Tobias Zimmermann

Lernendenorientierung


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Departemente besteht in der Tatsache, dass der Anteil derjenigen Studierenden, die über eine gymnasiale Maturität verfügen, im Bereich Gesundheit deutlich höher ist. Das gilt etwa auch für den Studiengang Journalismus und Organisationskommunikation. In diesen beiden Studiengängen kommt noch dazu, dass der Zugang zum Studium über eine Eintrittsprüfung führt. In den Bereichen Ingenieurwissenschaften und Wirtschaft verstehen viele Studierende das Studium als eine zusätzliche Ausbildung bzw. eine Weiterbildung. Ein allfälliges Scheitern wird tendenziell nicht als Katastrophe betrachtet, weil man ja bereits über eine Ausbildung verfügt. Für Studierende mit einer gymnasialen Matur erscheint ein Scheitern verheerend zu sein, weil man dann ohne Berufsausbildung dasteht.

      FZ: Stehen in der Beratung dadurch andere Fragestellungen im Zentrum?

      JA: Bei Studierenden mit gymnasialer Matur stellt sich zuweilen nach einigen Wochen des Studiums die Frage, ob der eingeschlagene Weg der richtige sei oder ob nicht ein Wechsel des Studienfachs bzw. -orts sinnvoll wäre. Hier wird die Beratung tendenziell zur Berufsberatung. Die Beratungstätigkeit in den neuen Studienrichtungen wird auch dadurch verändert, dass bei diesen – im Unterschied zu denjenigen, die eine Lehre voraussetzen – längere Praktika zum Ausbildungsgang gehören. Der Praxistransfer stellt die Studierenden vor ganz neue Herausforderungen, die ebenfalls Anlass sein können, die Beratung aufzusuchen.

      FZ: Sie haben eingangs geschildert, dass die Herausforderungen für die Studierenden über die Zeit recht konstant geblieben sind, etwa der Umgang mit Stress, Leistungsdruck oder die Lebenssituation junger Erwachsener. Beobachten Sie auch gesellschaftliche Entwicklungen?

      JA: Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Es kann wohl schon behauptet werden, dass bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen, so etwa der Trend zur Globalisierung, die geringere Sicherheit im Job, die hohe Mobilität oder die technische Spezialisierung, zur Folge haben, dass heute ein Lehrabschluss, z. B. im KV-Bereich, als Karrierestart nicht mehr ausreicht. Insbesondere dort, wo das Karrierebewusstsein oder der Wunsch, einmal international tätig zu werden, stärker ausgeprägt ist, scheint ein Bachelor- oder ein Masterabschluss notwendig. Falls bei den Studierenden tatsächlich ein Bewusstsein über diese Zusammenhänge vorhanden ist, steigt der Druck, im Studium erfolgreich zu sein. Zuweilen kommt dieser Druck vonseiten der Eltern. Das beobachte ich vor allem bei Studierenden mit einem Migrationshintergrund. Das grosse Ziel der Eltern ist es, dass ihre Kinder es dank einer höheren Ausbildung einmal besser haben werden, als sie es hatten. Diese Erwartungshaltung wirkt sich bewusst und unbewusst auf die Studierenden aus.

      FZ: Gelegentlich hört man, Studierende verstünden sich zunehmend als Kundinnen und Kunden. Spüren Sie dies in Ihrer Beratungspraxis?

      JA: Ich höre das von einzelnen Dozierenden. Im konkreten Kontakt mit den ratsuchenden Studierenden erlebe ich dies aber nicht so. Das hat wohl damit zu tun, dass diejenigen Studierenden, die die Beratung aufsuchen, zum einen wissen, dass bei ihnen eine Schwäche vorliegt, und zum anderen gerade selbst etwas dazu beitragen wollen, um die anstehenden Probleme zu bewältigen. Studierende mit einer ausgesprochenen Kundenhaltung fordern vor allem, dass die Dozierenden ihnen zu einem erfolgreichen Studium verhelfen. Von Erwartungen, dass die Dozierenden ihren Unterricht auch didaktisch angemessen gestalten sollen, höre ich in der Beratung auch. Doch schon vor dreissig Jahren waren Studierende mit der Unterrichtsweise gewisser Dozierender unzufrieden. Das war immer schon ein Thema.

      FZ: Sie begleiten Studierende seit Jahren in schwierigen Situationen. Welche Empfehlungen möchten Sie vor diesem Hintergrund Dozierenden mit auf den Weg geben?

      JA: Im Departement Technik habe ich immer eine humanistische Tradition erlebt – in dem Sinne, dass es sowohl der Leitung als auch den Dozierenden ein Anliegen war, dass möglichst viele Studierende, die das Studium begonnen hatten, dieses auch bestehen sollten. Nicht auf dem Weg, dass keine Leistung von ihnen verlangt wurde, sondern indem die anstehenden Probleme gelöst wurden und die individuelle Situation der Studierenden berücksichtigt wurde. Das führte zu einer sehr guten Zusammenarbeit der Departementsleitung und vieler Dozierender mit der Beratungsstelle. Ich wünsche mir, dass diese Haltung an vielen Hochschulen gepflegt wird.

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Alter 23
Vorbildung Lehre als Chemielaborant, Berufsmittelschule
Hochschule ZHAW
Studiengang Chemie
Semester 2. Semester Master

      Verfasst von Isabelle Rüedi

      «Für diejenigen Jobs, die ich machen möchte, muss man einfach Chemiker sein.» Die eingeschränkte Berufsperspektive als Chemielaborant war einer der Hauptgründe für Benjamin Spenger, nach seiner Ausbildung noch ein Studium zu beginnen. Da er neben seiner Lehre bereits die BMS absolviert hatte, erfolgte sein Wechsel an die Fachhochschule nahtlos. «Es war mir wichtig, im Lerntrott zu bleiben», meint der 23-Jährige.

      Als Benjamin damals seine Berufslehre beendet hatte, frustrierten ihn einerseits das tiefe Lohnniveau, andererseits sein beschränktes Wissen über die Materie. «Ich möchte verstehen, was ich mache», sagt er. Ausserdem wollte er die Freiheit haben, nicht nur nach Anweisungen eines Vorgesetzten zu arbeiten, sondern auch mal selbst etwas auszuprobieren. «Für eine Lehrmeisterausbildung fühlte ich mich damals einfach noch zu jung», erklärt der Student. Die Fachhochschule war deshalb naheliegend, zumal ihm ein universitärer Studiengang zu spezialisiert war. Auch die Wahl des Faches Chemie erfolgte aus demselben Hintergrund. «Für einen Moment habe ich überlegt, Lebensmittelwissenschaften zu studieren, aber mit Chemie stehen mir später mehr Möglichkeiten offen.»

      Mit diesem Ziel vor Augen und seinem enormen Interesse an der Materie begeistert sich Benjamin immer wieder von Neuem für sein Studium. Als Analytiker ist für ihn die praktische Anwendung seines Wissens der absolute Höhepunkt. «Ich freue mich unheimlich, wenn eine Analyse genau funktioniert und brauchbare Resultate entstehen», lächelt der junge Mann. Ausserdem gefalle es ihm, dass es an seiner Hochschule so viele Gleichgesinnte gebe. Das Studium abzubrechen, sei somit für ihn nie infrage gekommen. «Wenn ich etwas angefangen habe, dann ziehe ich es auch durch.»

      Trotz allem steht der angehende Chemiker seinem Studium durchaus kritisch gegenüber. Manchmal fehle es den Dozierenden an Fachwissen, was allerdings ein Problem vieler Schulen sei. «Und irgendwie kann ich es auch verstehen, es ist praktisch unmöglich, alles zu wissen», relativiert er die Situation. Was Benjamin allerdings öfter frustriert, ist das Bologna-System. Das plangerechte «Reindrücken» des Stoffes stehe unglücklicherweise oftmals über dem Lerneffekt. «Weil so viel auswendig gelernt werden muss, bietet sich leider selten die Gelegenheit, ein spannendes Thema zu vertiefen», sagt der Student.

      Was nach seinem Abschluss kommt, weiss Benjamin noch nicht genau. Momentan konzentriert er sich auf seine Masterarbeit. «Es würde mich freuen, wenn sie andere zum Denken anregt», meint er. Trotzdem kann sich der Ostschweizer nicht vorstellen, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Für ihn steht nach dem Studium das praktische Arbeiten im Vordergrund. «Ich möchte mich gerne wieder auf die Analytik konzentrieren.» Im Idealfall könne er Berufserfahrung in verschiedenen Betrieben sammeln, damit sein Lohnniveau noch mehr steigt. Auf eines freut sich Benjamin nämlich ganz besonders nach seinem Masterabschluss: «Dann verdiene ich endlich genug eigenes Geld», sagt er lachend.

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