Karin Seethaler

Die Kraft der Kontemplation


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mit lebendigem Interesse und ununterbrochen dabeibleibt und aufnimmt, was im Hier und Jetzt geschieht.1 Die achtsame, Gott zugewandte, versöhnungs- und leidensbereite Haltung ebnet den Weg der Kontemplation.

      Das aus dem Lateinischen stammende Wort „Kontemplation“ setzt sich aus den Silben „con“ (mit, zusammen) und „templum“ (ein umgrenzter heiliger Bezirk) zusammen. In der Kontemplation geht es darum, selbst zu diesem heiligen Bezirk, zur Wohnung Gottes, zu werden. Die Existenz dieses heiligen Bezirks wird von vielen Heiligen bezeugt und mit unterschiedlichen Begriffen benannt. So spricht Paulus vom „Geist Gottes, der in uns wohnt“ (1 Kor 3,16), Teresa von Avila von der „Seelenburg“, Meister Eckhart vom „Seelenfunken“. Auf diesen Seelenfunken, auf den Geist Gottes, der im Menschen wohnt, richtet sich der Meditierende aus.

      Die Bezeichnungen für die kontemplative Gebetsweise sind unterschiedlich: das kontemplative Gebet, das Jesusgebet, das Herzensgebet, das immerwährende Gebet, das Gebet der Sammlung, das Gebet der Ruhe oder auch das sogenannte einfache Gebet. Jede Bezeichnung hebt einen ganz bestimmten Aspekt in den Vordergrund. Das „Jesusgebet“ stellt den Namen Jesus Christus ins Zentrum. Der Betende versucht seine Aufmerksamkeit in Verbindung mit dem Atem auf den Namen Jesus Christus zu richten. Das „Herzensgebet“ der Ostkirche leitet sich von einer weitergehenden Anweisung einiger Mönchsväter ab, die empfohlen haben, während des Jesusgebetes die Aufmerksamkeit zusammen mit dem Atem zum Herzen zu lenken bzw. den Namen beständig in seinem Herzen zu bewegen. Teresa von Avila fasste einen Teil ihrer Gebetsanweisungen unter der Bezeichnung „innerliches Gebet“ oder auch „Gebet der Sammlung“ zusammen. Durch die Bezeichnung „immerwährendes Gebet“ (abgeleitet von 1 Thess 5,17: „Betet ohne Unterlass“) soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sich diese Gebetsweise nicht auf einzelne Gebetszeiten beschränkt, sondern dass der Mensch mit seiner inneren Aufmerksamkeit stets mit Jesus Christus verbunden ist.

      Allen Begriffen gemeinsam ist, dass der Betende hier seine Aufmerksamkeit nicht auf seine Gedanken, auf Texte oder Bilder richtet, sondern sich in Verbindung mit einem Wort der Gegenwart zuwendet, in der Gott erfahrbar ist. Visionen und Ähnliches sind dabei unwesentlich.

       1.2Christliche Meditation

      Heute ist es üblich, von Meditation zu sprechen. So benütze auch ich ganz selbstverständlich diesen Begriff und meine damit das kontemplative Gebet. Ich bitte um Verständnis, wenn ich die präzise Unterscheidung in diesem Buch nicht mache, sondern beide Begriffe synonym gebrauche. Es ist mir ein Anliegen, die Sprache von heute aufzunehmen und dadurch den Zugang zur christlichen Meditationsweise zu erleichtern. Ich möchte jedoch nicht auf das Wort Gebet verzichten, da es für mich Ausdruck der persönlichen Beziehung zu Gott ist. Meditation hingegen muss nicht einmal religiös gebunden sein. Man versteht heute darunter fast jede Art von Besinnung und Sammlung. Die Bezeichnung „christliche Meditation“ soll deshalb den christlichen Bezug hervorheben.

      Die Motivationen für die christliche Meditation haben sich im Laufe der Geschichte verändert. Anfang des 4. Jahrhunderts suchten Mönche mit dieser schlichten Gebetsweise die Reinheit des Herzens zu erlangen und darin die Vereinigung mit Gott. Unsere Zeit, die sich in tausend Möglichkeiten aufzulösen scheint und den Menschen mit Reizen überflutet, die kaum mehr verarbeitbar sind, lässt die Sehnsucht wachsen nach einem einfachen Dasein vor Gott, in dem man ohne erneuten Leistungsanspruch zur Ruhe kommen darf und sein Leben in tieferen Dimensionen des Seins zu verankern vermag.

       1.3Gegenwart

      Eine Teilnehmerin der „Tage der Stille“ fragte mich einmal unvermittelt: „Was meinst du eigentlich mit ‚in der Gegenwart sein‘?“ Damals war ich über diese Frage irritiert, die vordergründig doch jeder beantworten könnte. Es wurde mir aber bewusst, dass dieser Begriff in der Umgangssprache nicht geläufig ist. Als ersten Impuls hatte ich damals geantwortet: „Gegenwart ist das, was im Augenblick da ist.“ Diese Kurzdefinition, die vor allem den zeitlichen Aspekt ins Zentrum rückt, wird jedoch seiner spirituellen Dimension nicht gerecht. Martin Buber stellt fest: „Gegenwart […], die wirkliche und erfüllte, gibt es nur insofern, als es Gegenwärtigkeit, Begegnung, Beziehung gibt. Nur dadurch, dass das Du gegenwärtig wird, entsteht Gegenwart.“2

      Gegenwart ist also nicht nur ein Zeitbegriff, sondern ein Beziehungsbegriff. In Bezug auf die Meditation bedeutet er, dass Gegenwart für den Meditierenden entsteht, indem er sich auf eine Beziehung mit sich selbst einlässt und damit auch auf den Geist Gottes, der in ihm wohnt (1 Kor 3,16).

      Gott, der sich als „Ich bin der ‚Ich bin da‘“ (Ex 3,14) offenbart hat, gibt sich klar als ein Gott der Gegenwart zu erkennen. Folglich ist Gott in der Gegenwart erfahrbar. Da es nur eine Gegenwart gibt, ist die Hinwendung zur Gegenwart stets eine Hinwendung zur göttlichen Gegenwart, auch wenn der Mensch sie nicht als solche erfassen kann. Es existiert also nicht eine Gegenwart mit Gott und eine Gegenwart ohne Gott.

      Begegnung mit der Gegenwart ist möglich, wenn der Mensch selbst auch „da“ ist und bereit, sich einzulassen auf das, was ist. Von jemandem, der zwar physisch „da“ ist, jedoch in seinen Gedanken versunken, sagt man, dass er abwesend sei. Er ist „irgendwo anders“ und wird die anderen Anwesenden entsprechend reduziert wahrnehmen. Ebenso wird der Meditierende die göttliche Gegenwart entsprechend reduziert wahrnehmen, wenn seine Aufmerksamkeit „woanders“ ist.

       1.4Wahrnehmen 3

      Im Wesentlichen geht es in der Meditation um die Wahrnehmung. Aus diesem Grund ist Wahrnehmung ein zentraler Begriff für den spirituellen Weg. Wahrnehmung geschieht über die Sinnesorgane: Haut, Augen, Ohren, Mund und Nase, und ist nur im Hier und Jetzt möglich. Sie bindet die Aufmerksamkeit des Meditierenden an die Gegenwart und macht sie dadurch für ihn erst erfahrbar. Was der Mensch wahrnimmt, dessen ist er sich auch bewusst. Eine Frau erzählte mir einmal, ihr sei gar nicht bewusst, dass es bereits Frühling ist. Sie fuhr im Dunkeln zur Arbeit und abends, wenn es bereits wieder dunkel war, nach Hause. Da sie die Veränderungen in der Natur nicht wahrnahm, war ihr auch die veränderte Jahreszeit nicht bewusst. Hier wird deutlich: „Wahrnehmen, Bewusst-sein, Dasein und in der Gegenwart sein sind praktisch Synonyme.“4

      Nach der Wahrnehmung folgt das Denken über das Wahrgenommene und schließlich, entsprechend den Gedanken, die Handlung. Das Ökonomisieren unserer Zeit („Zeit ist Geld“) bringt es mit sich, danach zu trachten, die Arbeitskraft voll auszulasten und nach Möglichkeit auch aus der Freizeit das Optimale herauszuholen. Immer mehr, immer besser, immer schneller, immer billiger, immer effektiver, lautet die Devise. Die Folge ist eine beständige Betriebsamkeit. Kaum hat der Mensch etwas wahrgenommen, schon ist er im Denken, Urteilen, Analysieren, Kalkulieren, Planen und in der Aktion. Er nimmt nur noch kurz, flüchtig und oberflächlich wahr – auch sich selbst. Doch ist es die Wahrnehmung, die ihm den Zugang zu Gott öffnet. Die Meditation kann als eine Schule der Wahrnehmung bezeichnet werden, in der das Denken und das Tun nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.

      Auf dem Weg zu Gott muss man nicht einen scharfen Verstand und große Leistungen vorweisen. Jesus preist den Vater, der sich nicht den Weisen und Klugen offenbart hat, sondern den Unmündigen (Mt 11,25). Es sind besonders die Unmündigen, kleine Kinder, die wach und aufmerksam wahrnehmen können. Sie sind es, die empfänglich sind für die göttliche Gegenwart. Mit den Kleinen und Unmündigen setzt Jesus ein Beispiel: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“ (Mt 18,3). Er fordert den Menschen auf, nicht ausschließlich im Denken und Handeln zu leben, sondern der schlichten vorbehaltslosen Wahrnehmung Raum zu geben.

       2.Ursprünge

      Die Wurzeln der christlichen Meditation sind in den Anfängen des christlichen Mönchstums im 3. bis 4. Jahrhundert in der Wüste Ägyptens und Syriens zu finden. Im Kampf gegen seine Leidenschaften und Laster wiederholte der Mönch