Christiane Brendel

Martin Luther und Ignatius von Loyola


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in einer kleinen Kapelle auf dem MontmartreHügel. Sie gelobten Armut, Keuschheit und Gehorsam und wollten miteinander nach Jerusalem fahren. Falls das nicht möglich sein sollte, wollten sie sich in Rom dem Papst zur Verfügung stellen, in der Überzeugung, dass dieser am besten wisse, wo er sie brauchen könne.

      Nachdem die Reise ins Heilige Land nicht möglich war, gingen 1538 alle Gefährten nach Rom. Noch vor der Stadt hatte Ignatius eine Vision, die ihm seine Pläne bestätigte: Er weiß sich dem kreuztragenden Jesus zugesellt. Juan de Polanco, der langjährige Sekretär des Ignatius, berichtet, dass der Name »Gesellschaft Jesu« von den ersten Gefährten schon angenommen wurde, bevor sie nach Rom kamen, weil sie untereinander kein Haupt hatten und keinen anderen Oberen als Jesus Christus, dem allein sie zu dienen wünschten.12

      Am 27. September 1540 bestätigte der Papst einen Vorentwurf der Satzungen, den die ersten Gefährten erarbeitet hatten – das Gründungsdatum des Jesuitenordens.

      Von Rom aus leitete Ignatius 16 Jahre seinen Orden. Er wuchs zu seinen Lebzeiten auf 1000 Jesuiten an, die in 12 Ordensprovinzen auf vier Kontinenten wirkten.

      In den ersten Monaten des Jahres 1556 ging es Ignatius gesundheitlich zunehmend schlechter. Am Morgen des 31. Juli 1556 starb er allein im Alter von 65 Jahren. Der Krankenpfleger im Nebenzimmer hörte immer wieder: Ay Dios! Ay Dios! Ach Gott. Ach Gott! Sein Sekretär Polanco schreibt, Ignatius habe den Tod nicht gefürchtet, ihn vielmehr herbeigesehnt, »um in der himmlischen Heimat seinen Schöpfer und Herrn zu schauen und zu preisen«13.

       Beten und Meditieren

      Zwei Männer des Gebets

      Martin Luther wie auch Ignatius von Loyola verstehen Beten als eine Lebenshaltung: eine liebende Aufmerksamkeit für Gott im Alltag.

      Im Laufe seines Lebens wuchs Ignatius zu einer immer größeren Vertrautheit mit Gott. Am Ende seiner Autobiografie, dem »Pilgerbericht«, sagt er von sich: So wachse er immer in der Andacht, das heißt, in der Leichtigkeit, Gott zu finden, und jetzt mehr als in seinem ganzen Leben. Und jedesmal und zu jeder Stunde, daß er Gott finden wolle, finde er ihn.1

      Es ging dem reifen Ignatius um eine ständige innere Verbindung zu Gott: Gott in allem suchen und finden. Auch während seiner Arbeit versuchte er eine kontemplative Grundhaltung zu leben, denn: Gott bedient sich des Menschen nicht nur, wenn er betet. Denn wenn es so wäre, dann wären die Gebete zu kurz, wenn sie weniger als vierundzwanzig Stunden am Tag dauerten.2

      Gleich nach dem Erwachen begann Ignatius mit dem Gebet, zuweilen noch vor dem Aufstehen. Die Feier der Messe war für ihn besonders in den letzten Jahren der Mittelpunkt seines Gebetes. Sein Tag war bestimmt von Besprechungen mit seinen Mitarbeitern, er empfing Besuche und schrieb Briefe, die zwölf dicke Bände umfassen. Mehrmals am Tag hielt er eine betende Reflexion.

      Ein Junge hat Ignatius beim nächtlichen Gebet belauscht, wie er oft Stunden kniend betete. Manchmal hörte er ihn das Gebet flüstern: O mein Gott, wie bist du so unendlich gut, denn du erträgst einen Menschen, der so schlecht und verderbt ist wie ich.3

      Martin Luther war in seinem Gebetsleben bleibend vom Kloster geprägt. Je mehr er zu tun hatte, desto mehr Zeit nahm er sich zum Beten. Die Fülle von Gebeten und geistlichen Besinnungen, die uns erhalten sind, zeigen, wie stark er neben dem Übermaß an Arbeit aus dem Gebet gelebt hat:

      Wo ein Christ ist, da ist eigentlich der heilige Geist, der da nichts anderes tut, als daß er immerdar betet. Denn ob er gleich nicht immerdar den Mund regt oder Worte macht, dennoch geht und schlägt das Herz … ohn’ Unterlass mit solchem Seufzen: Ach, lieber Vater, daß doch dein Name geheiligt werde, dein Reich komme, dein Wille geschehe bei uns und jedermann etcUnd je härter die Stöße oder Anfechtung und Not drücken und treiben, geht solch’ Seufzen und Bitten desto stärker auch mündlich, daß man keinen Christen finden kann ohne Beten, so wenig wie einen lebendigen Menschen ohne den Puls, der nimmer still steht, regt und schlägt immerdar vor sich, obgleich der Mensch schläft oder etwas anderes tut, so daß er sein nicht gewahr wird.4 Wie ein Schuster einen Schuh machet und ein Schneider einen Rock, also soll ein Christ beten. Eines Christen Handwerk ist beten.5

      Ein Freund hat Martin Luther beim Beten erlebt und schrieb in einem Brief:

      »Ich kann mich nicht genugsam wundern über seine treffliche Beständigkeit, Freude, Glaube und Hoffnung in diesen jämmerlichen Zeiten. Aber er nährt sie auch beständig, indem er Gottes Wort mit Fleiß treibet. Es geht kein Tag vorüber, an welchem er nicht aufs wenigste drei Stunden, so zum Studium am allerbequemsten sind, zum Gebet nimmt. Es hat mir einmal geglückt, daß ich ihn beten hörte. Hilf Gott, welch ein Geist, welch ein Glaube ist in seinen Worten. Er betet so andächtig wie einer, der mit Gott mit solcher Hoffnung und Glauben wie mit einem Vater redet …«6

      Beten lernen

      Ignatius von Loyola hat in seinem Exerzitienbuch seine eigenen Erfahrungen mit dem Beten aufgeschrieben und eine Fülle von Anregungen zum Üben des Betens zusammengetragen. Durch Jahrhunderte hindurch hat er so vielen Menschen bei ihrer Suche nach einem erfüllten geistlichen Leben geholfen. Exerzitien – ein begleiteter Freiraum in Stille – sind für ihn eine Hilfe, das eigene Leben zu ordnen und es in der Begegnung mit Jesus Christus gestalten zu lassen. Er schreibt in einem Brief, die Exerzitien seien doch das Allerbestewas ich in diesem Leben denken, verspüren und verstehen kann, sowohl dafür, dass sich der Mensch selber nützen kann, wie dafür, Frucht bringen und vielen anderen helfen und nützen zu können.1

       Beten üben

      Am Anfang des Exerzitienbuches notiert er 20 »Anmerkungen« als Hilfen für den geistlichen Weg. Die erste lautet:

      Unter dem Namen geistliche Übungen versteht man jede Art, das Gewissen zu erforschen, sich zu besinnen, betrachten, mündlich und rein geistig zu beten und andere geistliche Tätigkeiten, wie später noch erklärt wird. Denn so wie Spazierengehen, Marschieren und Laufen körperliche Übungen sind, gleicherweise nennt man geistliche Übungen jede Art, die Seele vorzubereiten und dazu bereit zu machen, alle ungeordneten Neigungen von sich zu entfernen, und nachdem sie abgelegt sind, den göttlichen Willen zu suchen und zu f inden in der Ordnung des eigenen Lebens zum Heil der Seele.2

      Auch für Luther ist das Üben des Betens eine selbstverständliche Praxis. Sein Anliegen war es, die Gebetsübungen aus dem Kloster in elementarer und alltagstauglicher Form in die Familie zu übertragen.

      Seine Zeit auf der Wartburg, in der er monatelang die Bibel übersetzte, war eine eigene Weise der geistlichen Übung. Seine theologischen Erkenntnisse sind aus dem Gebet geboren. So sagt er:

      Ich habe meine Theologie nicht auf einmal gelernt, sondern habe immer tiefer und tiefer grübeln müssen. Dazu haben mich meine Anfechtungen gebracht, denn ohne Übung und Erfahrung lernt man es nicht … Lernt man doch auch andere Künste nicht ohne Übung! Was ist ein Medicus, der stets nur in der Schule liest? Je mehr er mit der Natur handelt und mit den Kranken umgeht und praktiziert, desto mehr sieht er, dass er die Kunst nicht ganz hat3

      Martin Luther schreibt in seiner Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen«:

      Darum soll … aller Christen einziges Werk und einzige Übung sein, daß sie das Wort und Christus wohl in sich bilden, um solchen Glauben stetig zu üben und zu stärken. Denn kein anderes Werk kann einen Christen machen.4

      Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht ein Gesundsein, sondern ein Gesundwerden, überhaupt nicht ein Wesen, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan und geschehen, aber es ist im Schwang. Es ist noch nicht das Ende, aber es ist ein Weg.5

      Auf das Üben des Gebetes kann nicht verzichtet werden:

      Doch muss man auch darauf sehen, daß wir uns nicht vom rechten Gebet entwöhnen … und dadurch zuletzt nachlässig und faul, kalt und des Gebetes überdrüssig werden.6