Dorothea Gnau

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die je neu in der ungebrochenen Tradition der Kirche erfolgt. Ihr theologischer Ausgangspunkt und ihr Kriterium ist das »Leben in Christus«, wie es sich in und durch die Kirche mitteilt. Das »Kriterium neopatristischer Theologie ist die Katholizität der Kirche«.114 Insofern impliziert die Rückkehr zu den Vätern Kirchlichkeit. Es darf den Theologen »nicht so sehr [darum gehen,] ihre eigenen Ideen oder Sichtweisen zu entwickeln, sondern nur Zeugnis abzulegen für den unbefleckten Glauben von Mutter Kirche.«115

      Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum es für Florovsky und in seinem Gefolge auch für seine Schüler von so entscheidender Bedeutung ist, dass trotz aller Fehlentwicklungen in der neuzeitlichen orthodoxen Theologie die spirituelle und liturgische Tradition ungebrochen blieb. Zugleich erhellt daraus auch, warum es aus der Sicht der Theologen der neopatristischen Synthese so dringend notwendig ist, die falsche Trennung zwischen wissenschaftlicher Theologie und dem Leben der Kirche zu überwinden und ihre Einheit wiederherzustellen. Diese Einheit von Theologie und Leben der Kirche ist der Ermöglichungsgrund für eine kreative Rückkehr zu den Vätern. Sie allein kann die Kontinuität in der Wahrheit wahren und damit gewährleisten, dass die Kirche nicht von der Wahrheit der Orthodoxie abweicht. Die Übereinstimmung mit der Tradition der Kirche ist deshalb auch das Kriterium für die Unterscheidung der Geister im Umgang mit den Herausforderungen der eigenen Zeit, z.B. beim Prüfen moderner Philosophie.116

      »Nicht darin liegt die Überwindung des westlichen Ärgernisses für die orthodoxe Theologie, dass man die westlichen Ergebnisse ablehnt oder gar umstößt, sondern darin, dass man sie überwindet und in neuer schöpferischer Tätigkeit übertrifft. Nur die schöpferische Rückkehr zu den eigenen und alten Tiefen wird für den orthodoxen Gedanken selbst ein echtes 'Gegengift' gegen die offenen und verborgenen oder noch gar nicht erkannten sogenannten 'westlichen Vergiftungen' sein. Die orthodoxe Theologie ist berufen, auf die westlichen Fragen aus den Tiefen ihrer ununterbrochenen Erfahrungen zu antworten und den Schwankungen des westlichen Gedankens die unveränderliche Wahrheit der väterlichen Orthodoxie gegenüberzustellen«117

      Als beispielhaft für eine solche Synthese gelten die griechischen Kirchenväter. Ihnen ist es gelungen, die biblische Botschaft in ihrer existentiellen Bedeutung für das Leben des Menschen vor der Herausforderung und in den Begriffen der hellenistischen Philosophie auszudrücken. Hierfür hat Florovsky den Begriff des »Christlichen Hellenismus« geprägt, den er bereits beim Ersten Theologischen Kongress 1936 ins Gespräch brachte. Sein Vortrag »Patristics and Modern Theology« mündet deshalb in den Appell: »Laßt uns griechischer sein, um wirklich katholisch, um wirklich orthodox zu sein.«118 In der Rezeption der Neopatristischen Synthese in Griechenland, vor allem auch in der Theologie von Ioannis Zizioulas, wird der Begriff des »Christlichen Hellenismus« weiter ausgearbeitet und erhält besonderes Gewicht. Allerdings bot er sich auf dem Hintergrund der speziellen Beziehung von religiöser und nationaler Identität in Griechenland geradezu dazu an, um missverstanden, politisch ausgeschlachtet und missbraucht zu werden.

      Die von Florovsky und anderen auf den Weg gebrachten Veränderungen wurden in der Folgezeit von so vielen orthodoxen Theologen und so weitgehend rezipiert, dass ihre Schwerpunkte inhaltlicher wie methodologischer Art heute weitgehend als Charakteristika »typisch orthodoxer« Theologie gelten.

       II.Methodische Konsequenzen

      Die von Florovsky und anderen erhobene Forderung nach einer Rückkehr zu den Vätern in der Form einer »neopatristischen Synthese« zieht entscheidende Konsequenzen auf der methodischen Ebene nach sich. Quellen und Grundlage des Theologietreibens sind nun nicht mehr nur wissenschaftliche theologische Abhandlungen. Vielmehr werden in Übereinstimmung mit dem Theologieverständnis der Väter auch Liturgie und liturgische Texte als Quelle für die und als Gegenstand der Theologie wiederentdeckt. Gleiches gilt für andere Texte der geistlichen Tradition.119

      In der bis dahin vorherrschenden akademischen Tradition wäre es nicht denkbar gewesen, liturgische Texte als Basis einer systematisch-theologischen Abhandlung heranzuziehen. Dass heute eine maßgebliche Richtung innerhalb der gegenwärtigen orthodoxen Theologie sich als »Eucharistische Theologie« versteht, markiert deutlich den erfolgten Paradigmenwechsel. Von einem Unterkapitel der Sakramentenlehre, das vielleicht darüber hinaus noch innerhalb der praktischen Theologie behandelt wird, wird die eucharistische Erfahrung zum Kristallisationspunkt für Ekklesiologie, Christologie und Trinitätslehre. Liturgie wird zum integralen Bestandteil der Theologie, dem entscheidender Erkenntniswert für dogmatische Aussagen zukommt. Analoges gilt für die Ikonen als Ausdruck geistlicher Erfahrung. In der orthodoxen Theologie des 20. Jahrhundert wird eine Ikonentheologie entwickelt, die der Aussage der Ikone einen dogmatisch relevanten Rang zuerkennt.

      Die Veränderungen in der Methodik zeigt auch ein Blick in die Bibliographien der theologischen Abhandlungen. Diejenigen Kirchenväter, deren Texte jetzt die Grundlage für neuere Ansätze bilden, wurden zuvor in der Tradition der »akademischen« dogmatischen Handbücher kaum zitiert. So erleben die Schriften von Pseudo-Dionysios Areopagita, Johannes Climacus, Maximus Confessor, Symeon dem Neuen Theologen u.a. eine wahre Renaissance. Textsammlungen aus der geistlichen Tradition wie die Philokalie oder die Apophthegmata Patrum rücken wieder in das Zentrum des Interesses und werden Gegenstand theologischer Wissenschaft. Eines der eindrücklichsten und bekanntesten Beispiele für diese Veränderung in der theologischen Methodik ist die zum Klassiker gewordene »Theologie der morgenländischen Kirche« von Vladimir Lossky, die das »in unserem Sinne 'theologische' Problem, die Frage der Gotteserkenntnis, anhand der Schriften vorwiegend asketischer Schriftsteller behandelt«.120 Wie noch zu zeigen ist, hat dieses Buch zudem auch einen wichtigen Beitrag zur erkenntnistheoretischen Reflexion des erwähnten Paradigmenwechsels geleistet.

      Auch die Themen der frühen Arbeiten, (z.B. der Dissertationen) von Nellas, Yannaras und Zizioulas zeigen dieselbe Tendenz, sich solchen Theologen zuzuwenden, die zuvor kaum Beachtung gefunden haben: Zizioulas arbeitet über Maximus Confessor, Nellas über Nikolaos Kabasilas und Yannaras über Pseudo-Dionysios Areopagita.

       III.Themenfelder orthodoxer Theologie des 20. Jahrhunderts

      Neuerungen auf der Ebene der Methodologie stehen in Wechselbeziehung zu veränderten Inhalten, denen sich die Theologen der Neopatristischen Synthese zuwenden. An den Themenfeldern, die in der neueren orthodoxen Theologie dominieren, zeigen sich die Einflüsse der westlichen Theologie ebenso wie die Notwendigkeit, die methodische Neuorientierung weiter theologisch zu reflektieren und schließlich auch die Themen, die in den Texten der Kirchenväter und der geistlichen und liturgischen Tradition behandelt werden. Das Bemühen, die existentiellen Fragen des heutigen Menschen ernst zu nehmen und der modernen Welt vorurteilsfrei und offen zu begegnen hatte zusammen mit der grundsätzlichen methodischen Neuorientierung zur Folge, dass man sich in systematischen Arbeiten vor allem den großen, grundsätzlichen Themen zuwandte. Hier versuchte man, die zentralen Gedanken der Theologie der Kirchenväter neu herauszuarbeiten, um so wieder zu einer ursprünglicheren, »eigentlich orthodoxen« Theologie zu gelangen.121 Wenn im Folgenden einige dieser Themenfelder, die in der orthodoxen Theologie des 20. Jahrhunderts diskutiert werden, kurz skizziert werden, so geschieht dies nicht nur, um deutlich zu machen, in welchem theologischen Umfeld die Entwürfe von Panagiotis Nellas, Christos Yannaras und Ioannis Zizioulas entstanden sind. Es werden darüber hinaus bereits hier einige Grundzüge orthodoxer Theologie erkennbar, die oft als »typisch« oder unterscheidend orthodox charakterisiert werden.122

      1.Pneumatologie

      Ein wichtiges Themenfeld in der neueren orthodoxen Theologie ist die Pneumatologie. In der Thematik des »Filioque« (der trinitätstheologischen Frage nach dem Hervorgang des Heiligen Geistes aus Vater und Sohn bzw. nur aus dem Vater) bildet sie den traditionellen Konfliktpunkt zwischen der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche, der im unterschiedlichen Trinitätsverständnis in der Ost- und der Westkirche begründet liegt. Im 20. Jahrhundert erfährt die Pneumatologie aber nicht nur als