler sich interne und externe Umwelten zeigen. Systeme brauchen allerdings, um Konvergenz herstellen und Entscheidungen fällen zu können, ein Minimum an vertikaler Struktur und damit Machtasymmetrie. Gerade dann, wenn starke Veränderungen notwendig sind, um Umweltreferenz herzustellen, und massive Turbulenzen zu erwarten sind, wird Führung auch im Gegenüber gebraucht. Die Bandbreite selektiver Partizipation zwischen Fremd- und Selbstbestimmung ist riesig. Auf die Relation kommt es an. Führung muss mindestens den Prozess der Partizipation moderieren und Entscheidungen umsetzen können. Aus systemischer Perspektive ist entscheidend, dass Macht nach transparenten Regeln erfolgt, diese einem rationalen Diskurs zugänglich und seitens der Stakeholder veränderbar (kontrollierbar) sind. Daher ist in Entwicklungsprozessen in besonderer Weise darauf zu achten, dass Semantik, Prozessarchitektur und Praxis kohärent sind:

      – Geht es um (1) (Mit-)Entscheidung, (2) Konsultation (Mitwirkung, Anhörung) oder (3) Information?

      – Sind die „Beteiligten“ (bzw. ihre Repräsentanzen) in (1) und (2) hinreichend vertreten, sodass ihre Stimme angemessenes Gewicht