Cathrin Reisenauer

Ich bin für dich da (E-Book)


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lange nicht, dass die Adressierung bei den Schülerinnen und Schülern eine positive Wirkung hat. Deshalb ist es zentral, eine reflexive Haltung einzunehmen, die auf die Schülerin und den Schüler ausgerichtet ist. Durch dieses Gerichtetsein auf das Gegenüber und Sich-seiner-Verletzbarkeit-bewusst-Sein bildet Anerkennung den Grundstein einer Ethik des Klassenzimmers. Wir Lehrerinnen und Lehrer arbeiten, damit Kinder lernen und sich entwickeln. Weil Lernen aber kein vorwiegend kognitiver Akt ist, sondern ein emotionaler, ist es grundlegend, über das pädagogisch anerkennende Handeln eine Lernbeziehung zu Schülerinnen und Schülern aufzubauen. Darauf könnte sich auch Arthur Schopenhauers Aussage beziehen, wenn er sagt: «Was das Herz nicht hineinlässt, kann der Verstand nicht aufnehmen.» Dem Aufbau pädagogischer Beziehung durch anerkennendes Handeln widmet sich dieses Buch.

      Im ersten Abschnitt des vorliegenden Buches wird Anerkennung grundlegend betrachtet und ein Anerkennungsbegriff entfaltet, der Anerkennung als Subjektivierungsgeschehen und als grundlegend für pädagogisches Handeln versteht. Im zweiten Abschnitt werden sechs Anerkennungspraktiken zur Gestaltung pädagogischer Beziehungen dargestellt und von Schülerinnen und Schülern betrachtet, reflektiert und kommentiert. Im dritten Abschnitt wird aufgezeigt, wo uns unser Wissen über Anerkennung hinführen kann, und pädagogische Haltungen werden beschrieben. Zum Abschluss möchten wir unseren Leserinnen und Lesern noch ein paar Möglichkeiten zur Reflexion geben, denn wir gehen davon aus, dass die pädagogische Praxis Reflexion braucht, um sich eigene Werte, Haltungen und Glaubenssätze bewusst zu machen, sie zu hinterfragen und an ihnen zu arbeiten, wenn manche unserer Handlungen von unseren eigentlichen Werten abweichen.

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      «Ich glaube, das größte Geschenk, das ich von jemandem

      bekommen kann, ist, dass er mich sieht, mir zuhört,

      mich versteht und mich berührt. Das größte Geschenk,

      das ich einem anderen Menschen machen kann, ist, ihn

      zu sehen, ihm zuzuhören, ihn zu verstehen und ihn zu

      berühren. Wenn das gelingt, habe ich das Gefühl, dass

      wir uns wirklich begegnet sind.»

      Virginia Satir

      Lehrerinnen und Lehrer sind wichtige AkteurInnen im Feld Schule und ein bedeutendes Gegenüber für ihre Schülerinnen und Schüler. Der Mensch ist auf ein Du angewiesen; die Menschen, mit denen, und die Gesellschaft, in der ein Mensch lebt, sind eng mit seiner Identitätsentwicklung verbunden. In der Auseinandersetzung mit anderen Menschen erfolgt unser Werden zu dem, was wir sind. Für unsere Persönlichkeitsentwicklung brauchen wir ein Gegenüber und dieses Gegenüber sind in der Schule nicht nur die Mitschülerinnen und Mitschüler, sondern in ganz besonderem Maße die Lehrerinnen und Lehrer. Sie als Persönlichkeiten, ihre Kompetenzen und ihr Handeln haben großen Einfluss, nicht nur auf das Lernen ihrer SchülerInnen. Darin liegt eine große Chance, aber auch ein gewisses Risiko, denn damit sind nicht nur das momentane Wohlbefinden und der momentane Lernerfolg, sondern auch künftige Bildungswege, Berufs- und Lebenschancen verbunden. Schule als Sozialisationsinstanz ist ein Ort, an dem sich die Entwicklung und Subjektwerdung der ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen auch vollzieht, ein Ort, an dem die jungen Menschen wichtiger Teil einer Gemeinschaft sind und das Leben in dieser lernen. Lehrerinnen und Lehrer sind an diesem Ort pädagogisch handelnd tätig, haben die Aufgaben, den Kindern und Jugendlichen nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch, sie durch Partizipation, Sozialität und Integration auf ihrem Weg zu mündigen Erwachsenen zu begleiten. Lehrerinnen und Lehrer nehmen eine Vorbildfunktion in der Schule ein – sie dienen als Modell und zeigen, wie Menschen miteinander umgehen können oder welche Werte wichtig sind. Wie irritierend ist es manchmal für SchülerInnen, wenn sie sehen, dass von ihnen Werte wie respektvolles und rücksichtsvolles Verhalten in der Schule gefordert werden, ihr Lehrer oder ihre Lehrerin sich ihnen gegenüber aber abwertend verhält? Es ist nicht möglich, sich als Lehrperson aus dem Geschehen herauszunehmen – als ganze Person werden wir mit unserem Tun in unseren Werten und Haltungen für SchülerInnen sicht- und greifbar. Wenn das, was wir lehren, mit dem, was wir leben, übereinstimmt, trägt dieses authentische Verhalten zu unserer Autorität bei. Es ist entscheidend, wie unterrichtet und wie miteinander umgegangen wird, erst auf diesem Wie kann das Was aufbauen.

      In ersten Teil dieses Buches wird auf das pädagogische Handeln eingegangen, um darauf aufbauend einen Anerkennungsbegriff zu entfalten, der in pädagogischem Handeln per se enthalten ist, jedoch mit seinen Auswirkungen, Facetten und Wirkweisen oftmals im Schatten von didaktischen oder methodischen Überlegungen steht.2 Damit stellt das Buch keine neue Forderung an Lehrerinnen und Lehrer, was sie im Unterricht zu tun hätten, sondern vielmehr bietet dieses Buch die Möglichkeit, das alltägliche Tun im Klassenzimmer in einem neuen Licht zu betrachten und damit die eigenen Handlungen zu reflektieren und bewusster zu steuern. Insbesondere wird erläutert, wie Lehrerinnen und Lehrer durch anerkennendes Handeln zur Identitätsentwicklung ihrer SchülerInnen beitragen und welche besonderen Rahmenbedingungen dafür in der Schule vorgefunden werden.

      Was kennzeichnet pädagogisches Handeln?

      Max Weber (1984, 19) definiert Handeln als «ein menschliches Verhalten […], wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden». Dieses Handeln wird dann zu pädagogischem Handeln, wenn es sich auf Lernen bezieht (Prange & Strobel-Eisele 2006). In dem hier verwendeten Verständnis von pädagogischem Handeln wird allen Lehrenden grundsätzlich attestiert, pädagogisch zu handeln, auch wenn die Wirkung dieses Handelns für das Lernen unter Umständen nicht förderlich ist. Pädagogisches Handeln ist dabei ein soziales Handeln, das an einem Gegenüber orientiert ist. Das pädagogische Handeln von Lehrerinnen und Lehrern ist dabei nicht nur durch subjektive Theorien von Schule und Unterricht, Menschenbildern und das eigene Normen- und Wertesystem bestimmt, sondern unterliegt darüber hinaus institutionellen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Diskursen. Pädagogisches Handeln zeichnet sich nach Ricken (2009, 87) dadurch aus, dass «LehrerInnen SchülerInnen in bestimmter Weise ansprechen und adressieren, darin diese als jemanden wahrnehmen und zu jemandem machen». Damit zeigt sich ein zwingender Zusammenhang zwischen pädagogischem Handeln und Anerkennung.

      Welchen Einfluss die Handlungen Lehrender auf ihre SchülerInnen ausüben, welche Wirkungen sie dabei erzielen, können Lehrerinnen und Lehrer jedoch nicht vollständig steuern. Das Ergebnis ist nicht nur von ihren Zielen, sondern besonders von den Schülerinnen und Schülern selbst abhängig. Die Wirkweise wird davon bestimmt, in welchem Rahmen und vor wem die pädagogischen Handlungen gesetzt werden, wie SchülerInnen diese interpretieren, wie sie darauf reagieren und schlussendlich, welche Anschlusshandlungen darauf erfolgen. Obwohl, wie wir festgestellt haben, pädagogisches Handeln absichtsvoll und mit einem subjektiven Sinn erfolgt, bleibt die «Differenz zwischen Handlungsintention und Handlungsergebnis einschließlich nicht-intendierter Folgen» bestehen und so ist es kaum möglich, «bestimmte Zielzustände treffsicher [zu] initiieren» (Combe & Kolbe 2008, 857). Um diese Unsicherheit pädagogischen Handelns zu minimieren, zeigt der systematisierte Blick auf die vielen Erinnerungsgeschichten, dass ein reflexiver Zugang zu pädagogischem Handeln das zielgerichtete Wirken der Lehrerinnen und Lehrer positiv beeinflussen kann. Die Frage, die sich dabei stellt, ist: Wer wird von wem vor wem als wer angesprochen? und daran anschließend: Wie kommt das, was ich als LehrerIn tue, bei den SchülerInnen an? Dadurch zeigt sich, dass die pädagogische Absicht und die Wirkung des pädagogischen Handelns häufig nicht kongruent sind, und so ist mit Martin Buber zu betonen, dass «[…] nicht die pädagogische Absicht, sondern die pädagogische Begegnung […] pädagogisch fruchtbar» sei. Diese pädagogische Begegnung ließe sich durchaus auch als Hilfsmittel für die eigene Reflexion nützen, wenn LehrerInnen die Bitte einer 12-jährigen Schülerin berücksichtigen: «Er [der Lehrer] sollte öfter fragen, wie es uns bei all dem geht.»

      Ebenso formuliert Prengel (2013, 123), dass «pädagogische Beziehungen […] der Bildung inhärent» seien. Obwohl diese alleine noch keinen Lernerfolg sichern, sind ohne sie «persönliche Entwicklungs- und Lernprozesse sowie gesellschaftliche