Dorothea Gnau

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Westen« (statt der Zerrformen einer »verwestlichten« orthodoxen Theologie) zum Feindbild zu erklären und setzen dabei oft mit erstaunlicher Ignoranz gegenüber den Entwicklungen im Westen westliche Theologie mit der Neuscholastik gleich.94

      2.Russische Theologen in der Diaspora

      Erheblichen Anteil an den Umbrüchen in der griechischen Theologie hatten weiterhin die russischen Theologen, die nach der Russischen Revolution nach Frankreich bzw. Amerika emigrierten. Zu nennen sind hier die Namen derjenigen Theologen, die über lange Zeit als die Vertreter moderner orthodoxer Theologie galten: Paul Evdokimov, Sergej Bulgakov, Alexander Schmemann, Nikolas Afanas'ev, John Meyendorff und vor allem auch Vladimir Lossky und Georges Florovsky.95

      Mit den Namen dieser orthodoxen Exiltheologen verbinden sich die Zentren ihrer Aktivität: das Theologische Institut St. Serge in Paris und das St. Vladimir's Seminary in New York.96 Durch diese Theologen trat die Orthodoxie in einer neuen Weise mit dem Westen in Kontakt. Gerade in den beiden Zentren Paris und New York ergaben sich vielfältige persönliche Kontakte zwischen einzelnen Vertretern beider Gruppen.97 Theologen der östlichen Tradition lernten hier westliche Theologie ihrer Zeit neu kennen, vor allem auch das im Westen neu erwachte Interesse an der griechischen Kirchenvätertradition. Ihrerseits machten die orthodoxen Theologen die eigene theologische Tradition im Westen neu bekannt. Diese Kontakte prägten und fanden ihren fruchtbaren Niederschlag in der erneuerten Form moderner orthodoxer Theologie, die die genannten orthodoxen Theologen entwickelten und auf die noch näher einzugehen ist.

      3.Ökumenische Bewegung

      Schließlich hat auch die Ökumenische Bewegung einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der orthodoxen Theologie des 20. Jahrhunderts beigetragen. Insbesondere im Rahmen der Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen (dort vor allem in der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung »Faith and Order«) wurden die beteiligten orthodoxen Theologen mit einer Reihe neuer ekklesiologischer Fragen konfrontiert. Besonders Hamilkar Alivisatos und Georges Florovsky haben nicht nur durch ihre eigene Arbeit, sondern auch durch die der Schüler, die sie betreuten, einen bedeutsamen Beitrag dazu geleistet, dass die orthodoxe Theologie auf die Herausforderung der Ökumenischen Bewegung antworten konnte.98 Umgekehrt wird auch die Ökumenische Bewegung durch den neu entstehenden Austausch zwischen ostkirchlichen und westlichen Theologen befruchtet, zumal es auf orthodoxer wie auch auf protestantischer und katholischer Seite oft dieselben Personen sind, die sowohl für die Neuaufbrüche in der Theologie stehen und als auch sich im Ökumenischen Dialog engagieren.

       II.Kontakte

      1.Kontakte im universitären Bereich

      Die erwähnten Entwicklungen im Ausland wurden zunehmend auch durch griechische Theologen wahrgenommen. Vor allem durch ihr Studium im Ausland, in Frankreich, Amerika, Deutschland und der Schweiz kamen junge griechische Theologen in Kontakt mit den führenden russischen Theologen der Diaspora sowie mit katholischen und protestantischen Theologen, die versuchten, in der Theologie neue Wege zu gehen. Auch Nellas, Yannaras und Zizioulas absolvierten einen Teil ihrer Studien im Ausland. Die Liste ihrer akademischen Lehrer liest sich als Liste der großen Namen der Theologen dieser Zeit. Über den normalen Wissenschaftsbetrieb hinaus waren es vor allem solche direkten Kontakte, durch die die Neuerungen nach und nach Einzug in die universitäre Theologie Griechenlands hielten. Einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung der modernen Ansätze in Griechenland leistete hierbei ein inoffizieller Theologenkongress, zu dem sich jährlich junge Theologen, von denen die meisten im Ausland studiert hatten, wechselnd in verschiedenen Diözesen Griechenlands trafen.99

      2.Kontakte im außeruniversitären Bereich

      Eine wichtige Rolle für den theologischen Werdegang von Nellas und Yannaras und viele andere ihrer Generation spielte ein Kreis von Theologen, anderen Intellektuellen und Künstlern, der sich um den Philosophen und Theologen Dimitris Koutroubis (1921-1983) bildete. Diese »mit ‚Mythen' umwobene Persönlichkeit«100 mit einer bewegten Biographie ist zwar heute sogar bei griechischen Theologen weitgehend in Vergessenheit geraten; Koutroubis hat jedoch seine Schüler menschlich wie theologisch so stark geprägt, dass Yannaras die moderne griechische Theologie in »die Zeit vor und die Zeit nach Koutroubis« einteilt.101

      Dimitris Koutroubis studierte zunächst Medizin in Athen. Nach einer schweren Krankheit wandte er sich zunehmend theologischen Fragen zu. In dieser Zeit befasste er sich intensiv mit ignatianischer Spiritualität, konvertierte schließlich zum katholischen Glauben und trat in den Jesuitenorden ein. Er ging ins Ausland und verbrachte dort viele Jahre. Zunächst studierte er Philosophie in Oxford und Theologie in Lyon. Dort kam er in Kontakt mit bedeutenden Theologen seiner Zeit. Teilhard de Chardin, Jean Daniélou und Henry de Lubac gehörten zu seinen Lehrern. Später wurde Koutroubis Philosophieprofessor in Beirut. In dieser Zeit wandte er sich wieder stärker dem orthodoxen Glauben zu, trat aus dem Jesuitenorden aus, gab seine Philosophieprofessur in Beirut auf und kehrte nach Athen zurück, wo er mittellos in sehr einfachen Verhältnissen lebte. Menschlich wie theologisch gehörte er zu den herausragenden Persönlichkeiten seiner Zeit. Koutroubis starb 1983 in England.

      Über Elias Mastrojannopoulos, eine der führenden Gestalten in der Zoi-Bewegung, hatte Koutroubis Kontakt zur Zoi-Bruderschaft bekommen, deren weiteres Schicksal er bedeutend beeinflusste. »Es ist allgemein anerkannt, dass seine [Koutroubis'] Präsenz und die 'Schule', die er schuf, … zu den entscheidenden Faktoren gehörten, die in den vergangenen Jahren die pietistischen Bewegungen durcheinandergebracht und geschwächt haben.«102 Vor allem in den Kreisen der jüngeren Mitglieder der Zoi-Bewegung wurden in dieser Zeit zunehmend die Defizite der Bewegung wahrgenommen. Es gab daraufhin zunächst innerhalb der Zoi-Bruderschaft Bemühungen um eine Neuorientierung und um eine intensivere Auseinandersetzung mit theologischen Fragen. Durch Koutroubis kamen die jungen Theologen zum ersten Mal mit dem Gedankengut seiner theologischen Lehrer in Berührung. Er übersetzte die russischen Theologen der Diaspora und brachte seinen Schülern fast vergessene geistliche Schriftsteller wie Gregorios Palamas und Nikolaos Kabasilas nahe.

      »Es waren just die Einführung eines für die 'Zoi'-Verhältnisse revolutionären theologischen Denkens, dessen Hauptvertreter die russischen Theologen der Diaspora (Florovsky, Meyendorff, Schmemann, Lossky, Evdokimov usw.), aber auch römisch-katholische Theologen des Formats eines Teilhard de Chardin, Daniélou usw. …, die theologische Armut und Desorientierung (in orthodoxer Hinsicht) der gesamten 'Zoi'-Bewegung und ihrer theologischen Grundlagen bloßstellten. …

      Erst durch die Diskussionen und Kontakte mit Koutroubis wurde vor allem den jungen Kadern der Bruderschaft deren pietistischer Geist und vor allem ihre Provinzialität deutlich.«103

      Die Differenzen in der Zoi-Bewegung spitzten sich - auch durch den Einfluss von Koutroubis - zu und führten schließlich zu der oben bereits erwähnten Austrittswelle junger Theologen aus der Bruderschaft. Nach ihrem Austritt aus der Bruderschaft bildete sich ein Kreis von Theologen und anderen Intellektuellen und Künstlern um Koutroubis, der zu einem wichtigen außeruniversitären Diskussionsforum der neuen Theologie wurde. Zu diesem Kreis gehörten auch Panagiotis Nellas und Christos Yannaras.

      1964 bis 1967 erschien vierteljährlich die Zeitschrift »image« (Synoro – »Grenze«). Ihre Redaktion wurde von Mitgliedern aus dem Kreis um Koutroubis gebildet. Sie wollte im Grenzgebiet zwischen Theologie und Wissenschaft, »zwischen systematischer Reflexion und künstlerischen Ausdruck, zwischen orthodoxer Tradition und zeitgenössischem Denken und zeitgenössischer Kunst« angesiedelt sein.104 Die Autoren bedienten sich – ungewöhnlich für eine theologische Zeitschrift in der damaligen Zeit – der Volkssprache »Dhimotiki« und setzten auch dadurch ein deutliches Zeichen. Themen, mit denen sie sich auseinander setzte, waren »Orthodoxie und Marxismus« oder