ist gekränkt worden. Ich habe mich damals, so gut es ging, auf eine Verteidigungsrede für meinen Sohn vorbereitet. Doch was konnte sie nützen gegenüber so feindselig erbitterten Richtern? Ich selbst war ganz gebrochen von schmerzlichem Mitleid mit dem Elend meines Sohnes, zitterte angstvoll vor dem, was ihm noch drohte, war wie gelähmt durch das Unglück, das über mich hereingebrochen, und bangte vor dem, was noch kommen sollte. Und doch sprach ich, begann damit, das Gericht an seine oft bewiesene Menschlichkeit und Billigkeit, an einzelne Beispiele seines Mitleids zu erinnern. Ich erwähnte die Milde, die der Senat damals in der Sache des Notars Giovanni Pietro Solari bewiesen hatte, dessen unehelicher Sohn überführt worden war, seine beiden legitimen Schwestern vergiftet zu haben, nur um ihr Vermögen zu erben; man begnügte sich damals, ihn zu den Galeeren zu verurteilen. Ich erwähnte auch, dass damals das Gericht beim Verhör dem Angeklagten lobend zugestand, dass er doch den eignen Vater nicht ermordet habe. Und dann fuhr ich fort: »Was wäre das für eine Grausamkeit, mich, den unschuldigen, altersschwachen Vater, in meinem Sohne zu töten! Wenn damals der Vater der Gunst einer Milderung für würdig erachtet wurde, als sein Sohn zum Tierkampf verurteilt war[?]66, um wie viel mehr heute, wo es sich um ein anderes, leichteres Vergehen handelt? Was vermögen künftighin alle Verdienste der Menschheit, wenn die schönste Tugend, die Unschuld, so schwer getroffen wird? Ist es denn nicht viel ärger, den Vater mit seines Sohnes, als mit seinem eigenen Tode zu bestrafen? Werde ich getötet, so stirbt nur einer, der doch gar bald auch so ohne weitere Leibesfrucht sterben würde. Tötet ihr aber meinen Sohn, so raubt ihr mir die Hoffnung auf Leibeserben. Beredet euch, die ganze Menschheit flehe euch an für den Sohn dessen, dem alle sich verschuldet fühlen: für einen zornerregten hitzigen Jüngling, der unter so vielen Widerwärtigkeiten leidet, den die größte Schmach getroffen hat, von seinem Weib betrogen worden zu sein, das er ohne Heiratsgabe genommen hat, von einem verdorbenen, schamlosen Weibe, dem er sich wider Wissen und Willen seines Vaters vermählte – was würdet ihr tun? Doch freilich, niemand fleht für ihn, niemand kennt sein Unglück?! Und keiner kann doch so sehr mein oder meines Sohnes Todfeind sein, dass er nicht gerne dem das Leben schenkte, dessen Tod die Teufel selbst zu Mitleid rühren würde.« Dies und anderes der Art brachte ich vor; was ich erreichte, war einzig und allein der Gerichtsbeschluss, dass man sein Leben schonen werde, wenn es ihm gelinge, von den Verwandten seiner Frau Verzeihung zu erlangen. Dies vermochte er nicht; der Tor hatte mit Reichtümern geprahlt, die ich nicht hatte, und seine Verwandten forderten Summen, die ich nie zahlen konnte.
Doch lassen wir dies alles! Von früher Jugend an hielt ich stets den Beruf für den besten, der für das Leben selbst sorgte. Von diesem Gesichtspunkt aus schien mir das Studium der Medizin förderlicher zu sein als das der Jurisprudenz. Und ich fand, dass es nicht nur diesem Zwecke näher steht und auf der ganzen Erde und zu allen Zeiten gleich gültig und wertvoll, sondern auch ehrlicher und reiner ist und dass es auf der Vernunft, dem ewigen Gesetze der Natur, und nicht wie die Jurisprudenz auf den vorübergehenden Meinungen der Menschen ruht. Darum ergriff ich den Beruf des Arztes, nicht den des Juristen; auch deshalb vor allem, weil ich, wie ich schon gesagt habe, die Förderung durch Freunde, Mittel, Macht und Ehren nicht bloß verachtete, sondern floh. Mein Vater freilich, als er merkte, dass ich mich vom Studium der Jurisprudenz abwandte und zu dem der philosophischen Disziplinen neigte, weinte in meiner Gegenwart und klagte darüber, dass ich nicht dieselben Studien wie er betreiben wolle. Er hielt nämlich die Jurisprudenz für eine vornehmere Disziplin – und zitierte auch dafür mit Stolz eine Stelle aus Aristoteles –, eine Disziplin, die auch viel geeigneter sei, Geld und Macht zu erwerben und vor allem auch die ganze Familie in die Höhe zu bringen. Auch schmerzte es ihn, dass er sein juristisches Lehramt in Mailand, dessen er sich schon seit vielen Jahren erfreute und das ein Honorar von 100 Scudi abwarf, nicht auf mich vererben könne, wie er gehofft hatte, sondern einst einen fremden Nachfolger auf seinem Lehrstuhle sehen müsse und dass auf diese Weise seine Kommentarienwerke nicht vollendet, noch von mir herausgegeben werden sollten. Kurz zuvor nämlich hatte in seinem Kopfe die Hoffnung auf ewigen Ruhm aufgeleuchtet; er hatte eine verbesserte Neuausgabe des Werkes des Erzbischofs John67 von Canterbury über Optik und Perspektive vorbereitet und hoffte, in diesem Buche sollten einst, mit Lettern gedruckt, die Verse stehen:
»Stolz nennt diesen das Haus der Cardani sein eigen. Es wusste Alles der Eine. Nicht kennt seinesgleichen die Zeit.«
Diese Weissagung galt freilich mehr denen, die einst auf seine Arbeit sich stützend Erfolge haben sollten, als ihm selbst, der zwar die Jurisprudenz, wie ich erfuhr, ganz vorzüglich beherrschte, in der Mathematik aber nicht über die Anfänge hinauskam, nichts Neues darin erdacht, auch nichts aus dem Griechischen übersetzt hat. Daran war freilich mehr der stete Wechsel in seinen wissenschaftlichen Arbeiten und die Unbeständigkeit seiner Pläne schuld, als dass er von der Natur mit Gaben kärglich ausgestattet, träge oder von geringer Urteilskraft gewesen wäre, Mängel, von denen er durchaus frei war.
In mir aber waren damals mein Wunsch und mein Vorsatz unerschütterlich fest gewurzelt, vielerlei Gründe sprachen dafür, auch sah ich wohl, dass auch mein Vater durchaus nicht ohne Schwierigkeiten und Hindernisse seinen Weg gemacht hatte. Deshalb und auch aus anderen Gründen blieb ich seinen Mahnungen gegenüber unbewegt.
ELFTES KAPITEL
Lebensklugheit
Bisweilen ist es besser, auf seinem Vorsatz zu beharren, auch wenn er nicht gerade sehr gut gewählt wäre, als den allerbesten Vorsatz zu fassen und ihn dann wieder zu ändern, und sollte auch nichts anderes daran schuld sein als lebhaft tätiger Eifer oder die allgemeine Unbeständigkeit, Wandelbarkeit und Nutzlosigkeit menschlichen Tuns.
Ich persönlich habe – um zugleich von mir selbst und von der Lebensklugheit im Allgemeinen zu sprechen –, nachdem ich mir über diese sehr schwierige Sache genau Rechenschaft gegeben, eingesehen, dass es nicht nur um manches andere, sondern auch um diese Tugend eine sehr leichte Sache ist. Fürs erste deshalb, weil ja die Dinge so mannigfach in ihrem Endzweck sind und jeder wählen kann, was ihm am meisten zusagt, und weil es dann ferner im Einzelnen so viele Arten und Möglichkeiten, Gegenstände und Gelegenheiten gibt, dass es gewiss niemand wagen darf, mir mit einigem Recht Unklugheit vorzuwerfen, außer er wollte behaupten, meine Pläne und meine Verhältnisse besser durchschauen zu können als ich selbst, was doch sicher nicht der Fall sein kann. Sind wir uns aber über unsere Ziele klar, so handelt es sich für uns nur noch darum, zu erkennen, welcher Weg zum Ziele der bessere und ob ihn zu gehen erlaubt ist, was freilich meiner Ansicht nach das Wichtigste ist. Dann, welcher Weg der bequemere; des Weiteren, wie das Erreichte festzuhalten; endlich, wie das Erreichte zu nutzen ist.
Von Anfang an habe ich bewiesen, wie wenig ich von dem besitze, was der Grieche εύβούλία nennt. Und wenn auch diese Worte nur so viel bedeuten als Klugheit an sich, so ist es doch dasselbe, als sagten wir »menschliche Klugheit«; denn von allen Dingen, die wir kennen, besitzt doch keines Klugheit als allein der Mensch, auch keines der übrigen Lebewesen. Die Himmlischen nämlich besitzen etwas weit Besseres, das unmittelbare Schauen. Von den harpokratischen68 Naturen aber, die eine Gattung für sich sind, ist hier nicht die Rede.
So ist es mit dem Begriff der Lebensklugheit eine unklare Sache. Im Einzelnen urteilt jeder anders, weil eben alle an die Dinge den Maßstab ihres eigenen Geistes anlegen. Ich für meinen Teil aber sehe sehr wohl ein, dass ich von jener Gewandtheit und sicheren Klugheit wenig besitze und wenig besessen habe. Daran ändert auch das wenig, was ich oben ausgeführt habe.
ZWÖLFTES KAPITEL
Meine Freude am Disputieren und Dozieren
Umso größeren Eifer und Erfolg hatte ich auf diesem Gebiete. Zu Bologna dozierte ich fast immer auswendig. Weshalb auch die Gelehrten, die mit mir hätten disputieren sollen, nicht wagten, mir gegenüberzutreten. Ich erinnere an jene dreitägige Disputation, die zu Pavia zwischen mir und Andrea Camuzio69 angesagt und beim Senat der Akademie angemeldet worden war: schon am ersten Tage nach meiner ersten Ausführung schwieg mein Gegner. Dies bezeugten auch alle meine Widersacher, die damals anwesend waren. Wird davon auch einmal, mit eingemeißelten Lettern, auf den Denkmälern des Camuzio zu lesen sein? So sehr war die Sache damals allen Leuten bekannt, dass man schon