entstehen wird.
Im Sinne einer hoffnungsvollen Weltsicht ist die Vorstellung schon sehr reizvoll, dass es nicht nur gesellschaftliche Veränderungen sind, die einen friedlichen Wandel erzwingen, sondern dass auch das Gehirn des Menschen ein anderes sein und dazu beitragen wird, dass die Menschheit doch einmal friedlicher zusammenleben kann.
Natürlich mangelt es in der Menschheitsgeschichte nicht an furchtbaren und hochkriminellen Ausreißern. Diktatoren, Tyrannen, Usurpatoren. Aber selbst auf dem Gebiet gab es eine Evolution. Genauso, wie die Menschen seit der Steinzeit immer größer geworden sind, so haben sie langsam immer mehr begriffen, dass es so etwas wie Gebote geben muss, an die man sich hält. Gerade in den vergangenen Jahrzehnten hat da, ähnlich wie bei der Körperform, ein Sprung stattgefunden.
Zumindest in Mitteleuropa sind wir heute in einer Zeit angekommen, die vor hundert Jahren noch nicht existent, nicht einmal denkbar war. Konkret, dass jeder Vertreter jeder Partei und jeder Weltanschauung sagt: Das, was wir unter keinen Umständen wollen, ist Krieg. Wir sind für eine soziale Gerechtigkeit, und wir sind dafür, dass die Menschen in Frieden leben können.
Das ist eine enorme Evolution. Es ist nicht Programm einer Partei, es ist das, was die Briten common opinion nennen. Öffentlich geteilte Meinung. Gemeinsame Überzeugung. So etwas gab es vor hundert Jahren nicht. Selbst die Intellektuellen, die geistige Elite der Gesellschaft, sind mit fliegenden Fahnen in den ersten Weltkrieg gezogen. Oskar Kokoschka, um nur ein Beispiel zu nennen.
Jemand könnte jetzt dagegen halten und diesen Fortschritt als viel wahrscheinlichere Erkenntnis aus den beiden Weltkriegen beschreiben. Auch nicht falsch. Es ist aber deshalb nicht auszuschließen, dass der Mensch durch ein sozialeres Gehirn verstanden hat, dass es so etwas nicht mehr geben darf. Geschichte und Erfahrung spielen zusammen und nähren einen Evolutionsprozess.
Die Evolution agiert nicht zufällig, per random, wie die Neodarwinisten angenommen haben. Die Evolution geht in eine vorgegebene Richtung, aber sie orientiert sich an dem, was sie vorfindet. In welche Richtung sich der neue Mensch entwickeln wird, wird in den nächsten Jahrzehnten deutlich zu sehen sein.
Die Gesellschaft, und das ist ein naturwissenschaftlich-physiologischer Gedanke, ist dabei sehr gefordert. Denn wenn ein neuer Mensch entsteht, ist das kein völlig isolierter Prozess. Der neue Mensch orientiert sich auch an der Umwelt. Und er ist abhängig von dem, was common opinion ist. Zeichnet die Gesellschaft eine humane Welt vor, nimmt der neue Mensch mit seiner neuen Intelligenz an ihr Maß. Er hält an den alten Vorstellungen der vorhergehenden Generation fest und lässt sich auch human beeinflussen.
Wie immer das alles ausgehen wird: In dieser Transformation sind wir gerade.
2
Essen, spielen, reisen
Die drei Pfeiler des neuen Menschen
Er wird genährt.
Sein Gehirn wächst.
Er spielt sich mit Elektronik.
Sein Gehirn wird schnell.
Er reist.
Sein Gehirn produziert mehr Neuronen.
Von Place Cells und anderen Sensationen.
An dem Thema Ernährung haben wir uns gerade satt gegessen. Neolithische Revolution, Kohlenhydrate, Insulinresistenz. Wenn der Mensch gut zu essen hat, entwickelt er sich weiter. Die Ernährung thront an oberster Stelle der Veränderungen, die die Verwandlung des Menschen begünstigen, die derzeit im Gange ist.
An zweiter Stelle dieses Rankings der Eckpfeiler, auf denen der neue Mensch beruht, steht: die Elektronik. Ja, genau. Die Spielereien, mit denen sich heute schon die Dreijährigen beschäftigen.
In diesem Augenblick höre ich sie nahezu, die Seufzer der Enttäuschung: Jessas, jetzt kommt er uns damit daher. Ich sehe es förmlich vor mir, wie der eine oder andere Leser die Augen verdreht und denkt: Was tischt er uns denn da auf? Ganz was Neues, die Elektronik, Teufelszeug des Computerzeitalters, verdirbt die Seele unserer Töchter und Söhne, entwöhnt sie von der Natur, verkleinert die Kindheit auf Bildschirmformat. Es gibt keine Vorteile, wo nicht auch Nachteile sind.
Es ist aber gar nicht diese Diskussion, auf die ich mich hier einlassen will. Egal, wie wir die Elektronik, mit der wir heute von klein auf leben, beurteilen. Ob wir sie für gefährlich, bedenklich, entbehrlich und verderblich halten, oder ob wir sie begrüßen und ihr verfallen sind, uns von ihr überfordert fühlen und sie zu verweigern versuchen. Sie ist da, und sie hat einen Einfluss auf unser Gehirn.
Elektronik ist schnell, sie fordert schnelle Reaktionen. Unser Leben hat sich in den vergangenen Jahrzehnten um das 39-Fache beschleunigt. Von der Geduld, die die Menschen früher von dem Moment an brauchten, da sie einen Brief geschrieben, zusammengefaltet, in ein Kuvert gesteckt, eine Marke draufgepickt und ihn auf die Post gebracht haben, bis zu dem Moment, da das Antwortschreiben im Postkasten eingetrudelt ist, sie das Kuvert aufgeschlitzt haben, den Brief auseinandergefaltet und gelesen haben, von dieser Geduld ist nichts mehr übrig. Heute reißt uns der Geduldsfaden, wenn eine SMS nicht innerhalb einer Minute beantwortet wird. Eine E-Mail, die erst nach einer Stunde mit der erwarteten Information in die Mailbox flattert, hält man für eine Unhöflichkeit. Kommt sie am nächsten Tag, ist das eine Zumutung, eine Woche später eine Frechheit. Das Leben ist schnell geworden.
Schuld ist die Elektronik, da kann man sagen, was man will. Erdacht mithilfe der menschlichen Neurone hat sie umgekehrt wiederum die Geschwindigkeit der Neuronenarbeit amplifiziert und verstärkt. Irgendwie paradox. Das menschliche Gehirn entwickelt Dinge, für die man ein besseres und schnelleres menschliches Gehirn braucht, um damit umgehen zu können. Der Mensch hetzt sich selber. Tempo ist der Treibstoff der Neuzeit. Gut? Schlecht? Na ja, lassen wir das. Es geht nicht um Wertung, sondern um Erwartung.
Die elektronischen Medien haben die Evolution in unserem Gehirn vorangetrieben. So kritisch also jeder eingestellt sein kann gegen diese Medien, eines ist sicher: Die Elektronik stimuliert die Schnelligkeit der Assoziation und des Gedankens.
Wir gewöhnen uns schleichend an die Geschwindigkeit. Die einen schneller, die anderen langsamer. Den einen fällt es leichter, anderen schwerer. Das zeigt sich an jedem Formular, das wir ausfüllen sollen. Früher hat man das mit der Hand gemacht und bei jeder Rubrik nachdenken können: Was schreibe ich da hin? Was ist damit gemeint? Was wollen die von mir? Formulare auszufüllen, war ja nie eine Lieblingsbeschäftigung des Menschen.
Jetzt sind die Antworten vorgegeben. Jetzt hüpfen wir mit drei oder vier Klicks zu irgendwelchen Auswahlfenstern, um neue Auswahlfenster zu öffnen, nach denen wieder andere Auswahlfenster geöffnet werden müssen. Dadurch wird die Denkgeschwindigkeit angeregt und gefordert. Wer der Reaktionsgeschwindigkeit im Hirn Dampf machen will, spielt Egoshooter oder füllt Formulare aus.
Die elektronischen Medien sind nichts anderes als Übungsfelder für den neuen, heranwachsenden, mit einem besseren Gehirn ausgestatteten Menschen. Indem er sich auf diesen Übungsfeldern tummelt, feuert er die Neurone an, die daraufhin viel schneller, viel besser arbeiten. Das ist wie beim Fußballspielen. Mehr Training, mehr Tore, höhere Liga.
Die permanente Übung des Geistes mit schnellreaktiven Maschinen. Das haben sie gern, die Neurone. Es ist durchaus möglich, dass die Kinder, die jetzt mit all der Elektronik aufwachsen, mit dreißig oder vierzig eine völlig andere Assoziationsfähigkeit mitbringen als die heutigen 30- und 40-Jähringen. Es ist ein weiteres Indiz dafür, dass der neue Mensch mit höherer Intelligenz ausgestattet sein wird.
Wir können derzeit nur Thesen aufstellen. Wir können nur Anzeichen aufzeigen. Wir können nur einen Indizienbeweis führen, wie ein Verteidiger gegen den Staatsanwalt, und die Causa heißt: Der neue Mensch versus die Skeptiker.
Das schlagendste Argument der Skeptiker ist bekannt und kaum zu entkräften. Das Gehirn mag schneller werden, was dabei aber auf der Strecke bleibt, ist das Nachdenken. Das bleibende Wissen. Die Allgemeinbildung. Das Herstellen von Zusammenhängen. Heute brauchen wir uns nichts mehr zu merken, heute brauchen wir nur zu wissen, wo wir nachschauen können. Heute brauchen wir nur zu googeln.