Dorothea Gnau

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Wissens ist nebensächlich. Von der ganzen Last des theologischen Wissens der Universität ist für uns nur ein Bruchteil von Bedeutung«, heißt es in einem Protokoll der Zoi-Bruderschaft aus dem Jahr 1930.84 Charakteristisch für die Zoi-Bewegung sind denn auch weniger inhaltliche theologische Standpunkte, sondern eher ihr Verhältnis zur und ihr Umgang mit der Theologie. Maczewski beschreibt die Missstände der akademischen Theologie Griechenlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Theologiefeindlichkeit des Mönchtums. Er kommt dabei zu dem Schluss:

      »Durch die Zoi wurde die Theologie aus dieser theoretisierenden Existenz herausgeholt und mitten ins neugriechische Leben hineingestellt. Jetzt hatte sie die Exegese für die Predigt, eine Apologie der orthodoxen Lehre gegenüber den nach Griechenland einströmenden heterodoxen Konfessionen, jetzt hatte sie die Ausarbeitung eines Lehrsystems für die Sonntagsschule bereitzustellen. Sie hatte Richtlinien zu schaffen für die Bibelkreisarbeit und den theologischen Rahmen für die Interpretation der Sakramente und der Liturgie zu setzen. Schließlich kam ihr die Erarbeitung einer ausführlichen Ethik zu, die in der Zoi-Bewegung einen zentralen Rang erhielt. … Nicht mehr Philologie und Philosophie, Historie und Dogmatik, sondern Exegese und Homiletik, Methodik und Pädagogik, Ethik und Liturgik wurden ihr [der Theologie] abverlangt«85

      Unter diesen drei Aspekten ändert sich also in der Zoi-Bewegung die Rolle der Theologie gegenüber der Tradition: Ihre Isolierung vom Leben der Gläubigen soll überwunden werden, sie steht in einer Dienstfunktion für die Verkündigung, und sie wird auf die praktische Theologie beschränkt.86 Gegenüber dogmatischen Themen legt die Zoi-Bewegung in ihren Veröffentlichungen und Aktivitäten eine sehr große Zurückhaltung an den Tag. Man hält an den traditionellen Formulierungen fest, auch wenn deren Inhalt durch die einseitige Betonung einer individualistischen Ethik erhebliche Engführungen erleidet.

      Geradezu paradox mutet es an, dass es in den 60er Jahren gerade die Zoi-Bewegung war, die durch ihre rege Publikationstätigkeit die Schriften der russischen Diaspora-Theologen wie Lossky, Florovsky, Schmemann, Meyendorff u.a. in Griechenland bekannt machte. Sie trug damit selbst maßgeblich zur Verbreitung des Gedankenguts bei, das die Fragwürdigkeit der Zoi-Bewegung erkennen ließ.

      f)Kirchenväter

      Wie die Liturgie erfuhren auch die Kirchenväter neue Aufmerksamkeit. »Die Kirchenväter wurden wieder gelesen, ihre Gedanken meditiert und weitergegeben. Man lebte wieder mit ihnen«, schreibt Maczewski87. Welcher Art die Wiederentdeckung der Kirchenväter ist, wird jedoch gleich in seinem folgenden Satz deutlich: »In Predigten und Evangelisationsreden haben die Zoi-Brüder und ihre Mitarbeiter ständig die Kirchenväter zitiert und sie als Vorbilder des Glaubens hingestellt.« Es ist somit weniger die Lehre der Kirchenväter, die neue Beachtung erfährt; vielmehr dienen auch die Kirchenväter fast ausschließlich als Vorbilder im Glauben und in der Lebensführung. Schon Maczewski räumt ein, dass »der Verzicht der Zoi auf dogmatische Theologie eine adäquate Entfaltung der Vätertheologie nicht möglich [hat] werden lassen.«88 Nicht ihre Theologie, sondern die Lebensführung der Kirchenväter ist von Interesse, d.h. ihre praktische Verwertbarkeit.

      g)Kirche

      Die Zoi-Bewegung wendet sich besonders den Laien zu. Ihr Ziel ist es, die Frömmigkeit der Laien zu unterstützen, sie in ihrem sittlichen Lebenswandel zu fördern und sie aufzufordern, zur Missionierung ihrer Mitmenschen beizutragen. In dieser Form stellt die Praxis der Bruderschaft hinsichtlich des Apostolats und der Führungsstellung von Laien innerhalb der Bewegung Form ein absolutes Novum in der Orthodoxie dar. Selbst die Theologenbruderschaft bestand nur zu einem geringen Teil aus Klerikern. Laien wird der Predigtdienst anvertraut. Vor allem aber sind sie die Träger der Evangelisation in ihren verschiedenen Formen. Die starke Betonung der individuellen Frömmigkeit lässt die Bedeutung der Kirche und - in der Übernahme protestantischen Gedankenguts - die des Amtes in den Hintergrund treten. Die Mitglieder der Bewegung zeichnen sich zudem durch ein ausgesprochen elitäres Selbstverständnis aus, das sich von anderen Gruppen in der Kirche deutlich abgrenzt.89

      Rechtlich ist die Theologenbruderschaft »Zoi« eine Körperschaft des Privatrechts. Institutionell ist sie somit unabhängig von der offiziellen Kirche. Das Verhältnis zwischen der Bewegung und der Kirche bleibt immer problematisch. Lange Zeit überwiegt das Misstrauen der Kirche gegenüber der Zoi, die man als Konkurrentin betrachtet. Später gewinnt sie zunehmend auch innerhalb der Kirche an Einfluss. Dies geschieht direkt durch Zoi-Mitglieder und auch indirekt, indem die Kirche Methoden und Organisationsformen der »Zoi« zum Beispiel im Bereich der Katechese weitgehend übernimmt.90

      Die Zoi-Bewegung ist gekennzeichnet durch eine große Spannung zwischen Kontinuität mit der Tradition und Neuerungen gegenüber der Tradition. Ihr Wirken lässt sich zum einen als Reaktion auf Missstände in der Kirche ihrer Zeit verstehen. Ihr sicherlich in vielem fragwürdiger Reformversuch bedient sich der Formen, die sie im protestantischen Pietismus vorfindet und die sie auf die orthodoxe Situation adaptiert. In dieser Übernahme westlicher Formen führt die Zoi-Bewegung jedoch genau die Entwicklungslinien weiter, die oben für die Geschichte der neuzeitlichen orthodoxen Theologie und Kirche skizziert wurden. Sie überführt diese Entwicklungen in den Bereich der Frömmigkeit. Yannaras sieht darin das schlimmste Beispiel der »Verwestlichung« der Orthodoxie, das in der Zoi-Bewegung gar häretische Dimensionen annehme.91 Das Wirken der Zoi-Bewegung ergänzt das problematische Erbe der griechischen Theologie des 20. Jahrhunderts um eine Form, wie dieses Erbe im Leben der einzelnen Gläubigen Gestalt annimmt. Es ist gekennzeichnet durch eine einseitige Betonung der individuellen Frömmigkeit und eine weitgehende Reduktion des Glaubens auf moralische Fragen.

      32Oft erscheint der Begriff als Eigenname mit Majuskel geschrieben auch nur als »Dekaetía - Jahrzehnt«. Zur Bezeichnung, Bedeutung und Abgrenzung dieser Theologengeneration vgl. die differenzierten und kritischen Analysen von Athanasios Papathanasiou (Schüler von Panagiotis Nellas und Schriftleiter der Zeitschrift Synaxi) in Th. Papathanasiou: image image (Provlimata tis theologias stin Ellada. Dekapente simiomata. – »Probleme der Theologie in Griechenland. Fünfzehn Punkte«), in: Ders.: imageimage, (Anestiotita ki parapemptikotita. Kritikes Prosengisis sta theologika dromena. - »Heimatlosigkeit und Verwiesenheit. Kritische Annäherungen an aktuelle Tendenzen in der Theologie«) Athen 1998, 19-48, 22f. Vgl. auch M. Begzos: Die Rezeption der Aufklärung in Griechenland, ThZ 57 (2001), 326-334 und Ders.: Die Religionsphilosophie in Griechenland (1916-1986), NZSTh 35 (1993), 215-229. Aufgrund ihres Lebensalters und in Abgrenzung sowohl von der Generation ihrer Lehrer als auch von der ihrer Schüler wurde sie auch als die »mittlere Generation« der heute in Griechenland tätigen Theologen bezeichnet. S. z.B. Ware, Foreword, 9f.

      33Vgl. die Formulierungen des Athosmönchs Theoklitos Dionysiatis, der derselben Theologengeneration angehört: »ein Wechsel (image) in der geistlichen und theologischen Ausrichtung, eine Wende (image), oder vielmehr eine Kehrtwende (image) zu den Quellen unserer orthodoxen Väter.«; Ders.: Vorwort zu Nikodimos Agioritis: image, Athen 1974, XI, zitiert nach Papathanasiou, image, 23.

      34Papathanasiou, image, 23f.

      35Zur Problematik der Begriffszuweisung vgl. Papathanasiou, image, 23. Dort