Thomas Brezina

Der Tote in der Hochzeitstorte


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flatterten dabei wie dünne Insekten. »Das hier ist genau der richtige Ort für die ›besondere‹ Hochzeit.«

      Wieder einmal faszinierten Veronika die sorgfältig lackierten Nägel und die Ringe mit den glitzernden Diamanten. Sie waren genauso speziell wie die leuchtend kupferroten Haare, die immer perfekt geschnitten waren. Lady Ross ließ dazu jedes Mal extra eine Maskenbildnerin aus dem Tal kommen, die normalerweise für große Fernsehproduktionen arbeitete.

      »Ich hoffe, die Gäste werden zufrieden sein. Es ist die erste Hochzeit hier, ich habe nicht viel Erfahrung und meine Eltern werfen mir jeden Prügel vor die Füße, den sie nur finden können.«

      »Kindchen, lassen Sie die beiden alten Herrschaften.« Lady Ross legte Veronika die kühle Hand beruhigend auf den Unterarm. »Sie werden das sicher gut machen. Ich fürchte nur um mein Essen. Sie wissen, Ignaz kann alles, aber nicht kochen. Wenn ich auf ihn angewiesen wäre, hätte mich schon der Hungertod ereilt.«

      »Der Ignaz.« Veronika lachte auf. Ignaz war kurze Zeit Hausdiener im Hotel gewesen und von Lady Ross abgeworben worden. Er war ein hochgewachsener Tiroler mit kantigem Gesicht, ein wenig älter als Veronika, der nur die allernotwendigsten Worte sprach. »Sonst sind Sie aber immer noch mit ihm zufrieden?«

      »Zufrieden?« Lady Ross trommelte mit dem Suppenlöffel auf den Tisch. »Er ist ein Engel der Berge für mich. Was täte ich nur ohne ihn? Mein Haus wäre längst verfallen und ich erfroren. Ignaz ist wirklich ein Mann für alles, nur nicht fürs Kochen.«

      Als Veronika den Rest der Suppe in die Küche tragen wollte, hielt sie Lady Ross zurück. »Kindchen, setzen Sie sich doch zu mir und leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft. Alleine zu essen gehört zu den langweiligsten Tätigkeiten, die ich kenne.«

      Gehorsam ließ sich Veronika auf den Stuhl gegenüber sinken und sah zu, wie Lady Ross sehr vornehm die Suppe löffelte. Es war Apfel-Sellerie-Suppe mit Würfeln von geräuchertem Butterfisch. Als sie fertig war, tupfte sich die Lady mit der weißen Serviette den Mund ab. Auf dem Stoff blieben Spuren des violett-roten Lippenstiftes zurück.

      »Sie müssen Ihren Hochzeitsgästen eine Attraktion bieten. Eine Überraschung, mit der Sie nicht rechnen.«

      Veronika stand auf und servierte ab. »Denken Sie da an etwas Spezielles?«

      »Zeigen Sie mir den Ablauf der Hochzeit, das Menü und was Sie sonst noch alles geplant haben.«

      Veronika kehrte aus der Küche mit der Hauptspeise zurück: Gemüselasagne mit Räucherlachsröllchen. Während Lady Ross es sich schmecken ließ, schilderte Veronika ihre Pläne.

      »Es sind zwei Vegetarier unter den Gästen. Daher habe ich Speisen gewählt wie die Gemüselasagne, die Sie heute essen. Ich kann sie mit und ohne Fleisch servieren. In der Küche wird mir eine junge Köchin helfen. Sie ist eher noch ein Lehrling, um ehrlich zu sein. Sie hat sich für die Wintersaison beworben, kann aber zum Glück schon früher kommen. Ich glaube, sie arbeitet derzeit in der Schweiz. Alles andere muss ich allein schaffen. Vier Gänge für acht Personen. Das ist die ganze Planung.«

      Lady Ross deutete auf den großen Bissen, den sie auf der Gabel balancierte. »Ein hervorragendes Gericht, Kindchen. Genau wie die Suppe. Ich hoffe, Sie haben mich an den Tagen der Hochzeit auch eingeplant. Ich werde selbstverständlich nicht stören und notfalls in der Küche essen.«

      »Nein, nein, das ist nicht nötig«, beeilte sich Veronika zu versichern. Sie hatte Lilo Schroll allerdings garantiert, dass das Hotel für andere Gäste gesperrt sein würde. Am besten war es, ihr die Situation mit Lady Ross zu erklären, die eine Nachbarin war, die seit mehreren Jahren jeden Tag zum Essen kam.

      »Lesen Sie mir das Menü vor«, verlangte Lady Ross. Veronika hob den Zettel.

      Die Vorspeise war ein Carpaccio von Roten Rüben, die in Alufolie gebacken wurden. Dazu gab es Mousse vom Kren und für alle Nicht-Vegetarier Räucherfisch.

      Danach hatte Veronika eine Karotten-Ingwer-Suppe geplant. Die Hauptspeise war die Gemüselasagne mit oder ohne kleinen Rindersteaks und das Dessert eine Zitronencreme mit Himbeeren.

      »Was ist mit der Hochzeitstorte?«, wollte Lady Ross wissen.

      »Die ist das größte Problem, weil ich so eine schlechte Bäckerin bin. Ein dreistöckiges Kunstwerk gelingt mir nie. Ich werde eine aus dem Tal kommen lassen. Im Kühlhaus wird sie sich schon halten.«

      Die Lady hatte fertig gegessen und tupfte sich wieder den Mund ab. »Kindchen, das Menü hört sich gut an. Nun aber wollen wir die Feier selbst durchbesprechen. Nur sechs Gäste und das Brautpaar klingt reichlich langweilig. Wenn sich zwei Gäste davon nicht ausstehen können, wird die Hochzeit die größte Pleite, die man sich vorstellen kann.«

      Veronika sah sie erschrocken an. »Haben Sie da entsprechende Erfahrungen?«

      Lady Ross schwenkte die Stoffserviette wie ein Lasso über dem Kopf. »Das will ich meinen. Wir haben den Landsitz meines verstorbenen Mannes früher öfter für Hochzeiten vermietet. Da habe ich einiges miterlebt. Bei einer Hochzeit hat das Brautpaar noch am selben Abend beschlossen, sich wieder scheiden zu lassen.«

      »Das gibt es doch nicht. Wieso tun sie sich dann die Mühen einer Hochzeit an?«

      »Der Stress hat die wahren Gesichter der beiden zutage befördert. Außerdem haben sie ihre Familien kennengelernt und die Aussicht, sie nun öfter sehen zu müssen, war ihnen unerträglich.«

      »Langsam bekomme ich Zweifel an meiner Idee mit dem Hochzeitsschlössel«, gestand Veronika.

      Mit großer Geste rief die Lady: »Ach, nur keine Panik! Es wird alles bestens klappen. Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen ein wenig zur Hand gehe und für das Unterhaltungsprogramm sorge.«

      »Das würden Sie wirklich tun?«

      »Mir ist doch ständig langweilig. Der Höhepunkt meines Tages ist das Essen bei Ihnen. Ich habe schon einige Ideen, die Ihre Gäste begeistern werden.«

      »Vielleicht sollte ich das mit den Leuten vorbesprechen«, gab Veronika zu bedenken. »Sie haben sich ausdrücklich eine sehr private und ruhige Hochzeit gewünscht, ohne Band und Tanz.«

      Während sie in ihrer kleinen Handtasche herumkramte, sagte Lady Ross: »Im Vorhinein wollen die Leute immer ein stilles Fest. Wenn es dann aber wirklich still ist, ist ihnen das auch nicht recht. Glauben Sie mir, ich kenne mich da aus.« Sie holte ein silbernes Zigarettenetui und ein Feuerzeug aus der Tasche. »Ich brauche meine Verdauungszigarette.«

      Rauchen war im Hotel verboten und so erhob sich Lady Ross und ging in Richtung Terrasse. Die Seide ihres Abendkleides knisterte. Stil und gepflegtes Auftreten, hatte sie Veronika erklärt, wären an jedem Ort der Welt zu jeder Zeit angebracht. Daher erschien sie jeden Abend in einem anderen Kleid, eines feiner als das andere, und außerdem eingehüllt in eine Wolke aus Parfüm.

      Weil die Terrasse im November nur nass und dunkel war, ließ Veronika die langen Vorhänge geschlossen. Mit einem energischen Ruck schob Lady Ross die Gardinen zur Seite und öffnete eine Glastür. Veronika brachte ihr den Pelzmantel nach, den sie nur ungern anfasste. Sie wollte keine Felle in den Händen halten, für die Tiere ihr Leben gelassen hatten.

      »Danke, Liebes.« Die Lady hängte sich den langen Mantel über die Schultern und zündete eine Zigarette an. Tief sog sie den Rauch ein und ließ ihn durch die Nasenlöcher wieder entweichen. Sie lächelte vor sich hin. »Mir ist soeben die beste Überraschung eingefallen, die es auf einer Hochzeit geben kann. Stimmung ist garantiert und Ihre Gäste werden es Ihnen danken«, verkündete sie. Auf Veronikas weitere Fragen antwortete sie nur mit einem geheimnisvollen Lächeln.

      DER CHAT

      Freitag der Dreizehnte kann ein Glückstag sein, sagte sich Veronika immer wieder. Sie hatte dem Chat mit Mario an diesem Tag zuerst nicht zustimmen wollen. Da er aber davor keine Zeit hatte und der 13. der erste mögliche Termin war, hatte Veronika schließlich eingewilligt.

      Du bist doch nicht abergläubisch?

      hatte er ihr geschrieben.