Thomas Brezina

Der Tote in der Hochzeitstorte


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nicht verraten wollen, aber Mario klang sehr vertrauenswürdig.

      »Soll ich dich besuchen kommen? Oder willst du dich lieber in Innsbruck treffen?«

      »Innsbruck klingt gut.«

      »Wie wäre es nächsten Samstag?«

      »Da habe ich die Hochzeit bei mir im Hotel.«

      »Richtig. Du hast es erwähnt. Entschuldige. Dann vielleicht Sonntag? Oder musst du da noch aufräumen?«

      »Sonntag 18 Uhr klappt sicher. Die Gäste reisen bis spätestens 15 Uhr ab.«

      »Dann haben wir ein Date. Ich trage es gleich in den Kalender ein.«

      »Hast du einen Vorschlag für ein Restaurant? Ich habe ein bisschen den Überblick verloren, was es in Innsbruck so gibt.«

      Mario überlegte. »Gib mir ein wenig Zeit. Ich will etwas wirklich Gemütliches und Gutes finden. Am besten, ich lass dir die Adresse dann per WhatsApp zukommen.«

      »Ja, das wäre das einfachste.« Veronika nannte ihm ihre Handynummer.

      »Ich schicke dir gleich eine Nachricht, damit du meine Nummer auch hast«, versprach Mario.

      Das Gespräch hatte einen Punkt erreicht, an dem sie am besten Schluss machten. Für Veronika war es viel besser verlaufen als erwartet. Sie fieberte dem nächsten Sonntag entgegen. Noch neun lange Tage, wie sollte sie diese Zeit aushalten?

      »Ich freue mich schon sehr!«

      »Dann haben wir schon wieder eine Gemeinsamkeit«, meinte Mario.

      Sie verabschiedeten sich mehrere Male, aber keiner wollte den roten Knopf drücken, um das Gespräch zu beenden. Schließlich war es Mario, der es tat und Veronika war darüber fast ein wenig enttäuscht.

      Mit einem tiefen Durchatmen lehnte sie sich auf dem Sofa zurück. Fast zwei Stunden hatten sie geredet. So etwas war nur möglich, wenn es eine gewisse Verbindung zwischen zwei Menschen gab.

      Veronikas Handy lag auf dem kleinen Schreibtisch im Schlafzimmer und sie ging es holen. Als Erstes wollte sie Marios Nummer speichern, damit sie bestimmt nicht verloren ging.

      Seltsam. Er hatte ihr noch keine Nachricht geschickt. Sie sah auf die Uhr. Seit dem Ende des Gesprächs waren erst ein paar Minuten vergangen. Vielleicht war er auf die Toilette gegangen oder hatte sich einen Drink geholt.

      Nach einer halben Stunde hatte sie noch immer nichts von ihm gehört. Veronikas Unruhe wuchs. Sie legte sich ins Bett, das Handy auf dem Nachtkästchen. Es dauerte lange, bis sie einschlief. Als sie aufwachte, griff sie sofort zum Telefon. Die Anzeige leuchtete auf.

      2.02 Uhr

      Keine Nachricht.

      Hatte er vergessen? Wie konnte man so etwas vergessen? Oder hatte sie einen Fehler gemacht und bei der Verabschiedung zu überschwänglich geklungen? Sollte sie ihm eine Nachricht auf der Datingplattform schicken, um ihn zu erinnern?

      Nein, das könnte er für aufdringlich halten. Er würde sich schon melden. Spätestens, wenn er ihr Name und Adresse des Lokals durchgeben würde, in dem sie sich treffen sollten. Die Enttäuschung über sein Vergessen schob Veronika beiseite. Es gab sicherlich eine einfache Erklärung, über die sie beide lachen und von der sie noch ihren Enkelkindern erzählen würden.

SAMSTAG 14. NOVEMBER

      DAS PAKET

      »Bitte verraten Sie mir doch, welche Überraschung Sie für die Hochzeit planen.« Veronika versuchte es mit dem Kleinmädchen-Tonfall, den sie schon sehr lange nicht mehr eingesetzt hatte.

      Lady Ross legte das Besteck auf den Teller und lächelte amüsiert. »Oh nein, meine Liebe. Sie müssen sich da schon gedulden. Ich bin auch nicht völlig überzeugt, dass ich alles bekommen werde. Meine Suche hat erst gestern angefangen, wie Sie wissen. Ich will keine Erwartungen wecken, denen ich nicht entsprechen kann.«

      An diesem Abend hatte Lady Ross einen Seidenturban um ihre kupferrot gefärbte Mähne geschlungen und trug eine halbmondförmige Brille. Veronika erinnerte die Nachbarin an einen theatralischen Stummfilmstar.

      »Zeit für mein Zigarettchen.« Die Lady machte sich auf den Weg zur Terrasse. Wie immer brachte ihr Veronika den Nerzmantel nach. Für sich selbst hatte sie eine Daunenjacke bereitliegen, da sie ihrem einzigen Gast Gesellschaft leisten wollte.

      Als die beiden ins Freie traten, tanzten kleine Schneeflocken vom Himmel herab.

      »Der Schnee muss Sie doch freuen«, meinte Lady Ross. »Bestimmt bringt er Ihnen die ersten Wintergäste.«

      Veronika sah das anders. »Meine Eltern haben das Personal erst für den 1. Dezember eingestellt und mir untersagt, etwas anderes zu tun. Auch wenn ich offiziell das Hotel leite.« Sie seufzte. »Ich kann keine Buchungen vor dem 1. Dezember annehmen.«

      Sie hörte das Kratzen einer Schneeschaufel und warf einen Blick über die Brüstung der Terrasse. Ihr Vater, nur in Hose und Pullover, räumte energisch die dünne Schneeschicht auf dem Gehweg zur Seite.

      »Papa? Du wirst dich verkühlen«, warnte Veronika.

      »Ein ordentliches Hotel hält seine Wege sauber«, belehrte sie Herr Wunderer.

      Lady Ross trat neben Veronika. »Ich danke Ihnen für Ihre Umsicht«, sagte sie überschwänglich.

      Veronika blickte sie verwundert an.

      Die Lady fuhr fort: »Dieser Weg führt doch zum Teich im Wald. Er ist einer meiner liebsten Spazierwege. Mein Arzt hat mir, wie Sie wissen, Höhenluft und täglich Nordic Walking verschrieben. Es wäre das einzige Mittel, um mein Herz und meine Lunge gesund zu halten. Sonst bin ich in wenigen Jahren …« Sie fuhr sich mit einem Finger über die Kehle.

      »Zum Waldsee würde ich jetzt nicht mehr gehen.« Veronikas Vater stützte sich auf die Schaufel. »Erst letzten Winter ist jemand auf dem Weg gestürzt und hat sich den Knöchel gebrochen. Doppelt gebrochen.«

      Daran erinnerte sich Veronika mit Schrecken. Der Gast war eine Nacht lang im Schnee gelegen und halb erfroren. Er hatte aber auch niemandem gesagt, dass er noch einen Spaziergang zum See unternehmen wollte.

      »Wie auch immer, es wird Zeit für mich, aufzubrechen. Meinen Sherry nehme ich daheim.« Lady Ross dämpfte die Zigarette im Aschenbecher aus, der immer für sie auf einem Tisch auf der Terrasse bereitstand. Sie schritt die kleine Treppe hinunter, die zum Gehweg führte.

      »Bis morgen«, rief ihr Veronika nach.

      »We’ll meet again«, trällerte Lady Ross ein altes Lied, das bei den Soldaten im Zweiten Weltkrieg sehr beliebt gewesen war.

      Als sie außer Hörweite war, knurrte Veronikas Vater »Vogelscheuche« und setzte das Schaufeln fort.

      Veronika räumte das schmutzige Geschirr in die Küche. Bevor sie sich in ihre Wohnung unter dem Dach zurückzog, ging sie noch schnell ins Büro. Sie wollte sich die Bestellung der Zutaten für das Hochzeitsessen ausdrucken und kontrollieren, ob sie auch nichts vergessen hatte.

      Als Veronika die Klappe in der Theke der Rezeption öffnete, sah sie dort ein Päckchen stehen. Es war so groß wie ein Schuhkarton, in weißes Packpapier gewickelt und mit grober Schnur zusammengebunden. Veronika nahm es und drehte es. Es stand weder ein Name, noch eine Adresse darauf. Absender auch keiner.

      Das Päckchen war leicht und als Veronika es prüfend schüttelte, klapperte etwas darin.

      Der Postbote hatte den Code für das elektronisch gesteuerte Eingangstor des Hotels und legte Briefe und Päckchen immer auf die Theke. Er konnte die Schachtel aber nicht gebracht haben, da es keine Postsendung war.

      Das Paket muss den Eltern gehören, dachte Veronika. Im Büro druckte sie die Bestellliste aus. Als sie vom Schreibtisch einen Kugelschreiber nahm, fiel ihr Blick auf die Wetterstation. Auf den Gipfeln war die Temperatur auf minus sieben Grad Celsius gefallen. Die Vorhersage hatte sich in den vergangenen Stunden verändert und es wurde starker Schneefall erwartet. Wie es aussah,