von Handlungsmöglichkeiten, um eine Situation selbstorganisiert zu bewältigen. Man spricht dabei von einem ganzheitlichen Handlungsrepertoire, einer (Selbstorganisations-)Disposition oder von Ressourcen. Handlungskompetenzen sind komplex und nicht zwingend die Summe von Teilkompetenzen (vgl. Hundenborn & Kühn-Hempe 2006).
Die folgende Definition von Handlungskompetenz ist grundlegend für das Verständnis des Begriffs in diesem Buch. Sie ist eine Zusammenführung der beiden aktuellen Begriffsbestimmungen der nationalen, zuständigen Stellen in Deutschland (vgl. KMK 2007) und der Schweiz (vgl. SBFI 2017). Sie bezieht zudem die Definition von Erpenbeck (2009) ein.
Definition
Handlungskompetent ist, wer komplexe und zukunftsoffene Situationen eigeninitiativ, zielorientiert, fachgerecht, situationsgerecht und sozial verantwortlich bewältigt.
Doch was bedeuten die verschiedenen Begriffe, die in der Definition verwendet werden? Der Begriff «Situation» ist umfassend und schließt berufliche, gesellschaftliche und private Situationen ein. Komplex ist eine Situation, wenn sie vielschichtig und fachübergreifend ist. Es gilt, verschiedene Aspekte, Perspektiven und Rahmenbedingungen für die Bewältigung zu berücksichtigen. Eine kompetente Person muss mit unscharfen oder fehlenden Zielvorstellungen und Unbestimmtheit umgehen können. Nicht immer ist voraussehbar, wie die Situation bewältigt werden kann und welche Konsequenzen damit verbunden sind. Deshalb passt die Charakterisierung «zukunftsoffen».
Bei der Beschreibung der Begriffe «eigeninitiativ», «zielorientiert», «fachgerecht», «situationsgerecht» und «sozial verantwortlich» nehme ich Bezug [Hinweise in eckigen Klammern] auf die in den Abschnitten 1.1.3 und 1.1.4 beschriebenen Kompetenzmodelle «Wissen x Können x Wollen» beziehungsweise «Fach-, Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz».
«Eigeninitiativ» äußert den Anspruch, eine berufliche Situation nicht nur selbstständig im Sinne von allein und ohne Hilfe von Dritten auszuführen, sondern bewusst, gewollt und selbstorganisiert. «Eigeninitiativ» geht im Erfüllungsgrad also über «selbstständig» hinaus. Eine (Arbeits-)Situation soll demnach aus eigenem Antrieb beziehungsweise aus eigener Initiative gemeistert werden können. Die Eigeninitiative ist eine Ausprägung der Kompetenzdimension [Wollen] (siehe Abschnitt 1.1.3) beziehungsweise des Kompetenzbereichs [Selbstkompetenz] (siehe Abschnitt 1.1.4).
«Zielorientiert» ist ein weiterer Anspruch, wie berufliche Aufgaben und Tätigkeiten auszuführen sind. Es geht dabei darum, eine berufliche Handlung geplant und auf das Ergebnis ausgerichtet durchzuführen. Dabei ist es wichtig, die entsprechenden Ziele zu kennen und zu verstehen. Das Vorgehen ist systematisch, methodisch abgestützt und stringent im Sinne von logisch und schlüssig. Zielorientierung drückt einen Aspekt von Professionalität aus. Um zielorientiert vorgehen zu können, muss man über Fachwissen verfügen [Wissen/Fachkompetenz, Methodenkompetenz] und einen Antrieb haben, die Situation selbstorganisiert zu bewältigen [Wollen/Selbstkompetenz]. Ein günstiges Vorgehen erfolgt geplant und mit priorisierten Arbeitsschritten. Es wendet zweckdienliche Methoden und Verfahren an [Können/Methodenkompetenz]. Dabei ist in der beruflichen Realität nicht immer klar, was das Ergebnis des Vorgehens sein wird. Die Arbeitssituation kann demnach zukunftsoffen sein.
Eine Arbeitshandlung wird dann fachgerecht ausgeführt, wenn sie vorhandenen Qualitäts- und Ausführungsstandards oder den Gepflogenheiten des entsprechenden Berufs beziehungsweise des Fachs (Handwerk, Industrie, Dienstleistung etc.) entspricht. Das setzt eine gewisse Komplexität der Situation voraus. Für die Bewältigung von einfachen Situationen braucht es keine hohe Handlungskompetenz. Laien können beispielsweise Wände streichen, die danach in einer neuen Farbe erstrahlen. Sie machen das in der Regel aber nicht fachgerecht und erfüllen damit nicht den Anspruch, handlungskompetent zu sein. Laien tragen zum Beispiel zu viel Farbe auf. Es entstehen Tropfenläufe oder Flecken durch unregelmäßige Rollenführung. Eine Fachperson wird hingegen eine Fläche so streichen können, dass sie auch im Streiflicht regelmäßig erscheint. Sie arbeitet fachgerecht [Wissen, Können/Fachwissen, Methodenkompetenz] und somit handlungskompetent. Oder anders formuliert: Das beobachtbare Verhalten sowie das daraus resultierende Ergebnis erfüllen die Erwartungen von Fachpersonen [Wissen, Können/Fachkompetenz, Methodenkompetenz].
Um in beruflichen sowie in gesellschaftlichen und sozialen Situationen – dies müssen nicht zwingend Probleme sein – situationsgerecht beziehungsweise flexibel reagieren zu können, muss eine Person über entsprechendes spezifisches Fachwissen sowie über ein Handlungsrepertoire verfügen. Diese ermöglichen es ihr, Probleme oder sich verändernde Situationen mit einem möglichst kleinen Aufwand in der verlangten Ausführungsqualität zu bewältigen [Wissen, Wollen, Können/Fachkompetenz, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Methodenkompetenz].
Moralische und soziale Kompetenzen sind in manchen Berufen sehr zentral, was in der Definition mit «sozial verantwortlich» beschrieben wird. Damit sind auch moralische und soziale Aspekte einer Handlung abgedeckt. Zum Beispiel in Pflege- und Betreuungsberufen sowie in Berufen mit direktem Kundenkontakt [Wissen, Können, Wollen/Sozialkompetenz] ist sozial verantwortliches Handeln wichtig.
Die Begriffe «Rollenverständnis als Berufsperson» beziehungsweise «Berufsstolz» sind in den Begriffen «eigeninitiativ», «zielorientiert», «fachgerecht» und «situationsgerecht» eingeschlossen [Wollen/Selbstkompetenz].
1.1.3 Drei Kompetenzdimensionen
Bei der Beschreibung des Kompetenzbegriffs in Abschnitt 1.1.1 wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich Kompetenz modellhaft als Ausprägung von drei Dimensionen beschreiben lässt. Diese drei Dimensionen einer Kompetenz sind Wissen, Wollen und Können.
Die Dimension «Wissen» umfasst kognitive Leistungen wie Lernen, Denken, Urteilen, Verstehen, Erkennen von Zusammenhängen etc. Somit bezeichnet Wissen die Möglichkeit, Informationen zu verarbeiten, und bildet damit die Grundlage für das (kognitive) Bewältigen von Situationen. Es ermöglicht eine Auseinandersetzung (Reflexion) mit Erfahrungen und Erlebnissen (vgl. Kaufhold 2006). Im Zusammenhang mit der Orientierung an Handlungskompetenzen wird häufig kritisiert, (Fach-)Wissen hätte gegenüber der Wissensorientierung an Bedeutung verloren. Das stimmt so nicht. Fach- und Faktenwissen ist auch bei der Kompetenzorientierung zentral. Wissen ist eine der drei Kompetenzdimensionen und darum bedeutungsvoll: Ohne Wissen keine Kompetenz! Relevantes Wissen soll tief, fokussiert und an übergeordneten Theorien, Methoden, Strategien und Modellen ausgerichtet sein.
Die Kompetenzdimension «Können» umfasst die Bereiche Fähigkeiten und Fertigkeiten. Fähigkeit ist die körperliche und geistige Voraussetzung eines Menschen, mit der er Leistungen erbringt oder eben Situationen erfolgreich bewältigt: «Eine Person ist dank ihres kräftigen Körperbaus fähig, 25 Kilogramm schwere Zementsäcke problemlos zu heben.» Davon unterscheiden sich die Fertigkeiten (engl. skills). Diese stellen die erworbenen Anteile eines Verhaltens dar und können durch Üben so erlangt werden, dass sie auch unbewusst stattfinden können. Beispiele dafür sind Lesen, Schreiben, Rechnen, Sprechen, Autofahren, Schrauben anziehen oder Computerprogramme installieren.
«Wollen» vervollständigt die drei Dimensionen der Kompetenz. Mit Wollen sind Werte und Einstellungen (vgl. z.B. Walzik 2012) sowie Motive und das Gefühlsleben (emotionale Disposition) gemeint (vgl. z.B. Kaufhold 2006). Situationen und Herausforderungen lassen sich nur mit entsprechendem Antrieb beziehungsweise entsprechender Bereitschaft und Motivation bewältigen. Solche Treiber können unter anderem Bedürfnisse, persönliche Beziehungen sowie Grundhaltungen gegenüber Dingen, Aufträgen, Situationen sein. Auch die Bedeutsamkeit einer Handlung kann sinnstiftend sein und sie auslösen. Die Treiber beeinflussen die Qualität von Handlungen und ihrer Ausführung.
Eine anschauliche Darstellung der Kompetenzausprägung präsentiert Schubiger (2013) in seinem Lernprozessmodell RITA (siehe Abbildung 1). Er stellt die Kompetenzausprägung als einen Quader mit den drei Dimensionen «Wissen», «Können» und «Wollen» dar [Kompetenz = Wissen x Wollen x Können]. Je stärker eine Dimension ausgeprägt ist, desto größer wird das Volumen des Quaders und somit die Kompetenzausprägung.
Kompetenzausprägung