Karin Seethaler

Die Kraft der Kontemplation


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in Verbindung mit der Wahrnehmung der Hände und des Atems. Es ist die Meditationsweise, die ich seit vielen Jahren praktiziere und auf die ich mich in diesem Buch beziehe.

       1.Die äußeren Gegebenheiten

      Die christliche Spiritualität kennt neben der Meditation ein breites Spektrum von Gebetsformen: das vorformulierte, das betrachtende, das reflektierende, das spontane, das affektive Gebet oder den Rosenkranz. Da das Gebetsleben, d. h. die Beziehung zu Gott, nichts Statisches ist, sondern sich entfaltet wie das Leben selbst, ist jede dieser Gebetsformen, zur rechten Zeit gepflegt, wertvoll und hilfreich.

      Um die Meditation in den Alltag zu integrieren, ist es hilfreich, bestimmte äußere Gegebenheiten zu berücksichtigen. Der zeitliche Freiraum, der für die Meditation notwendig ist, hängt von der jeweiligen Arbeits- und Lebenssituation ab. Einem Rentner stehen andere zeitliche Möglichkeiten zur Verfügung als einem Manager, der noch voll im Berufsleben steht, oder einer Mutter in der Familienphase. Die Meditationszeit sollte auf jeden Fall geschützt sein. Dies bedeutet z. B., dass das Handy ausgeschaltet wird und die Menschen, mit denen man zusammenlebt, um diese stille Gebetszeit wissen. Der Raum sollte nach Möglichkeit ruhig und gut gelüftet sein. Wenn es die räumliche Situation zulässt, ist es vorteilhaft, bei sich zuhause eine Meditationsecke einzurichten. Von ihr kann stets eine stille Einladung für das Gebet ausgehen.

      Die gewählte Sitzweise ist für den Meditierenden nicht ohne Bedeutung. Wie bereits den Mönchsvätern bekannt war, besteht eine wechselseitige Einwirkung von Körperhaltung und geistiger Haltung. So unterstützt ein entspannt aufgerichteter Oberkörper das aufmerksame Dasein. Dies ist auch im Alltag gut zu beobachten. Bei einem Gespräch, bei dem man mit Interesse dabei ist, richtet man z. B. den Oberkörper fast automatisch auf und signalisiert dadurch seinem Gegenüber: „Ich bin jetzt ganz Ohr“, „Ich bin jetzt ganz bei dir und aufnahmebereit“. Beim Fernsehen ist weder eine wache Aufmerksamkeit noch ein aufgerichteter Oberkörper notwendig. Der Fernseher läuft und läuft, ob man nun sein Interesse auf ihn richtet oder nicht und ungeachtet der eingenommenen Sitzposition.

      Die entspannt aufrechte Körperhaltung ist auf einem Stuhl, einem Meditationshocker, einem Sitzkissen oder auf zusammengefalteten Decken möglich. Manche meinen, man müsse bei der Meditation unbedingt knien oder gar einen Lotussitz einnehmen. Dies sind Äußerlichkeiten. Bei der Meditation kommt es auf die innere Haltung an. Aus diesem Grund sind alle Sitzweisen gleich gut. Sie sollten der körperlichen Konstitution entsprechen und es ermöglichen, während der Meditation aufrecht, ruhig und gesammelt zu bleiben. Ein unbequemer Sitz und eine gekrümmte Körperhaltung führen leicht zu Verspannungen. Bei gesundheitlichen Einschränkungen ist es natürlich sehr wohl möglich, dass man den Oberkörper anlehnt. Man kann auch eine liegende Position einnehmen. Einem gesunden Menschen ist diese Position aber nicht zu empfehlen, da man leicht in ein Dösen abgleitet. Bei allen Sitzweisen ist darauf zu achten, dass der Kopf natürlich aufgerichtet ist, weder zur Seite noch nach vorne oder nach hinten geneigt ist. Bei mehreren Meditationseinheiten hintereinander empfiehlt es sich, die Sitzpositionen zu wechseln.

      In der Regel schließt man während der Meditation die Augen. Sie können jedoch ebenso geöffnet bleiben. Der Blick ruht dann aber auf einem Punkt am Boden, ohne diesen zu fixieren. Um einem Dösen oder Träumen vorzubeugen, empfehlen die Mönchsväter, mit geschlossenem Mund zu meditieren. Des Weiteren empfehlen sie, dass zur Stunde des Gebets das Essen schon verdaut sein sollte. Diese praktischen Hinweise unterstützen das wache Dasein – damals wie heute.

       2.Die Wahrnehmung der Hände 9

      Es gibt Meditationsweisen, bei denen man ausschließlich auf den Atem achtet und beobachtet, wie dieser kommt und geht. Die Mönchsväter raten vor allem, die Aufmerksamkeit auf das Herzzentrum zu richten. Franz Jalics empfiehlt die Wahrnehmung der Hände. Nur eines wahrzunehmen, dabei zu verweilen, ohne sich im Vielerlei aufzuhalten, führt den Menschen zum Einklang mit sich selbst. Der eingegrenzte Wahrnehmungsbereich unterstützt die Geistesgegenwärtigkeit und die innere Sammlung und führt in die Tiefe. Es wäre jedoch ein Missverständnis anzunehmen, dass die Körperwahrnehmung selbst das Gebet hervorbringt oder religiöse Erlebnisse erzeugt. Dies ist nicht der Fall. Sie ist allerdings ein körperlicher Prüfstein, durch den unmittelbar und klar erkennbar ist, wo man mit seiner Aufmerksamkeit ist: Entweder ist man im Hier und Jetzt durch die konkrete Wahrnehmung des Atems oder der Hände der Realität zugewandt oder aber man ist mit seiner Aufmerksamkeit bei seinen Gedanken, Phantasien oder Tagträumen und kreist somit um sich selbst. Dieses Unterscheidungskriterium ist einfach, objektiv und ermöglicht jederzeit eine klare Orientierung. Sie bewahrt den Meditierenden vor Selbsttäuschungen.

      Die Haltung der Hände kann sehr unterschiedlich sein: ineinandergelegt oder gefaltet. Die Aufmerksamkeit wird dabei auf die Mitte der Handinnenflächen gelenkt. Sie sind besondere Körperstellen, durch die viel Energie fließt. Auch eine offene Handhaltung ist möglich. Wenn man sehr zerstreut ist, kann sie helfen, in die Sammlung zu finden. Man kann die Hände auch mit einem gewissen Abstand zueinander bis fast auf Schulterhöhe hochheben und seine Aufmerksamkeit auf den Zwischenraum richten. Bei dieser Haltung werden die Arme nach einer Zeit schwer. Man legt die Hände dann entweder zusammen oder mit Abstand auf die Knie oder in den Schoß ab. Wesentlich bei dieser offenen Handhaltung ist, dass die Handinnenflächen einander zugewandt sind. Bei Ablenkungen und Zerstreuungen wendet man sich mit seiner Aufmerksamkeit stets aufs Neue den Händen zu. Diese beständige Hinwendung zu den Händen kann wie ein Anker erfahren werden, der die Aufmerksamkeit an das Hier und Jetzt zu binden vermag.

       2.1Mögliche Missverständnisse

       Ich muss mich auf die Hände konzentrieren

      Erfahrungsgemäß erzielen wir durch Konzentration ein gutes Ergebnis, sei es in der Schule, bei Prüfungen oder im Berufsleben. Man fokussiert seine Aufmerksamkeit auf eine Sache und drängt störende Einflüsse zurück. Ein Bemühen um Konzentration in der Meditation strengt jedoch an und ist letztlich für sie hinderlich. Hier geht es nämlich nicht darum, sich so gut wie möglich zu konzentrieren, sondern darum, eine offene, lauschende Haltung einzuüben. Dies geschieht, indem man seine Aufmerksamkeit auf die Hände richtet und darauf achtet, was von der Wahrnehmung der Hände entgegenkommt. Gedanken, die ungewollt aufsteigen, müssen weder bekämpft noch zurückgedrängt werden. Man bliebe in dieser Weise mit seinen Gedanken beschäftigt. Man führt stattdessen seine Aufmerksamkeit immer wieder behutsam in Richtung der Hände.

      Für Menschen, die stets die Initiative ergreifen, ist es zunächst eine ungewohnte Haltung, aufmerksam abzuwarten, was von den Händen entgegenkommt. Doch man muss in der Meditation nirgends hinkommen, und man muss auch keinen bestimmten Zustand erreichen. Ich öffne mich vielmehr einer Haltung, die ich auch ganz natürlich einnehme, wenn ich etwas erspähen und entdecken möchte. Wenn ich z. B. Murmeltieren zuschauen will, wie sie aus ihrem Bau kommen, werde ich mich nicht auf ihren Bau konzentrieren. Es ist mir klar, dass ich durch meine Konzentration nicht bewirken kann, dass sie schneller herauskommen. Um die Murmeltiere wahrnehmen zu können, sobald sie sich zeigen, genügt es, still und aufmerksam auf den Bau zu schauen. Ich nehme also keine konzentrierte, sondern eine lauschende Haltung ein, die aufnimmt und empfängt, was geschieht. Es ist ein waches Dasein, in dem ich nicht den Anspruch habe, etwas zu bestimmen oder etwas zu beschleunigen. Genauso ist es in der Meditation: Ohne etwas zu forcieren, nehme ich aufmerksam auf, was von den Händen her auf mich zukommt.

       Ich denke an die Hände

      Es ist ein großer Unterschied, ob man an seine Hände denkt oder sie wahrnimmt und spürt. Äußerlich ist dieser entscheidende Unterschied nicht zu erkennen. Denkt jemand an seine Hände oder macht sich jemand über die Hände Gedanken, befindet er sich mit seiner Aufmerksamkeit auf der mentalen Ebene. Die Tür zum Sein und zur heilsamen Gegenwart öffnet sich jedoch nicht über das Denken, sondern über die Wahrnehmung. Sie geschieht, indem man die