(GUV) ist nach der GKV der zweitälteste Zweig der deutschen Sozialversicherung; sie wurde 1884, also ein Jahr nach der Gründung der GKV ins Leben gerufen. Heute sind die Vorschriften der GUV im siebten Buch des SGB geregelt. Mit ihren Schutzvorschriften für Menschen am Arbeitsplatz reicht die GUV bis zu den Ursprüngen der Sozialpolitik zurück. Noch vor Einführung der Sozialversicherung in Deutschland wurde, ausgehend von Großbritannien, die Idee des Arbeiterschutzes entwickelt. Angesichts der Auswüchse des sogenannten Manchester-Kapitalismus im Vereinigten Königreich des 19. Jahrhunderts – Ausbeutung arbeitender Menschen, Kinderarbeit etc. – war es das erste Anliegen der Sozialpolitik, Menschen vor solch unwürdigen Zuständen durch Schutzvorschriften zu bewahren. Der Arbeitnehmerschutz ist heute ein weites Feld der Sozialpolitik, das durch eine Reihe von Gesetzen geregelt wird. Einige einschlägige Vorschriften – insbesondere die Prävention von Arbeitsunfällen betreffend – finden sich auch im SGB VII.
5.1 Versicherte Risiken, Risikoabdeckung, Leistungen
Die versicherten Risiken werden in den §§ 7 ff. SGB VII aufgelistet. Demgemäß sind
• Arbeitsunfälle und
• Berufskrankheiten
Versicherungsfälle der GUV. Ausdrücklich in den Versicherungsschutz eingeschlossen sind Versicherungsfälle durch verbotswidriges Verhalten. Arbeitsunfälle werden definiert als Unfälle infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit des Versicherten. Unter diese Definition fallen nicht nur Unfälle am Arbeitsplatz selbst, sondern auch Unfälle auf dem Weg zur und von der Arbeit. Wer in seinem Auto auf dem, wie es im Gesetz heißt »unmittelbaren« Weg zur (oder von der) Arbeit unterwegs ist, steht unter dem Schutz der GUV. Umgekehrt folgt aus dieser Formulierung, dass unnötige Umwege, Besorgungen etc., die mit dem Arbeitsweg nichts zu tun haben nicht versichert sind. Eine Ausnahme sieht das Gesetz für Fahrgemeinschaften vor, die ja ohne Umwege nicht denkbar sind, wenn die Beteiligten an verschiedenen Orten wohnen oder beschäftigt sind. Versichert sind auch Unfälle, wenn der Versicherte sein Kind auf dem Weg zur Arbeit in Obhut, z. B. zu einer Tagesmutter bringt.
Die rechtliche Abgrenzung von Arbeitsunfällen, die eine Leistungspflicht der GUV begründen, von anderen Unfällen, deren Risiken die GKV abdeckt, bereitet keine größeren Schwierigkeiten. Problematisch dagegen ist häufig die Abgrenzung der Berufskrankheiten von anderen Krankheiten und damit die Trennung der Zuständigkeitsbereiche von GUV und GKV. Deshalb erfolgt die Bestimmung einer Berufskrankheit per Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmungspflicht des Bundesrates. Es muss sich um Krankheiten handeln, die nach Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch Einwirkungen verursacht wurden, denen die Versicherten am Arbeitsplatz »in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind« (§ 9 Abs. 1 SGB VII). Als Beispiel einer Berufskrankheit sei Lärmschwerhörigkeit z. B. bei Beschäftigten in der Metallverarbeitung genannt.
Im Unterschied zur GKV ist die Risikoabdeckung – sofern ein Versicherungsfall der GUV vorliegt – wesentlich breiter (§§ 26 ff. SGB VII). Der Versicherte hat Anspruch auf Heilbehandlung, Rehabilitation, Arzneimittel, Pflegeleistungen und Geldleistungen. Wer z. B. infolge einer Berufskrankheit pflegebedürftig wird, für den übernimmt nicht die Pflegeversicherung, sondern die GUV die Pflegekosten. Alle Leistungen der GUV sind – anders als in der GKV – von Zuzahlungen der Versicherten befreit. Als Einkommensersatzleistung wird einem Versicherten während der Heilbehandlung und der Rehabilitation Verletztengeld bezahlt. Verletzt sich oder erkrankt ein Versicherter berufsbedingt in einem Maß, dass seine Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 % gemindert ist, so erhält er eine Rente der Unfallversicherung. Verstirbt ein Versicherter an den Folgen eines Versicherungsfalles, haben seine Angehörigen Anspruch auf Witwen-, Witwer- und Waisenrenten der GUV.
Anders als die GKV koordiniert die GUV bzw. die in ihrem Auftrag tätigen Leistungserbringer die Heilbehandlung und Rehabilitation im Versicherungsfall selbst. Erleidet ein Versicherter einen Arbeitsunfall bzw. eine Berufskrankheit, so wird er von einem Durchgangsarzt (D-Arzt) in freier Praxis behandelt, sofern die Behandlungsdauer voraussichtlich länger als eine Woche dauert oder wenn Arbeitsunfähigkeit resultiert. Die freie Arztwahl ist insofern eingeschränkt. Niedergelassene D-Ärzte müssen eine unfallchirurgische Fachausbildung besitzen. Sie werden von den Unfallversicherungsträgern bestellt und rechnen ihre Leistungen mit diesen ab. Üblicherweise behandeln D-Ärzte in ihrer Praxis auch Patienten der GKV. Für den Unfallpatienten der GUV stellt der D-Arzt den Behandlungsbedarf bis hin zu einer evtl. notwendigen Rehabilitation zusammen. Er agiert damit wie ein sogenannter Fallmanager. Unter Fallmanagement bzw. englisch »case management« ist die Betreuung und Koordinierung des Bedarfs eines einzelnen Patienten zu verstehen (
5.2 Versicherte
Die GUV dient ebenso wie die übrigen Zweige der Sozialversicherung vorwiegend der sozialen Absicherung von unselbstständig Erwerbstätigen. Jedoch geht der Kreis der Versicherten über diese Gruppe hinaus. Kraft Gesetzes, also pflichtversichert sind nach § 2 SGB VII u. a. folgende Personen:
• Beschäftigte
• Lernende in Aus- und Fortbildung
• behinderte Menschen in Werkstätten
• Landwirte und deren mitarbeitende Angehörige
• Kinder in Kindertagesstätten
• Schüler in der Schule
• Studenten an Hochschulen
• ehrenamtlich Tätige während der Ausübung ihres Amtes
• Nothelfer bei Unfällen
• Patienten, die auf Kosten der GKV oder der Rentenversicherung in stationärer oder teilstationärer Behandlung sind oder stationäre Rehabilitationsleistungen erhalten
• Pflegepersonen während der Pflegetätigkeit
Als Beispiele seien einige typische Versicherungsfälle der GUV angeführt.
Beispiele:
Herr F. arbeitet am Bau, vornehmlich ist er mit Abbrucharbeiten befasst. Er erkrankt an Asbestose (= Lungenerkrankung aufgrund des Einatmens von Asbeststaub).
Frau K. erleidet als Azubi einen Unfall auf dem Weg zu ihrer Lehrwerkstätte.
Frau M. unterzieht sich als Patientin in einer Rehabilitationsklinik einer Anschlussheilbehandlung auf Kosten der Rentenversicherung; sie stürzt auf dem Krankenhausflur auf dem Weg zum Physiotherapeuten.
Frau H. pflegt ihren Mann zuhause und verletzt sich dabei.
Frau U. betätigt sich ehrenamtlich in einem Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt und erleidet dabei eine Verletzung.
Anders als die übrigen Sozialversicherungen bietet die GUV auch Unternehmern die Möglichkeit, sich zu versichern. Ihre Versicherung kann in der Satzung der Unfallversicherung vorgesehen werden (§ 3 SGB VII); andernfalls ist es ihnen möglich, sich auf Antrag freiwillig zu versichern (§ 6 SGB VII).
5.3 Finanzierung
Die GUV wird als einzige Sozialversicherung allein von den Arbeitgebern finanziert. »Beitragspflichtig sind die Unternehmer, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen« (§ 150 SGB VII). Mit dem letzten Zusatz sind Versicherungsverhältnisse angesprochen, die nicht auf der Arbeitnehmereigenschaft des Versicherten beruhen, wie etwa die Unfallversicherung eines Kindergartenkindes in der Tagesstätte.
Die