Dorothea Gnau

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nun folgenden Darstellung vorrangig auf die Darstellungen der drei Theologen selbst zurückgegriffen.45

      Die Entwicklung der orthodoxen Theologie bis zum 20. Jahrhundert fasst Joannis Zizioulas im Anschluss an die Thesen Georges Florovskys in vier Punkten zusammen46:

      1.Die Entwicklung nach dem Fall Konstantinopels im 15. Jahrhundert

      Einen gewichtigen Einschnitt innerhalb der Geschichte der orthodoxen Theologie markiert der Fall Konstantinopels im 15. Jahrhundert.47 In Reaktion auf die veränderte politische Situation nach dem Fall Konstantinopels tritt die orthodoxe Theologie in eine Phase des Stillstands ein, die gekennzeichnet ist durch das Phänomen des Konservatismus (»il fenomeno del conservatorismo«)48, des bloßen Festhaltens am Überlieferten. Das wichtige und verständliche Anliegen, angesichts der veränderten politischen Situation unter nun erschwerten Bedingungen das Erbe der Väter bewahren, es »konservieren« zu wollen, geht einher mit einem Verlust an Kreativität. Verloren geht die Fähigkeit, dieses Erbe der Väter unter den veränderten Umständen der eigenen Zeit je neu auszulegen. Zizioulas verfolgt die Spuren dieses Konservatismus zurück bis in die Zeit des Johannes Damascenus (675-749), dessen »Darstellung des orthodoxen Glaubens« lange Zeit unhinterfragt die bindende Auslegung der Väter und Konzilientexte blieb. Allein Symeon der Neue Theologe, Gregorios Palamas und Nikolaos Kabasilas werden zu den wenigen Ausnahmen gezählt, denen die Fähigkeit zu einem lebendig-kreativen Umgang mit den Vätern erhalten blieb. Für weite Kreise der Orthodoxie wurde die Lehre der Väter mehr und mehr zu einem »kostbaren archäologischen Objekt« (»prezioso oggetto archeologico«). Durch die lange Zeit der ottomanischen Herrschaft hindurch waren es nicht die Universitäten, sondern vornehmlich die Klöster, die als Wächter über die patristische Literatur fungierten. Die sorgfältige Bewahrung des hochgeschätzten Erbes lag somit in den Händen des Mönchtums, damit jedoch immer weniger beim gesamten Volk. Mit dieser »Musealisierung« der Kirchenväter schwand zunehmend der lebendige Bezug der Nicht-Fachleute zur Theologie der Väter. Durch die außerdem auch insgesamt wachsende Distanz zwischen Mönchtum und Laien wurde diese Tendenz noch verstärkt. Die Lehre der Kirchenväter war zwar weiterhin hoch angesehen und geschätzt, verlor jedoch mehr und mehr an Lebensbezug.

      2.Übernahme scholastischer Methodik

      Zeitgleich mit diesen Entwicklungen im Umgang mit der patristischen Tradition treten orthodoxe Theologen stärker in Kontakt mit westlicher Theologie und übernehmen in der Folgezeit immer mehr deren Fragen und Methoden. In der Übernahme der scholastischen Methodik konzentriert sich die orthodoxe Theologie darauf, Antwort auf Fragen zu geben, die sie von der westlichen Form, Theologie zu betreiben übernimmt, ohne dass die westliche Problematik selbst hinterfragt würde.49 Es sind also häufig der Orthodoxie ursprünglich fremde Fragestellungen, mit denen sich die orthodoxe Theologie jetzt auseinandersetzt. Zentrale Inhalte der Vätertradition werden im Gegenzug hierdurch in den Hintergrund gedrängt. Die Kirchenväter dienen dabei als »literarische Quelle«, die in theologischen Debatten herangezogen wird, um die Problematik und die Interessen der westlichen scholastischen Theologie. Infolge dieser Ausbildung einer »orthodoxen Scholastik« stellt sich eine zunehmende Distanz zwischen Theologie und Liturgie, bzw. zwischen der Theologie und dem Leben der Kirche ein. Die ursprüngliche Einheit von lex orandi und lex credendi wird brüchig. In der liturgischen Praxis und der geistlichen Erfahrung bleibt die Vätertradition allerdings gewahrt.50

      3.Konfessionalisierung

      Die weiteren Entwicklungen im Westen ließen in der Folgezeit durch die Kontakte orthodoxer Theologen mit westlichen Kollegen wiederum eine neue Situation entstehen, in der sich die oben gezeigten Tendenzen weiter verfestigen. Im Zuge der zunehmenden Konfessionalisierung im Westen sieht sich die östliche Theologie in der Zeit während und nach der Reformation herausgefordert, zu den im Abendland diskutierten Streitfragen ebenfalls Stellung zu beziehen. In ihrem Bemühen, eine eigene konfessionelle Identität herauszubilden, nimmt sie die im Westen aufgekommenen Fragestellungen und Methodik auf und bemüht sich eine eigene Antwort zu formulieren. Dabei versucht sie inhaltlich zumeist eine Mittelstellung zwischen den römisch-katholischen und den protestantischen Standpunkten einzunehmen.

      »In der Not, in der er sich befand, sich irgendwie zu der fortlaufenden Debatte zwischen Katholiken und Protestanten verhalten zu müssen, verfasste der Osten in dieser Zeit seine eigenen 'Bekenntnisschriften'. Er übernahm dabei völlig kritiklos die Problematik, die der Westen von der mittelalterlichen Scholastik geerbt hatte, und versuchte, den Protestanten zu antworten, in dem er römisch-katholische Argumente gebrauchte, und umgekehrt51

      Beispiele solcher orthodoxer Bekenntnisschriften sind die Werke der von der römisch-katholischen Scholastik beeinflussten Theologen Petrus Mogilas (1596-1647) und Dositheus von Jerusalem (1641-1707). Eher von der protestantischen Theologie beeinflusst zeigen sich hingegen die von Kyrillos Lukaris (1570-1638) und Metrophanes Kritopoulos (1589-1639).52 Diese Schriften bereiten den Weg für einen orthodoxen Konfessionalismus, der die orthodoxe Theologie über Jahrhunderte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein prägen sollte.53 Eine Reaktion auf diese Form der Theologie manifestierte sich im Russland des 19. Jahrhunderts in der Bewegung der »Slawophilen«, deren bedeutendster Repräsentant der Laientheologe A. Chomjakov ist. Sie versuchte bestehende Polarisierungen in der orthodoxen Theologie zu überwinden und zu einer ursprünglicheren Orthodoxie zurückzufinden. Allerdings geschieht dies um den Preis anderer Polarisierungen vor allem der zwischen Ost und West.54

      4.Ausbildung einer akademischen Theologie

      In der Zeit der Übernahme der scholastischen Methodik und der Ausbildung eines orthodoxen Konfessionalismus kommt auch in den Ostkirchen zunehmend die Idee einer »akademischen Theologie« auf. Diese Entwicklung der Theologie zum akademischen Lehrfach hat Florovsky am Beispiel Russlands aufgezeigt und kritisiert. Im 19. Jahrhundert vollzieht sie sich in ähnlicher Weise in Griechenland. Nach der Befreiung Griechenlands von der Türkenherrschaft und der Gründung des neuzeitlichen griechischen Staates wird 1837 die Athener Universität gegründet. Ihre Theologische Fakultät wird exakt nach dem Vorbild deutscher theologischer Fakultäten eingerichtet.55 Auch die zweite große theologische Fakultät Griechenlands in Thessaloniki wurde noch hundert Jahre später mit der gleichen Fächeraufteilung und dem gleichem Studienprogramm errichtet.56 Dass sich bei beiden Fakultätsgründungen weder seitens der Kirchenleitung noch seitens der Theologen Bedenken oder gar Widerspruch gegen die Kopie westlicher Ausbildungsordnungen regte, wird von Yannaras und Zizioulas als Zeichen dafür gewertet, wie stark in jener Zeit die Trennung der Theologie vom Leben der Kirche und die kritiklose Übernahme westlichen Denkens in die orthodoxe Kirche Einzug gehalten hatte.

      Dass die universitäre Theologie nach wie vor auf diese – der orthodoxen Theologie eigentlich unangemessene - Weise strukturiert ist, wird denn auch als wesentlicher Grund dafür gesehen, dass die »babylonische Gefangenschaft« der orthodoxen Theologie bis weit in das 20. Jahrhundert hinein noch nicht überwunden ist. Spezialisierung und Konfessionalismus nennt Zizioulas noch 1980 als die beiden größten Probleme der orthodoxen theologischen Fakultäten.57 Aus der »theologia« der Kirchenväter ist eine akademische Disziplin geworden, deren »Ort« nicht das Leben der Menschen, sondern die Universität ist. Theologie wird zur Wissenschaft, die zergliedert ist in Disziplinen wie Dogmatik, Exegese, Historische Theologie und Moraltheologie. Diese werden von hochspezialisierten Fachvertretern gelehrt, die oft kaum die anderen theologischen Disziplinen, geschweige denn andere Wissenschaften im Blick haben.

      Als Musterbeispiele einer so geprägten orthodoxen Theologie gelten die dogmatischen Handbücher von Christos Androutsos und Panagiotis Trembelas, die noch lange Zeit als Standardwerke galten. Für Yannaras ist Androutsos die »Inkarnation aller möglicher westlicher Einflüsse«.58 Die vernichtende Kritik der Generation der 60er Jahre an den Werken von Androutsos und Trembelas erstreckt sich auf inhaltliche wie auf methodische Punkte,