Группа авторов

Praktische Theologie in der Spätmoderne


Скачать книгу

Frage aufgeworfen, wie die Praktische Theologie gegenwarts- und zukunftsfähig bleiben kann. Diese Frage dürfte angesichts der Veränderungen im akademischen Kontext, etwa mit dem Aufkommen einer kulturwissenschaftlichen und empirischen Religionsforschung, aber auch angesichts kirchenpolitischer Verschiebungen für die Praktische Theologie immer relevanter werden. Das Projekt ist also nach vorne hin offen. Es will insgesamt einen (selbst-)kritischen und konstruktiven Beitrag zur ‚Verzeitlichung‘ der Praktischen Theologie leisten und hierüber indirekt auch der religiösen, kirchlichen und pastoralen Praxis in der Spätmoderne, insofern diese vom praktisch-theologischen Diskurs nicht unberührt bleibt.

      Abschließend möchten wir unseren herzlichen Dank aussprechen: der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die finanzielle Förderung des Projekts und der Publikation, den Herausgebern der Reihe Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge im Echter Verlag, Erich Garhammer und Hans Hobelsberger zusammen mit Martina Blasberg-Kuhnke und Johann Pock, für die Aufnahme des Bandes, Brigitte Benz, Dr. Claudia Bergmann und Daniela Kranemann für die umfangreichen Korrekturarbeiten und besonders allen Mitgliedern des Netzwerks für die Intensität und Verlässlichkeit der Beteiligung an diesem Projekt.

1. Teil: Grundlagen

       Spätmoderne als entfaltete und reflexive Moderne

       Zur Angemessenheit und Füllung einer Zeitansage

      Wolfgang Fritzen

      Pastoraltheologie möchte Theologie, die an der Zeit ist,16 sein und als „ein Horchposten für wache Zeitgenossenschaft der Theologie“17 dienen. Solche Zeitgenossenschaft wird auch im Titel dieses Buches betont – durch den Zeitindex „Spätmoderne“. Gegenüber dem schillernden Begriff der „Postmoderne“ mag der Begriff „Spätmoderne“ etwas blass wirken, doch gerade in seiner Nüchternheit ist er geeignet, die Zuordnung der Gegenwart zur Moderne in ihrer Spannung von Wandel und Kontinuität präzise zu bezeichnen. Er ist von der Annahme geprägt, dass die Moderne in eine neue Phase getreten ist, ohne dass sie aufgehört hat, Moderne zu sein. „Wir treten nicht in eine Periode der Postmoderne ein, sondern wir bewegen uns auf eine Zeit zu, in der sich die Konsequenzen der Moderne radikaler und allgemeiner auswirken als bisher.“18 Im Folgenden möchte ich versuchen, Spätmoderne als hilfreiche Zeitansage von einer Reihe soziologischer Beobachtungen her zu profilieren.

       1. Das Projekt der Moderne

      Wenn Spätmoderne hier in der Spannung von Wandel und Kontinuität zur Moderne gesehen wird, ist zur Klärung eine kurze Bestimmung dessen sinnvoll, was mit dem Begriff „Moderne“ verbunden wird. Die Anfänge der Moderne werden sehr unterschiedlich angesetzt. Sie haben mit den Veränderungen von Weltbild und Denken durch die naturwissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts und der aus ihr folgenden „Entzauberung der Welt“ sowie mit der Aufklärung und den politischen Revolutionen des 18. Jahrhunderts zu tun. Der Beginn der Moderne kann aber auch erst mit der industriellen Revolution und dem spektakulären Wachstum des historischen Bewusstseins im 19. Jahrhundert angesetzt werden. Begriff und theoretisches Konzept der Moderne finden sich jedenfalls nicht vor dem 19. Jahrhundert.19 Exemplarisch kann man den Übergang zur Moderne an der Erfindung der Dampfmaschine festmachen, da mit ihr der Zusammenhang von analytisch und experimentell verfahrender Naturwissenschaft, von praktischer Verwertung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in der Technik und dem ökonomischen Gewinnstreben, das beide verknüpft, etabliert wird.20

      Als grundlegende Dimensionen der Modernisierung lassen sich folgende Prozesse benennen, die zwar eng miteinander zusammenhängen, sich aber analytisch trennen lassen:21

      (1) Domestizierung der Natur: Durch die Fortentwicklung des naturwissenschaftlichen Wissens und der modernen Techniken entwickelt sich eine immer perfektere Beherrschung der Natur. Eigenrechte der Natur werden zugunsten ihrer Ausbeutung, die Grundlage der Reichtumsproduktion wird, ausgeblendet.

      (2) Gesellschaftliche Ausdifferenzierung: Die gesellschaftliche Struktur der Moderne ist durch zunehmende Arbeitsteilung und wachsende funktionale Differenzierung geprägt. In den verschiedenen Funktionssphären setzen sich grundlegende Freiheits- und Partizipationsrechte für immer mehr Mitglieder der Gesellschaft durch.

      (3) Rationalisierung: Begünstigt durch diese Prozesse erscheint die Welt zunehmend durch Vernunft beherrschbar und berechenbar. Die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft werden unter Effizienzgesichtspunkten neu geordnet.

      (4) Pluralisierung: In geschichtlicher und interkultureller Perspektive wird die Pluralität von Überzeugungen und Lebensweisen zunehmend bewusst. Die eigenen Traditionsbestände werden zum Gegenstand der kritischen Reflexion und verlieren an verbindender und verbindlicher Kraft.

      (5) Individualisierung und Biographisierung: Das eigene Leben und die persönliche Identität verlieren zunehmend ihre relative Selbstverständlichkeit, Stabilität und soziale Einbindung. Sie werden als dynamische Wirklichkeiten und als individuell zu bewältigende Aufgaben entdeckt; es herrschen der Zwang und die Chance zur Selbstbestimmung.

      (6) Säkularisierung: Der Einfluss religiöser Institutionen, Glaubensvorstellungen und Praktiken auf die verschiedenen Bereiche des Lebens nimmt in der modernen Welt kontinuierlich ab. Der Wille zur rationalen Welterklärung und zur autonomen Daseinssicherung setzt sich durch. Dadurch erscheinen Welt und Dasein als vom Menschen geprägte und gemachte Größen.

      Der all diesen angedeuteten Prozessen zugrunde liegende Gedanke der Moderne ist der des Fortschritts. Der überschäumende und selbstbewusste Geist der Moderne fordert die „Entmachtung der Vergangenheit“ und „das Einschmelzen bestehender Verhältnisse“.22 Er macht die Veränderung des Gegebenen zur Norm. Fortschritt, Wachstum und Neuheit werden in Wissenschaft und Technik, Wirtschaft und Politik, Kunst und Mode zu den maßgebenden Orientierungen. Moderne stellt sich als Befreiung aus überkommenen Strukturen dar, als „die Apotheose des unentwegt Neuen“, verbunden mit der Hoffnung, dass die Verhältnisse „einer fortschreitenden Veränderung und Verbesserung bis hin zur Vollendung unterzogen werden können“.23 So lässt sich das Fortschrittsprojekt der Moderne als Verweltlichung der christlichen Heilserwartung, als ein „Absenken der Himmelsleiter“24 interpretieren: Die christliche Hoffnung scheint in die Verheißung des Fortschritts unter den Leitkategorien von Vernunft und Freiheit umgewandelt.25

       2. Spätmoderne und Moderne – eine Verhältnisbestimmung

      Aufbauend auf dieser knappen Skizze der „Moderne“ kann nun geklärt werden, inwiefern der Begriff „Spätmoderne“ mit der in ihm angelegten Spannung von Wandel und Kontinuität zur Moderne als Gegenwartsanzeige geeignet ist. Dies soll anhand der sechs genannten Prozesse in jeweils drei Schritten geschehen:

      Der erste Schritt (a) expliziert die späte Moderne zunächst als entfaltete, radikalisierte Moderne. Denn die Industriegesellschaft war „ihrem Grundriß nach eine halbmoderne Gesellschaft“26; bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts herrschte die Vergesellschaftungsform der „eingeschränkten Modernität“ vor. Erst in den sechziger und siebziger Jahren kam es „zu einem tiefgreifenden Umbruch“ von der halbierten zur entfalteten Moderne.27

      Die Radikalisierung der Moderne führt aber zugleich dazu, dass der Prozess der Modernisierung reflexiv wird; er wird „sich selbst zum Thema und Problem“28. Ein Charakteristikum der Spätmoderne ist das Bewusstwerden der Schattenseiten und Risiken der Modernisierung und damit einhergehend eine Brechung der Gewissheiten und Hoffnungen des modernen Fortschrittsglaubens. Die Prämissen der Entzauberung werden selbst entzaubert.29 In einem zweiten Schritt (b) wird also jeweils der Wandel zur radikalisierten Moderne als Wandel zur reflexiven Moderne angesprochen.

      Dieser Wandel bedeutet jedoch keinen Bruch mit der Moderne. Die meisten Menschen stehen mit ihrem Denken und Handeln faktisch ganz