Bernhard Görg

Dürnsteiner Himmelfahrt


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unpassend. Aber was sollte er tun? Nach kurzem Zögern, aber noch bevor er Platz in einem der höchst bequem wirkenden Fauteuils nahm, entschied er sich, den Stier bei den Hörnern zu packen, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Nebenbei eine geradezu geniale Kombination von Sprichwörtern, wie er fand. »Ich glaube, es ist besser, mit dem Kaffee noch eine Minute zu warten. Ich muss Ihnen vorher noch etwas sagen, von dem ich hoffe, dass es Sie nicht zu schwer treffen wird.«

      Jetzt sah er so etwas wie Überraschung in den Augen seiner Gesprächspartnerin. Gemischt mit einer Spur von Entsetzen, wie seinem geschulten Blick nicht verborgen blieb.

      »Aber vielleicht setzen wir uns erst einmal«, fuhr er fort. Er wusste, dass er sich nicht einfach in den Sessel plumpsen lassen durfte, wie er es bei sich zu Hause gern tat. Aber setzen wollte er sich, um die Witwe dazu zu animieren, es ihm gleichzutun. So nahm er vorsichtig am Rand des Fauteuils Platz.

      Auch Frau Haberl setzte sich; und zwar so beunruhigt, dass es sicher auch einer so unroutinierten Kollegin wie Kathi aufgefallen wäre.

      Jetzt kam für ihn natürlich der schwerste Teil des Gesprächs. Aber da musste er durch. »Zunächst habe ich eine durchaus erfreuliche Nachricht für Sie. Ich weiß natürlich, dass alles relativ ist, aber immerhin.« Wie er schnell sehen konnte, erzielte seine Eröffnung nicht die gewünschte Wirkung.

      Der Gesichtsausdruck von Frau Haberl wechselte von Beunruhigung zu Verärgerung. »Herr Frisch, würden Sie jetzt endlich die Güte haben, mir zu sagen, was los ist.«

      Aha, jetzt war er nicht einmal mehr der Herr Inspektor, sondern nur ein ganz gewöhnlicher Herr Frisch. »Dazu komme ich ja gerade. Die positive Nachricht ist, dass Ihr Mann überhaupt nicht hat leiden müssen.«

      Im Gesicht der Witwe machte sich blankes Entsetzen breit. »Wollen Sie mir sagen, dass mein Mann tot ist?«

      Es war endlich ausgestanden. »Ja, leider. Ich wollte es Ihnen nur so schonend wie möglich beibringen.«

      »Das ist Ihnen ja toll gelungen!« Frau Haberl schwieg für eine Weile, um dann ganz ungläubig den Kopf zu schütteln, ohne den Gruppeninspektor anzusehen. »Ich habe immer gewusst, dass ihn seine Raserei noch einmal ins Grab bringen wird. Ist es auf der Wachaustraße passiert?« Ohne eine Antwort abzuwarten, begann sie zu weinen.

      Felix Frisch nahm ganz sacht ihre Hand. »Es war kein Autounfall. Ihr Mann ist in einem Weingarten zwischen Weißenkirchen und Dürnstein über eine Mauer gestürzt und hat sich dabei das Genick gebrochen. Der Arzt ist sicher, dass er sofort tot gewesen ist.«

      Felix Frisch sah, dass sich im Gesicht der Frau trotz ihres Schmerzes ein ganz leichtes Lächeln zeigte. »Es platzen ja im Laufe eines Lebens viele Träume. Aber sicher wenige so tragisch. Mein Mann hat nämlich seit einiger Zeit vom Kauf eines Weingartens geträumt. Für die Pension.« Das Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war, um einem Strom von Tränen Platz zu machen.

      Er wusste, dass er jetzt nichts sagen durfte.

      Nach einer Weile zog Frau Haberl aus einer Tasche ihrer Hose ein Taschentuch und wischte sich damit die Tränen ab. Dann gab sie sich einen Ruck und hob den Blick. »Halten Sie es für möglich, dass der Tod mit dem Einbruch vor vier Wochen zu tun hat?«

      Der Gruppeninspektor war über die Frage verblüfft, fing sich aber schnell. »Völlig ausgeschlossen. Ist ein stinknormaler Unfall gewesen.« Ihm war sofort klar, dass er den Begriff »stinknormal« besser nicht verwendet hätte. Um seinen Fehler zu überspielen, fügte er gleich hinzu: »Der Arzt will zwar noch mit dem Staatsanwalt reden. Vielleicht möchte der, um auf der ganz sicheren Seite zu sein, eine Obduktion veranlassen. Aber den Aufwand können sich die Herren meiner Meinung nach sparen. Hinausgeschmissenes Geld des Steuerzahlers. Das ist ein reiner Unfall gewesen, so wahr ich Gruppeninspektor bin. Ein höchst bedauerlicher zwar«, – er gratulierte sich, dass er nicht ein zweites Mal von einem ›stinknormalen‹ Unfall gesprochen hatte – »aber eben ein Unfall. Da fährt die Eisenbahn drüber.«

      Montag, 20. Juni 08 Uhr 31

      Erich hatte ihr einen mehr als üppigen Geburtstagsstrauß geschenkt. Lilien und zart duftende rot-orange-gelbe Tulpen. ›Feuertulpen‹ hatte Erich sie genannt. Eine traumhafte Kombination. Umso leichter war es ihr gefallen, die lachsfarbenen und gelben Rosen, die ihr der Landeshauptmann am Schiff überreicht hatte, übers Wochenende im Kühlschrank zu lagern, um sie halbwegs frisch zu halten. Heute schmückte sie mit den Rosen den Schreibtisch in ihrem Büro. Allerdings war es im Kühlschrank möglicherweise zu kalt gewesen. Die Rosen neigten bereits sanft die Köpfe. Spätestens am Mittwoch würde es mit ihrer Pracht und Herrlichkeit vorbei sein. Aber sich noch zwei Tage an schönen Rosen erfreuen zu können, war ja auch nicht zu verachten.

      Vor ihr lag die Montag-Ausgabe des Niederösterreichischen Tagblatts, das natürlich eine ausführliche Reportage über die Sonnwendfeier des Herrn Landeshauptmanns brachte. Zwei Seiten. Garniert mit vielen Fotos. Davon eines besonders groß, das den Innenminister und den Landeshauptmann zeigte, die gerade dabei waren, ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Doris Lenhart hielt sich nicht für besonders fotogen, auch wenn ihr Mann, seitdem sie ihn kannte, sich immer bemühte, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Aber selbst sie hielt dieses Foto für sehr gelungen. Und dann noch der Text! Stern am niederösterreichischen Polizeihimmel. Das hatte ganz sicher nicht ihr Chef dem Landeshauptmann souffliert. Sie stellte sich vor, dass auch Wolfgang Marbolt jetzt an seinem Schreibtisch saß und das Tagblatt las. Ganz sicher deutlich weniger entspannt als sie. Kurz überflog sie die in der Reportage angeführten Namen der Gäste. Fast alle Mitglieder der Landesregierung, mehrere Schauspieler, zwei Opernstars und ein weltbekannter Pianist. Den Namen ›Marbolt‹ fand sie nicht. Obwohl sie das Ehepaar, da war sie sicher, kurz vor dem Ablegen der MS Austria in Krems an Bord gesehen hatte. Diese Nicht-Erwähnung würde der Herr Landespolizeidirektor nur schwer verkraften.

      Die Art, wie ihr Stellvertreter die Türklinke drückte, hätte sie unter hundert anderen Klinkendrückern erkannt. Nicht deswegen, weil er niemals anklopfte. Obwohl ihn das auch auszeichnete. Sondern weil er die Klinke nach dem Drücken einfach aus seiner Hand rutschen ließ, was stets ein unverwechselbares metallisches Schnalzen zur Folge hatte. Heute war es nicht anders. Allerdings kam er ihr, als er mit seinem im ganzen Büro berühmten Grinser im Gesicht hereinkam, irgendwie verändert vor.

      Er winkte mit dem Niederösterreichischen Tagblatt.

      Das entlockte auch ihrem Gesicht ein Grinsen und hinderte sie daran, weiter darüber nachzudenken, was heute an Gerhard Malzacher anders war.

      »Ich war fast versucht anzuklopfen. Einem Stern am Himmel der niederösterreichischen Polizei würde das zustehen. Dann habe ich es aber doch bleiben lassen.«

      »Und warum, wenn ich fragen darf?« Die Frage sollte streng klingen, aber sie wusste, dass sie ihr Gesicht Lügen strafen würde.

      »Weil du dich sonst daran gewöhnen würdest.« Er kam drei Schritte näher – mehr hätte ihr kleines und enges Büro auch gar nicht zugelassen – und fläzte seine 120 Kilo in den vor ihrem Schreibtisch stehenden Sessel, ohne ihre Einladung dazu abzuwarten.

      Sie fixierte seinen Bauch, was sie in ähnlichen Situationen schon Hunderte Male getan hatte. Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. »Wie lange bin ich jetzt deine Chefin?«

      »Mindestens fünf Jahre.«

      »Und in diesen fünf Jahren habe ich noch nie erlebt, dass dein unterster Hemdknopf über dem Bauch zugeknöpft gewesen wäre. Ist heute eine echte Premiere.«

      Gerhard Malzacher, den im Büro alle wegen seiner Ähnlichkeit mit der Filmfigur Bud Spencer nur ›Spencer‹ nannten, beugte sich vor, um sein über dem Bauch straff gespanntes Hemd inspizieren zu können.

      »Tatsächlich. Wahrscheinlich doch eine Verbeugung vor dem Stern am Polizeihimmel.«

      »Wer’s glaubt, wird selig. Aber die Hauptsache ist, dass ich nicht deinen Bauchnabel anstarren muss.«

      »Dem ich aber nur wegen dir regelmäßige Pflege angedeihen lasse.«

      »Jetzt reicht’s aber, mein Freund. Hat