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Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen


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Spezialisten der Säuglingsforschung, erstellte in den frühen 80er-Jahren eine Entwicklungstheorie, in der er frühe Selbst-Organisationen, die zeitlich und strukturell dem »inneren Kind« entsprechen, konzeptualisierte.

      Er stellte das Selbstempfinden (Sense of Self) ins Zentrum seiner Theorie, weil für ihn damit auch der präverbale Erlebensbereich einbezogen ist und weil Störungen des Selbstempfindens klinisch von besonderer Bedeutung sind. Das Selbstempfinden ist für Stern also der zentrale Bezugspunkt und das organisierende Prinzip, aus dem heraus der Säugling sich selbst und seine Umwelt erfährt und ordnet. (Das Selbst kann hier wie in der Gestalttherapie als das Gesamte all unseres Erfahrens und Erlebens in und mit der Welt aufgefasst werden.)

      Stern beschreibt vier Entwicklungsbereiche, die einander nicht ablösen, sondern überlagern.

      1. Zwischen Geburt und 2. Monat

      Das auftauchende Selbstempfinden (»sense of an emergent self«) – Säuglinge stellen Verbindungen zwischen verschiedenen Ereignissen her, zum Teil durch angeborene Fähigkeiten, zum Teil durch Lernen. Ein erstes Gefühl von Regelmäßigkeit und Ordnung (»emergent organization«) wird erlebt.

      2. Zwischen 2.-3. und 7.-9. Monat

      Das Kernselbstempfinden – Säuglinge machen die Erfahrung, dass sie und der Andere (menschliches Objekt) physisch getrennt sind (»self versus other«). Zwei Wesen, die miteinander in Beziehung treten können, ohne zu verschmelzen (also gegenteilig zur psychoanalytischen Deutung von Symbiose und Verschmelzung). Die gefühlten Grenzen zwischen Selbst und Objekt bleiben im Normalfall intakt und gehen nicht verloren.

      3. Zwischen 7.-9. und 15.-18. Monat

      Das subjektive Selbstempfinden (»sense of a subjective self«) – Kleinkinder merken, dass es andere »Minds« (Ansichten, Meinungen) gibt als ihre eigenen. Beim Säugling entsteht die Vermutung, dass er ein Wesen mit einer Psyche ist und dass psychische Zustände des Subjekts (wie Aff ekte, Absichten, Aufmerksamkeit) und solche des Objekts »teilbar« sind, das heißt mitgeteilt und ausgetauscht werden können. Demnach sind Psychen getrennt, überschneiden sich aber, indem sie Erfahrungen gemeinsam haben oder miteinander kommunizieren (»theory of interfaceable seperate minds«).

      4. Zwischen 15. und 18. Monat

      Beginn des verbalen Selbstempfinden. – Dieser Bereich wird als nie abgeschlossen gesehen. Kinder entdecken, dass sie persönliches Wissen und Erfahrungen haben und entdecken, dass sie mithilfe von Symbolen kommunizieren können. Es gibt also nicht nur mehr Gefühle und gemeinsame subjektive Zustände, sondern gemeinsames und symbolisch kommuniziertes Wissen zu diesen Gefühlen und Zuständen.

      All diese »Unter-Selbste« haben ihre eigenen Erlebnisweisen, »sie interagieren mit dem übergreifenden, bewussten Selbst des Erwachsenen und müssen in unseren lebenslangen Weg der Transformationen integriert werden« (Pauls 1994, 6).

      Wie weiter oben erwähnt, spricht Stern nicht von Phasen, die einander ablösen, sondern von Bereichen, die sich überlagern und im späteren Leben ständig gegenwärtig und wirksam sind – nicht bewusst, aber potenziell bewusstseinsfähig. Es gibt eine regelhafte zeitliche Aufeinanderfolge im Auftauchen – aber es werden im Erwachsenenleben die einzelnen dieser erfahrenen Schemata verschieden vorherrschend sein:

      »Miteinander verbunden, aber unterschieden«. Jedes Schema wird immer mehr entfaltet und ausgearbeitet – differenziert und integriert, oder mehr gestört (vgl. Pauls 1994).

      Neuere Versuche zu einer gestalttherapeutischen Entwicklungssicht

      Der unbedingte Fokus entwicklungstheoretischer Überlegungen wird von Wheeler gemeinsam mit McConville (McConville & Wheeler 2002, Vol. II) auf die Entwicklung des Selbst gelegt – nicht das intrapsychische Selbst der Objektbeziehungstheorie, sondern das Selbst von Perls, Hefferlein und Goodman, das Selbst als Einbezieher (Integrator) des Feldes. Wir müssen also bei der Betrachtung der kindlichen Entwicklung immer auf die Bedingungen der Umwelt achten, auf Wünsche, Bedürfnisse und Persönlichkeiten von anderen im Entwicklungsumfeld und auch auf den umfassenderen sozialen und politischen Kontext. Kurz gesagt, auf das ganze »System of Supports«, von welchem das Kind ein interaktiver Bestandteil ist (Eltern eines 3-Jährigen mit seinen Kleinkind-Bedürfnissen oder eines 13-Jährigen mit seinen pubertären Bedürfnissen oder eines 19-Jährigen mit seinen adoleszenten Bedürfnissen sind immer andere Eltern als die, die das Kind als Säugling braucht).

      Bei McConville werden Entwicklungsstufen nicht entlang einer rigiden Zeitlinie gesehen, sondern als dynamische, in Wechselbeziehung stehende, rekursiv ablaufende Aufgaben; wobei eine nächste oder andere Aufgabe als Figur vor dem Hintergrund der vorhergehenden, bewältigten Aufgabenstellung gesehen wird.

      McConville sagt über die Arbeit Violet Oaklanders, mit ihrem Buch »Windows to our Children« (1978) habe sie bis heute einzigartig gezeigt, wie die Kontaktfunktionen des Kindes in Richtung Heilung und Wachstum unterstützt werden können. Oaklanders Arbeit zeigt (wenn auch nur eher auf das klinische Feld bezogen), dass Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern am besten als eine kreative Anpassung an die Umweltbedingungen verstanden werden können. Dies stützt auch Wheeler mit seiner Behauptung, dass Entwicklung hauptsächlich ein Feldprozess sei.

      Peter Mullen (vgl. Fuhr 1999, 564) bezieht sich bei seinem Entwurf einer konstruktiven Entwicklungstheorie ebenfalls auf Jean Piaget. Er postuliert, dass Menschen ihre Realität und die Bedeutung ihrer Erfahrungen konstruieren. Kognitive, affektive und physische Ressourcen, die der Mensch in diesen Prozess einbringt, ändern ihn während seiner gesamten Lebenszeit und beeinflussen sein Verständnis von zukünftigen Erfahrungen und Verhaltensweisen.

      Drei andere Autoren, Lynne Jacobs (Ph. D. in L.A.), Elaine Breshgold (Ph. D. in Washington) und Stephen Zahm (Gestalttherapeut in Oregon) nutzen die sogenannte »Selbstpsychologie« und die »Intersubjektivitätstheorie« als Grundlage für eine Entwicklungsperspektive in der Gestalttherapie (1992). Dies sind moderne psychoanalytische Theorien, die auf der Anerkennung der Bedeutung der Beziehung für die Entwicklung eines kohärenten Selbstempfindens basieren.

      Margherita Spagnuolo-Lobb und Giovanni Salonia (Gestalttherapeuten in Italien) formulieren, dass das Schlüsselkonzept für Entwicklung der Kontakt sei (1993, in: Fuhr 1999). Sie beziehen sich auf bekannte Entwicklungstheoretiker wie Margaret Mahler und den weiter oben erwähnten Daniel Stern.

      Nach Cathrin Tamis-Le Monda sind sechs Kernprinzipien für das Feld der Entwicklungspsychologie wesentlich:

      1. Die Konstruktion von Wissen ereignet sich in einem sozialen Kontext.

      2. Umwelteinflüsse geschehen auf vielen Ebenen und wirken wechselseitig (Individuum/Umwelt).

      3. Entwicklung entfaltete sich in einer bestimmten historischen Ära.

      4. Spezifische Aspekte der Umwelt wirken auf ganz spezifische Weise auf die Entwicklung einer Person.

      5. Entwicklung ist wechselseitig.

      6. Entwicklung ist ein lebenslanger Prozess (vgl. Fuhr 1999)

      Das Kontingenzparadigma

      Zur Untermauerung der Sichtweise, dass Entwicklung ein Feldprozess sei und wechselseitig ablaufe, wird das Kontingenzparadigma angeführt. Hierbei geht es um die Wichtigkeit des bewirkten Zusammenhanges in der frühesten Entwicklungszeit. Gemeint ist die kindliche Entdeckung des Zusammenhangs von eigener Aktivität und der danach folgenden Veränderung in der Außenwelt (Beispielexperiment: Je nach Saugfrequenz des Babys kann ein angenehmer Reiz ausgelöst werden). Dieser Zusammenhang (vom Saugmuster / eigene Aktivität) und dem Effekt (Veränderung in der Außenwelt) wird Kontingenz genannt.

      Säuglinge lernen das auslösende Muster schnell, wiederholen es dann immer wieder und zeigen freudige Erregung beim Effektauslösen. Ändert man das Auslösemuster, reagiert der Säugling so, dass er vorerst seine Aktivität verstärkt, er bewegt z.B. den Kopf hin und her und vokalisiert, sucht also nach Alternativen; schlagen die Versuche fehl und zeigt sich kein Erfolg, kommt es zu deutlichen Vermeidungs- und Abwendungsreaktionen bis zu Dekompensation (vgl. Papousek