auf ihren Erfüllungs- und Schwierigkeitsgrad einzustufen. So kann den Prüfenden in Prüfungen vorgegeben werden, wie umfassend sie die entsprechende Handlungskompetenz zu prüfen haben: zum Beispiel auf Leistungsniveau 2, «Transfer und Analyse».
In Tabelle 7 sind die drei Leistungsniveaus aufgeführt und ihnen typische Verben zugeordnet. Diese Zuordnung ist exemplarisch zu verstehen. Sie muss nicht zwingend stimmen und in allen möglichen Fällen zutreffen. So kann zum Beispiel das Verb «reinigen» eine einfache Tätigkeit beschreiben: mit einem Besen Schmutz zusammenkehren [Leistungsniveau 1]. Reinigen kann aber auch eine komplexe Tätigkeit umschreiben. Beispielsweise verlangt das Reinigen von heiklen oder hochglänzenden Oberflächen ein bestimmtes und fachmännisches Vorgehen [Leistungsniveau 2]. Gilt es eine komplexe Apparatur mit verschiedenen sensiblen Teilen und mehreren fachmännisch auszuführenden Vorgehensschritten und Handgriffen zu reinigen, kann das auf Leistungsniveau 3 eingestuft werden. Zudem sind Verben häufig mehrdeutig und werden branchenspezifisch unterschiedlich verwendet.
Leistungsniveau 1: einfache Leistungen (Reproduktion und Verstehen) | Grundlegende Aufgabenstellungen in einem überschaubaren und klar abgegrenzten (Arbeits-)Bereich fachgerecht erfüllen. Typische Verben: zustellen, sortieren, hinweisen, austeilen, abmessen, auswechseln, abschreiben, aufhängen, aufzählen, abkratzen, schneiden, mähen, nennen, beschreiben, aufzeigen, unterscheiden, differenzieren, definieren, darstellen, wiedergeben, bestimmen, löten, streichen, fahren, polstern, montieren, mischen, entsorgen, berechnen, anwenden, installieren |
Leistungsniveau 2: erweiterte Leistungen (Transfer und Analyse) | Erweiterte Aufgabenstellungen in einem sich verändernden (Arbeits-)Bereich erkennen sowie fachgerecht, geplant und strukturiert bewältigen. Typische Verben: analysieren, grafisch darstellen, einsetzen, einordnen, verändern, optimieren, anpassen, strukturieren, ordnen, verbinden, erheben, kontrollieren, beschaffen, verfolgen, zusammenfassen, überwachen, vergleichen, testen, prüfen, Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten sowie Anwendungen erkennen |
Leistungsniveau 3: komplexe Leistungen (Urteilen und Problemlösen) | Umfassende Aufgaben und Problemstellungen in einem komplexen und spezialisierten (Arbeits-)Bereich analysieren, bewerten, bewältigen sowie das Vorgehen, die Wahl der Lösung und der Lösungsstrategie fachspezifisch begründen. Typische Verben: bewerten, beurteilen, beschließen, begründen, in Zusammenhang mit Theorien bringen, an übergeordneten Strategien orientieren, entwickeln, planen, gestalten, sicherstellen, kreieren, empfehlen, beweisen, auswählen, koordinieren, leiten, konstruieren, dimensionieren, moderieren, dosieren, konzipieren |
Tabelle 7:
Leistungsniveaus von Handlungskompetenzen
1.4 Anforderungsniveau (Leistungskriterien, Leistungsziele)
Für formale Abschlüsse (z.B. eidg. Fähigkeitszeugnis, eidg. Fachausweis, eidg. Diplom) legen entsprechende Grundlagendokumente (Bildungspläne, Wegleitungen, [Rahmen-]Lehrpläne etc.) fest, was Lernende beziehungsweise Berufsleute können müssen, um als handlungskompetent zu gelten. In der Regel definieren und formulieren diese Grundlagendokumente die verlangten Handlungskompetenzen. Ein Beispiel einer Handlungskompetenz aus der Elektrobranche: «Stromlaufschemas aus Lichtinstallationen nach einschlägigen Normen zeichnen». Die Formulierungen und Definitionen von Handlungskompetenzen geben häufig keinen Hinweis darauf, in welcher Qualität beziehungsweise auf welchem Niveau die Handlungskompetenz erfüllt werden soll. Für die Gestaltung der entsprechenden Ausbildung und die Beurteilung der Kompetenzerreichung ist eine verbindliche Grundlage beziehungsweise Vorgabe wichtig.
Grundlagendokumente in der Berufsbildung beschreiben deshalb sogenannte Leistungsziele (berufliche Grundbildung: Bildungsplan) oder Leistungskriterien (höhere Berufsbildung: Wegleitung) (vgl. SBFI 2018a, 2018b). Sie orientieren sich an der beruflichen Praxis (Ausrichtung an Arbeitsprozessen, Arbeitssituationen, Tätigkeiten, Resultaten, erstellten Produkten o.Ä.) und konkretisieren die Anforderungen an die Handlungskompetenzen. Die Leistungsziele beziehungsweise -kriterien ermöglichen eine Überprüfung beziehungsweise Messung der Kompetenzerreichung. Um bewertbar zu sein, müssen Handlungskompetenzen beobachtet und überprüft werden können. Demnach geben Leistungsziele beziehungsweise -kriterien vor, was Kandidatinnen und Kandidaten in Prüfungen oder in Qualifikationsverfahren erfüllen und leisten müssen. In Grundlagendokumenten zur beruflichen Grundbildung sind diese Leistungsziele den drei Lernorten (Ausbildungsbetrieb, Berufsfachschule, überbetriebliche Kurse) zugeschrieben. Sie dienen dort unter anderem als Vorgabe, auf welchem Niveau die Handlungskompetenzen bei den Lernenden ausgebildet werden sollen.
Leistungskriterien beziehungsweise Leistungsziele bilden die Grundlage für die Ausgestaltung der Ausbildung sowie der formalen Prüfungs- beziehungsweise Qualifikationsverfahren. Die Ausbildenden sowie die Prüfenden erhalten dadurch eine Orientierung, auf welchem Anspruchsniveau sie ausbilden beziehungsweise auf welchem Niveau sie prüfen sollen.
1.5 Kompetenzerreichung, Performanz und Grenzen der Prüfbarkeit
Kompetenzen sind Potenziale oder Dispositionen einer Person, Aufgabenstellungen und Situationen zu bewältigen (siehe Abschnitt 1.1). Sie sind nicht direkt beobachtbar. Diese Voraussetzung stellt eine Grundproblematik beim Prüfen und Beurteilen dar. Da Kompetenzen unmittelbar mit Handlungen verbunden sind, können sie über das Handeln (Handlungskompetenz) sichtbar gemacht werden (vgl. Kaufhold 2006). Allerdings muss das in Prüfungen gezeigte Verhalten nicht unbedingt den Verhaltensmöglichkeiten entsprechen. Salopp gesagt: «Die geprüfte Person könnte mehr!» Oder andersherum: «Das in der Prüfung Gezeigte liegt zufälligerweise über den eigentlichen Verhältnissen.» Auch hier salopp: «Die geprüfte Person kann ihr Können nicht unter Beweis stellen oder stellt mehr unter Beweis, als sie eigentlich beherrscht.» Dies kann mit der Prüfungsanlage, mit der aktuellen Leistungsfähigkeit der Kandidatin oder des Kandidaten (Tagesform) oder mit zufälligen Einflussfaktoren zusammenhängen.
Performanz bezeichnet das Verhalten in einer Situation und ist direkt beobachtbar. Kompetenz hingegen lässt sich nicht einfach beobachten; sie liegt jedoch der Performanz zugrunde (vgl. Walzik 2012). Das lässt sich mit dem Bild eines Eisbergs vergleichen (siehe Abbildung 4). Die Spitze des Eisbergs über der Wasseroberfläche ist beobachtbar (Performanz). Der Teil des Eisbergs im Wasser bleibt dem Auge verborgen (Kompetenz).
Eisbergmodell (vgl. Walzik 2012, S. 23, angepasste Darstellung)
Deshalb ist es problematisch, von der Performanz auf die Kompetenz zu schließen. Walzik (2012) gibt dazu ein anschauliches Beispiel. Wenn jemand auf die Frage «Was gibt 2 x 3 + 1?» mit «7» antwortet, wissen wir nicht, ob die Person auch tatsächlich die Regel Punktrechnung vor Strichrechnung angewendet hat oder einfach von links nach rechts gerechnet hat. Fragen wir aber «Was gibt 1 + 2 x 3?» und erhalten die Antwort «7», so bekommen wir einen Hinweis darauf, dass die Regel Punktrechnung vor Strichrechnung eingehalten wurde.
Euler (2011) formuliert die These, dass kompetenzorientierte Prüfungen ein Ideal darstellen, dem man sich annähern, aber welches man nicht vollständig erreichen kann. Dies hängt einerseits mit der Komplexität von Kompetenzen und andererseits mit prüfungsökonomischen Gründen zusammen. Die begrenzte Zeit für Prüfungen und deren Beurteilung sowie die eingeschränkte Kapazität von Prüfungspersonal setzen Grenzen. So ist die «perfekte» handlungskompetenzorientierte Prüfung eine hilfreiche Vision für die Weiterentwicklung von Prüfungstheorie und -praxis. Dieser können wir uns annähern, sie aber nur in wenigen Fällen vollständig erreichen.
Eine weitere Einschränkung in der Beurteilung von Kompetenzen ist die Möglichkeit, praxisnahe Situationen zu schaffen. Dies stellt in vielen Bereichen keine große