zu simulieren und zu überprüfen sind. So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob ein Fachangestellter Gesundheit mit einer dementen Patientin allein in einer realen Pflegesituation konfrontiert ist und seine Kompetenz beweisen muss oder ob er die Pflegehandlung an einer Kollegin oder Schauspielerin vor Prüfungsexperten vollziehen soll.
1.6 Arbeitssituationen
Berufliches Handeln findet in Arbeitssituationen beziehungsweise Handlungssituationen statt. Sie stellen Herausforderungen, Problemstellungen oder Aufgaben dar, die von der handelnden Person bewältigt werden sollen. Sie sind an Rahmenbedingungen (Kontext) wie Zeit, Raum und sozialen Austausch gebunden. Damit Berufspersonen Arbeits- oder Handlungssituationen bewältigen können, sind von ihnen Handlungskompetenzen gefordert. Im Prozess zur Definition von bildungs- und prüfungsrelevanten Handlungskompetenzen und damit Lerninhalten werden häufig typische Arbeitssituationen bestimmt und beschrieben. Von diesen werden dann die Handlungskompetenzen abgeleitet, die in der Ausbildung zu erarbeiten sind.
Die Beschreibung von Arbeitssituationen umfasst die bestehenden Rahmenbedingungen (Kontext), die auszuführenden Tätigkeiten sowie Normen und Vorgaben, die bei der Bewältigung beachtet werden müssen. Sie beinhaltet folgende Elemente:
Person (wer?)
konkrete Tätigkeiten (macht was?)
Umfeld und Raum (wo?)
zeitlicher Rahmen (wann? wie lange?)
Umgang mit Ressourcen (womit?)
Interaktion (mit wem?)
Verantwortungsbereich (wofür?)
Der Verein berufliche Grundbildung (VBAO 2020) liefert ein Beispiel einer Handlungssituation aus dem Bildungsplan für den Beruf Augenoptikerin/Augenoptiker mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis, das alle Anforderungen erfüllt:
«Handlungskompetenz: Kundinnen und Kunden im Augenoptikbetrieb empfangen und betreuen
Ein Kunde betritt das Augenoptikgeschäft [Raum, Umfeld]. Die Augenoptikerin EFZ [Person] begrüßt ihn freundlich und erkundigt sich nach seinem Wunsch [Tätigkeit]. Der Kunde möchte eine Sonnenbrille mit korrigierten Gläsern kaufen. Die Augenoptikerin EFZ führt ihn an einen Beratungstisch [Interaktion mit Kunde]. Sie sorgt dafür, dass sich der Kunde willkommen fühlt [Verantwortungsbereich; Umgang mit Ressourcen]. Nach der Beratung und dem Verkauf einer Sonnenbrille verabschiedet sie ihn angemessen [zeitlicher Rahmen; Abschluss Tätigkeit].»
(VBAO 2020, Seite 10)
2 Prüfungskonzeption
Prüfungen planen, erstellen, durchführen und auswerten verlangt eine sorgfältige Konzeption. Es muss klar sein, welche Handlungskompetenzen in welchem Umfang von wem zu welcher Zeit an welchem Ort und in welcher Form zu prüfen sind. Dieses Kapitel beschreibt das Vorgehen bei der Konzeption von Prüfungen und Themen, die dabei zu berücksichtigen sind. In diesem Kapitel werden nach einführenden Gedanken zum Sinn von Prüfungen und der Kompetenzorientierung Grundlagen zur Prüfungserstellung und Formen von Prüfungen vorgestellt. Weitere Schwerpunkte bilden die Bewertung sowie der Einsatz von Hilfsmitteln.
2.1 Warum prüfen?
Am Schluss einer Ausbildung oder einer Ausbildungssequenz gibt es eine Prüfung. Dabei zeigen die Kandidatinnen und Kandidaten, dass sie die verlangten Handlungskompetenzen in genügendem Maße erfüllen.
Dieses Verständnis von beruflicher Qualifikation und Lernstandbeurteilung ist weit verbreitet und in diesem Sinne im schweizerischen Berufsbildungsgesetz (BBG) verankert. So dürfen zum Beispiel nur Inhaberinnen und Inhaber eines Abschlusses festgelegte Titel tragen (Art. 36 BBG2). Und um titelrelevante Abschlüsse zu erhalten, sind entsprechende Fachprüfungen oder Qualifikationsverfahren zu bestehen (z.B. Art. 433 und 444 BBG). Diese bilden in der Regel den formalen Abschluss einer Ausbildung, die häufig schwerpunktmäßig in Schulen stattfindet. In der höheren Berufsbildung können eidgenössische Prüfungen ohne Besuch von entsprechenden Vorbereitungskursen an Schulen abgelegt werden. Wer die Zulassungsbedingungen erfüllt, kann die Prüfung absolvieren. In der Praxis besuchen allerdings die meisten Kandidatinnen und Kandidaten Vorbereitungskurse für eidgenössische Prüfungen in der höheren Berufsbildung an spezialisierten Ausbildungsinstitutionen.
In der beruflichen Grundbildung und in den Lernorten Berufsfachschule und überbetriebliche Kurse führen die Verantwortlichen je nach Ausrichtung und Aufgabe regelmäßig Prüfungen durch. Diese bilden in der Regel den Abschluss eines Themas, eines Ausbildungsschwerpunktes oder eines Fachkurses.
Es ist somit grundlegendes Element der Berufsbildung, den Lernstand zu definierten Prüfungszeitpunkten auf seinen Erfüllungsgrad hin zu überprüfen und zu beurteilen. Diese Zeitpunkte sind häufig in relativ starren Bildungs- und Lehrplänen definiert, die wenig Spielraum für die Ausbildenden offenlassen. Nicht berücksichtigt sind bei solchen schulisch orientierten Lehrgängen, die häufig an festgelegten Präsenztagen stattfinden, individuelle Wege der Handlungskompetenzentwicklung sowie die personenspezifische Geschwindigkeit des Lernens. So werden leistungsstarke Kandidatinnen und Kandidaten oder solche mit viel Erfahrung und Vorwissen gleichzeitig mit solchen geprüft, für die der angeleitete Lernprozess länger als formal definiert dauern sollte.
Eine Prüfung kann im besten Fall eine Messung des aktuellen Handlungskompetenzstands sein. Sie misst die Performanz zu einem bestimmten und für alle Kandidatinnen und Kandidaten eines Ausbildungsgangs zum gleichen, oftmals lange im Voraus definierten Zeitpunkt. Dies steht im Widerspruch zum Verständnis und der Berücksichtigung von individuellen Lernprozessen, die in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und auf unterschiedliche Art ablaufen. Passender wären Handlungskompetenzmessungen, die sich am individuellen Lernprozess orientieren und zu flexiblen Zeitpunkten erfolgen. Auf dieses Lern- und Prüfungsverständnis ist die aktuelle formale Ausbildungslandschaft nicht ausgerichtet. Häufig stehen rechtliche, organisatorische und ökonomische Argumente dieser vorwiegend pädagogischen Betrachtung entgegen. Was spricht denn für Prüfungen? Walzik (2012) führt folgende Gründe auf:
Feedback für Lernende
Feedback für Ausbildende
Lernen fördern
Leistungsbestätigung
Vorbereitung auf Stress
Vergleichbarkeit, Selektion und Qualitätssicherung
Motivation
Daraus lassen sich drei Funktionen von Prüfungen ableiten (vgl. AfH Uni ZH 2006): Diagnose, Prognose und Eignung (Selektion).
Prüfungen können Hinweise zur Entwicklung von Lernenden geben. Diese Erwartung verbindet sich beispielsweise mit Aufnahmeprüfungen an weiterführenden Schulen, die eine Prognose liefern sollen, ob jemand die Ausbildung, zum Beispiel das Gymnasium, erfolgreich absolvieren wird. Dabei dienen sie als Instrument zur Auswahl beziehungsweise als Grenzwert zwischen «genügt den Anforderungen» und «genügt den Anforderungen nicht» [Selektion]. Neben diesen prognostischen und selektiven Komponenten schaffen Prüfungen idealerweise Vergleichsmöglichkeiten und überprüfen den (verlangten) Stand der Handlungskompetenzentwicklung [Diagnose]. Sie geben Lernenden und Ausbildenden Hinweise zum Stand des individuellen Lernprozesses. Zudem können sie sowohl motivierend und lernfördernd als auch gegenteilig wirken. So übernehmen Prüfungen häufig die Rolle einer Lebensschule. Kandidatinnen und Kandidaten lernen, hartnäckig, ausdauernd, fleißig, fokussiert und zielstrebig zu sein. Sie halten Druck aus und bereiten sich so auf spätere Anforderungen und Situationen vor, in denen sie sich beweisen oder unter Zeitdruck hohe Erwartungen erfüllen müssen.
2.2 Handlungskompetenzorientiert prüfen
Das Prüfen von Fachwissen lässt sich mit den weit verbreiteten Methoden wie mündliche und schriftliche Abfragen von Definitionen, Merkmalen, Aspekten etc. durchführen. Dazu eignen sich beispielsweise offene und geschlossene