aller menschlichen Motivation in Anerkennung, Wertschätzung und Zuwendung zu finden und zu geben. Um dies erreichen zu können, braucht es Zeit für LehrerInnen und SchülerInnen gemeinsam: «Eine gute Pädagogik erfordert […] eine Balance zwischen verstehender Zuwendung und Führung» (Joachim Bauer 2007,8).
Für John Hattie (2013, 139) ist der Blick auf die Lernenden ausschlaggebend und «es kommt nicht so sehr darauf an, ob Lehrpersonen exzellent sind oder von ihren Kolleginnen und Kollegen als exzellent eingeschätzt werden, sondern ob sie von ihren Lernenden für exzellent gehalten werden». Weiter schreibt Hattie (ebd.), dass es die Lernenden sind, «die in den Klassen sitzen und merken, ob ihre Lehrperson das Lernen mit ihren Augen sieht und ob die Qualität der Beziehung förderlich ist». Diese Beziehung, von der Hattie spricht, kann über Anerkennung aufgebaut und hergestellt werden. Wirkmächtige Facetten machen pädagogisches Handeln so bedeutend und bestimmte Praktiken der Anerkennung im täglichen Miteinander zeigen sich als besonders prägend und einflussnehmend auf Lernen, Entwicklung, Selbstverständnis, Subjektwerdung und Bildungswege von Schülerinnen und Schülern. Im Folgenden werden verschiedene Facetten von Anerkennungspraktiken im schulischen Alltag beschrieben, bevor im zweiten Kapitel sechs bedeutende Praktiken zur Gestaltung pädagogischer Beziehungen ein Netz für entwicklungsförderndes pädagogisches Handeln spannen.
Was wird unter Anerkennung verstanden?
Erinnerungen an schulische Erfahrungen sind besonders oft mit ermutigenden und auch demütigenden Erziehungsszenen verbunden und somit ist pädagogisches Handeln immer auch durch Fragen und Probleme der Anerkennung charakterisiert.
Anerkennung als wechselseitiges Adressierungsgeschehen
Anerkennung wird in diesem Buch als ein Adressierungsgeschehen verstanden, das Teil pädagogischen Handelns ist. Bestätigende und versagende, retrospektive und prospektive Adressierungen greifen ineinander und wirken besonders beim Herausbilden der Identität der Kinder und Jugendlichen. Dabei ist Anerkennen ein wechselseitiges Geschehen. Auch Lehrerinnen und Lehrer sind auf die Anerkennung von ihren SchülerInnen angewiesen. Das Begehren nach Anerkennung teilen beide, SchülerInnen und LehrerInnen. Beide sind zugleich anerkennungsgebend und anerkennungsnehmend. Erfahrungen der Anerkennung, von anderen gesehen und gehört zu werden, angesprochen zu werden, Rückmeldung zu erhalten, ermöglichen es Menschen, Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung auszubilden. Damit spielt Anerkennung für die Identitätsentwicklung und die Subjektwerdung eine zentrale Rolle.
Anerkennung als machtvolles Geschehen
Axel Honneth spricht sogar von einem Kampf um Anerkennung und damit verbunden von einem Kampf um Selbstachtung und Respekt. Zentral erscheinen dabei Adressierungen als machtvolles Geschehen. Wer entscheidet über Gesehen-Werden oder Nicht-gesehen-Werden? Wer hat die Macht, öffentlich jemanden als jemand anzusprechen? Wer entscheidet, was es wert ist, gesehen zu werden? Macht zeigt sich in der Anerkennungspraxis einerseits als machtvolles Handeln, anderseits zeigen sich auch die Auswirkungen der einzelnen Anerkennungspraktiken auf die Subjektwerdung als mächtig. Anerkennung darf deshalb nicht an spezifische Leistungen oder Eigenschaften geknüpft werden, sondern muss bedingungs- und voraussetzungslos gegeben werden. Helsper und Lingkost (2013, 132) sehen «als Kernstruktur der jeweiligen Schulkultur […] die konkret ausgeformten Anerkennungsverhältnisse und -beziehungen zwischen Lehrern und Schülern». Das heißt, dass sich Schulkulturen und damit auch Unterricht und pädagogisches Handeln nicht ohne Anerkennungspraktiken denken lassen. In Schulen zeigen sich diese ausgeformten Anerkennungsverhältnisse nicht nur im unterrichtlichen Tun, sondern auch im Leitbild, in der Führung, in der Kommunikation, in den Strukturen und Prozessen.
Anerkennung als identitätsstiftendes Geschehen
LehrerInnen adressieren ihre SchülerInnen immer als jemanden, tun dies vor jemandem und machen damit ihre SchülerInnen zu jemandem. Anerkennung ist damit als ein identitätsstiftender Vorgang zu sehen, wie auch das Beispiel in der Einleitung gezeigt hat. Schülerinnen und Schüler werden als bestimmte Identitäten anerkannt, zum Beispiel als guter Schüler/gute Schülerin in der positiven Ausprägung oder als fauler Schüler/faule Schülerin in der negativen Ausprägung. Damit zeigt sich die Kehrseite der Anerkennung, weil durch Adressierungen auch etwas festgeschrieben werden kann, was man gar nicht will. Vor allem in retrospektiven und prospektiven Adressierungen, die in den Praktiken des Ansprechens und des Rückmeldens erläutert werden, zeigt sich eine Möglichkeit der bewussten Gestaltung von Anerkennungshandlungen: Lehrerinnen und Lehrer können in der Gestaltung von Rückmeldungen, die vor allem zur schulischen Leistung gegeben werden, auf ihre Sprache achten, um es den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, zwischen der Leistung und sich als Personen zu trennen. Anerkennungshandeln kann dabei nie per se als gut oder schlecht bezeichnet werden, denn eine vorschnelle Kategorisierung in positive und negative Handlungen ist nicht zulässig, wenn man davon ausgeht, dass erst die bestimmte Situation in ihrer gesamten Verstrickung analysiert werden muss, um herauszufinden, was die Wirkung der Adressierung ist. Erst mit dem Einbeziehen der Sichtweisen der Adressierten sind Aussagen über negative oder positive Anerkennungshandlungen zulässig. Das, was auf die Adressierung folgt, eröffnet ein Spannungsfeld zwischen der Annahme der Adressierung auf der einen Seite und der individuellen Autonomie mit der Möglichkeit des Widerstandes auf der anderen Seite.
Anerkennung als triadisches Geschehen
Anerkennung ist ein Geschehen, das sich nicht nur zwischen zwei Personen abspielt, sondern in das immer auch andere involviert sind. Das Andere können gesellschaftliche Normen, wirkmächtige Diskurse, Machtverhältnisse oder andere Personen als MithörerInnen darstellen. Diese Triade (LehrerIn, SchülerIn, Andere) bestimmt nicht nur die Wirkung von Adressierungen maßgeblich mit, sondern bestimmt auch ganz grundlegend, was es überhaupt wert ist, adressiert zu werden. So sind Anerkennungspraktiken nicht isoliert, sondern im Kontext ihres Geschehens zu denken und zu reflektieren. Durch diese Überlegungen zeigt sich, dass Adressierungen immer abhängig von unseren Einstellungen, Werten und subjektiven Theorien erfolgen. Besonders im Klassenzimmer treten die MitschülerInnen als bedeutende Dritte in diesem Geschehen auf. Sie können die Wirkweise einer Adressierung unter Umständen sogar in ihr Gegenteil wenden. Die nachfolgende Szene eines Schülers der 9. Schulstufe nimmt die beiden Aspekte «vor der gesamten Klasse« im Gegensatz zu einem Vier-Augen-Gespräch in den Fokus.
[…] Er hatte Angst, er könnte den Text vergessen, stottern und sich vor der gesamten Klasse blamieren. Der Lehrer schien dies zu bemerken, denn er nahm David beiseite. «Du musst nur ruhig bleiben und dich konzentrieren, dann geht es.» Er lächelte ihm aufmunternd zu und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. Diese wenigen Worte beruhigten David. Er stellte sich nach vorne und hielt sein Referat.
In dieser Erinnerungsszene wird deutlich, dass einerseits die befürchtete Blamage durch die Öffentlichkeit der ganzen Klasse zusätzlich bedingt wird und andererseits die Wirkung der Beruhigung durch den Lehrer erst durch das Beiseitenehmen sich entfalten kann. Wie anders hätte die Aufmunterung gewirkt, wenn auch sie öffentlich erfolgt wäre? Hätte sie selbst nicht zu einer Blamage werden können?
Anerkennung als bestätigendes und versagendes Geschehen
Für pädagogisches Handeln sind sowohl die Bestätigung als auch die Versagung kennzeichnend. Erst durch die Versagung können sich Lehrende als bedeutsame Andere zu erkennen geben. Die Versagung ist ein wesentlicher Bestandteil der Interaktion. Besonders in den für den Lehrberuf typischen Antinomien (vgl. Helsper 2012) von beispielsweise Fördern und Selektieren, Nähe und Distanz, Autonomie und Heteronomie oder Fordern und Fördern zeigt sich dieser Befund. So erhalten SchülerInnen positive und notwendigerweise auch negative Rückmeldungen in Bezug auf ihr Lernen, ihr Verhalten oder ihre Leistungen und damit wird ihre Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Versagung kann in diesem Sinne nicht mit einer Missachtung gleichgesetzt werden, sondern ist notwendiges Moment von anerkennendem Handeln. Versagung zeigt sich beispielsweise besonders im Setzen von Grenzen, das vom Sanktionieren insofern unterschieden werden muss, als im Setzen von Grenzen den SchülerInnen entgegengetreten wird, ohne dabei die Persönlichkeit des Kindes oder Jugendlichen zu beschädigen. Im Grenzensetzen ist es den Lehrenden als pädagogisch Handelnde möglich, die eigenen Interessen nicht zu verleugnen, als bedeutsamer Anderer/bedeutsame Andere zur Verfügung zu stehen und zeitgleich auch das Kind mit seinen eigenen Bedürfnissen wahrzunehmen.