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härtere Sanktionen verlangte, wurde 1924 klar verworfen.

      Der Bahnverkehr verbesserte sich durch die Elektrifizierung des Netzes, namentlich der Verbindungen von Zürich nach Zug (1923), Olten und Winterthur (1925). Die Luftfahrt steckte noch in den Anfängen, entwickelte sich aber rasch, auch wenn 1920 zwei Mal ein Wasserflugzeug in den Zürichsee abstürzte. 1919 wurde ein Luftpostdienst innerhalb der Schweiz eingerichtet, 1923 bot eine britische Gesellschaft erstmals drei Flüge pro Woche von Zürich über Basel und Paris nach London an.63 Die Zahl der Passagiere stieg in sechs Jahren von 1302 auf 8493 (1929).64 Das Volk hiess zwar die staatliche Förderung grundsätzlich gut, sagte aber 1930 klar Nein zu einem grösseren kantonalen Kredit für den Ausbau des Flugplatzes Dübendorf, ohne damit das Vorhaben definitiv zu verhindern.

      Kämpfe um neue Freizeitkultur

      Ein gesellschaftlicher Wandel zeigte sich nicht zuletzt in der Art, wie die – spärliche, aber wachsende – Freizeit verbracht wurde. Der Sport65 nahm nach dem Krieg einen Aufschwung. Populär waren besonders Fussball, Leichtathletik und Radfahren, 1923 fand die Rad-Weltmeisterschaft in Zürich statt. Zur direkten Subventionierung von Sportvereinen fehlten der Stadt die Mittel. Sie verpachtete indes 1923 das Letzigrund-Areal an den Fussballclub Zürich und den Utogrund an die Arbeiter-Turn- und Sportvereinigung. 1922 ging nach einem Kampf gegen moralische Widerstände das städtische Strandbad («Sonnen-, Luft- und Schwimmbad») Mythenquai in Betrieb.66 Zur Ertüchtigung (in Badeanstalten) kamen damit Erholung und Vergnügen hinzu – dass eine signifikante Holzwand zwischen Männer- und Frauenbereich auf Druck des Publikums bald entfernt wurde, erschien als besonderer Durchbruch. Der individualistische Zug des Sports, besonders des Leistungssports, im Gegensatz zur kollektiven Disziplin des Turnens, weckte sowohl auf konservativer als auch auf sozialistischer Seite einigen Argwohn. Wegen der weltanschaulichen Spannungen verlor der Schweizerische Arbeiter-Turn- und Sportverband (Satus) Ende des Jahrzehnts zahlreiche Sportorganisationen als Mitglieder.

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      Ein Höhepunkt des Kammerorchesters Zürich war die Aufführung der Marionetten-Kurzoper «El retablo de Maese Pedro» von Manuel de Falla mit Bühnenbild und Figuren von Otto Morach im Juni 1926 am IV. Fest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Zürich.

      Traditionelle Vergnügungen wie das Tanzen67 waren in der Kriegszeit unter Druck geraten. Sie entsprachen aber gerade auch damals einem Bedürfnis und erhielten kräftige neue Impulse aus Amerika – Jazz wurde zum Beispiel im Hotel Baur au Lac gespielt.68 Reglementierungen entsprachen demgegenüber auch einer konservativen Grundhaltung. Das 1915 vom Regierungsrat verhängte Verbot des fasnächtlichen «Maskentreibens» auf öffentlichem Grund wurde erst 1920 aufgehoben. Die Brennstoffverordnung des Bundesrats, eine Massnahme zur Sicherung der Versorgung, diente dazu, Wirtschaften und Unterhaltungsbetriebe auch im Sommer einzuschränken. Der kantonale Polizeidirektor, Mitglied der Bauernpartei, reduzierte 1920 die Zahl der Tanztage, wohingegen der Stadtzürcher Polizeivorstand für eine Ausdehnung eingetreten war. Die Kritik an «Festseuche» und «Vergnügungssucht», wie es etwa die Regierung nannte, hatte eine deutliche moralische Komponente. Sie entsprach den Bestrebungen der Kirche und von Organisationen wie den Sittlichkeitsvereinen. Während namentlich die Gemeinnützige Gesellschaft im Hang zum Festen eine potenzielle Ursache sozialer Not sah, argumentierten die Kirchenbehörden religiös, aber durchaus auch mit Blick auf die Schweiz. Nicht ein materialistischer und egoistischer Geist, hiess es im Bettagsmandat von 1921, sondern der Geist der göttlichen Gesetze und ein Geist der Zucht machten ein Volk stark.

      Wie auch zu anderen Zeiten waren Kasinos besonders suspekt. Eine schon vor dem Krieg lancierte eidgenössische Volksinitiative für ein generelles Geldspielverbot wurde 1920 auch im Kanton Zürich klar angenommen. Das Verbot wurde 1928 gelockert und erst Ende des 20. Jahrhunderts aufgehoben. Weniger populär war die Idee einer Vergnügungssteuer. Eine entsprechende Kompetenzerteilung an die Gemeinden scheiterte 1922 in einer kantonalen Abstimmung. Das Schwanken der SP, die sich schliesslich gegen das «Asketengesetzlein»69 wandte, scheint insofern bezeichnend, als kommerzielle Unterhaltung nicht gerade sozialistischen Idealen, wohl aber einem allgemeinen Bedürfnis entsprach.

      Ähnliches gilt für das «Theater der Armen»: Die Verbreitung des Kinos stiess auf erhebliche Widerstände, zum Teil auch bei Sozialdemokraten.70 Städtische Unterhaltungskultur war an sich nichts Neues. Seit 1884 bestand das Pfauentheater als Variétébühne, 1900 wurde das Corso-Theater eröffnet, das von Artistik über Kabarett bis zu Operetten vielerlei Unbeschwertes bot. Filme (bis in die späteren 1920er-Jahre «stumm», meist von separater Musik71 begleitet) galten indes rasch als unsittlich oder verrohend. Christian Beyel, unter anderem Zentralsekretär der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, sprach 1919 von einer «Schule für das Verbrechertum» und meinte, speziell mit den Bildern aus Amerika komme «die verpestete moderne Weltstadtluft in die Schweiz». Die Polizeidirektion des Kantons Zürich qualifizierte die «sogenannten Charlot-[Chaplin-]Filme» fast durchwegs als Schund. Die 1916 zusammen mit einem Verbot für Kinder eingeführte Überwachung der Kinos ermöglichte es nur, nachträglich einzugreifen. 1922 wurde daher die Vorzensur eingeführt. Der Erlass, den der Kantonsrat mit 121 gegen 33 Stimmen (aus SP und FP) guthiess, galt dann bis 1971. Dass sich die Zahl der – zum Teil sehr grossen – Kinos in Zürich in den 1920er-Jahren von 12 auf 24 verdoppelte, liess sich nicht verhindern. Gerade skeptische Kreise erkannten im Übrigen auch ein pädagogisches Potenzial und förderten über mehrere Organisationen Filme, die sich ihrer Meinung nach für die Schule oder zur Volksbildung eigneten.

      Zentren des kulturellen Lebens

      1918 eröffnete die Stadt bei der Wohnkolonie Letten ein Haus mit 14 Arbeitsräumen für Maler und Bildhauer.72 Die Idee war nach Kriegsausbruch aufgekommen, als Schweizer Künstlerinnen und Künstler aus dem Ausland zurückgekehrt und zum Teil in eine schwierige Lage geraten waren. Das schliesslich realisierte Atelierhaus erfüllte eine allgemeinere Funktion und wurde beispielsweise von Karl Geiser und Max Gubler benützt. Das Projekt – so dimensioniert, dass keine Volksabstimmung nötig war – zeigt ein kulturpolitisches Wohlwollen der politischen Behörden, wie es in der Kriegszeit nicht selbstverständlich erscheint.

      In Zürich, das schon durch die Universität und das Polytechnikum (ETH) eine grenzüberschreitende Anziehungskraft ausübte, hatte sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein international offenes Kulturleben entwickelt. Die grossen, primär privat getragenen Institutionen erhielten neue Gebäude, das Stadttheater 1891, die Tonhalle 1893 mit dem prächtig verspielten, nicht jedermann gefallenden «Trocadero» und das Kunsthaus 1910. Das Stadttheater gelangte unter der Leitung von Alfred Reucker zu besonderer Blüte, und zwar im Schauspiel, das zunehmend auf die Pfauenbühne ausgelagert wurde, ebenso wie in der am Hauptstandort gepflegten Oper. Der Lesezirkel Hottingen, mit dem auch der Literarische Club verbunden war, entfaltete ein reiches Programm an Vorträgen, Lesungen, Konzerten und Kombinationen davon, ausserdem veranstaltete er glänzende Feste.73

      Die internationale Vernetzung und Ausstrahlung der Stadt war sicher auch ein Grund, dass sich nach 1914 eine einzigartige Dichte von Literaten, Künstlern und Musikern, Revolutionären und Anhängern diverser Weltanschauungen ergab, die nach Zürich emigriert oder hier gestrandet waren.74 Nach Kriegsende verlor die Schweiz ihre Sonderstellung als Exilland. Dem Verlag beispielsweise, den Max Rascher gegründet hatte, um die «gesamteuropäische Idee» zu fördern und pazifistische oder andere in Deutschland verbotene Literatur zu publizieren, entschwand bald gewissermassen die Grundlage.75 Namentlich Kulturschaffende, die wegen des Kriegs in Zürich waren, kehrten in ihre Heimat zurück oder zogen weiter. Andere blieben definitiv in Zürich, nicht zuletzt etliche, die – wie ursprünglich Alexander Schaichet – aus dem nun revolutionierten Russland stammten. Auch sonst gingen die Nachwirkungen jener Konstellation sicher über das «Kaffeehausleben»76 hinaus. Der Jurist Wladimir Rosenbaum (in Minsk geboren, 1902 nach Genf gekommen) und seine Frau, die Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Aline Valangin (Enkelin des Westschweizer Friedensnobelpreisträgers Elie Ducommun), die in der Dada-Szene wie auch im Psychologischen Club