das Schild. »Bitte Geduld und Vorfreude. Stimmt doch. Es sagt nicht, dass ich eine Kundin oder einen Kunden habe. Auch eine Wahrsagerin braucht Pausen.«
Emma machte eine wegwerfende Handbewegung, um zu zeigen, dass das jetzt egal war. »Ich weiß, von wem der Brief ist«, platzte sie heraus.
Patricia wollte sich gerade ein Stück gebackenen Fisch in den Mund schieben, ließ ihn nun aber wieder zurück in die Tüte sinken. »Ich höre.«
»Am Montag hätte ich beinahe wieder die Müllabfuhr verpasst. Ich bin im Bademantel hinaus, habe ihnen meine Müllsäcke gegeben und den Papierkorb mit den Fehlversuchen mitgenommen.«
»Du meinst Briefe, die dir nicht gefallen haben?«
»Ja. Mindestens…«, Emma ruderte mit den Armen in der Luft, »mindestens fünfzig zerknüllte Blätter. Ein paar sind runtergefallen, und der Wind hat sie fortgeweht. Aber dann kam ein Mann, dem ich Bier über den Pullover geleert habe, und er hat mir beim Aufheben geholfen.«
»Du meinst, er hat einen Brief gelesen?«
»Möglich. Er hat einen Hund.«
»Du hast ihn also in Bier gebadet, und er hat einen Hund. Sonst noch was? Woher kennst du ihn?«
Emma erzählte von dem Unfall im Fitzherbert. Patricia schloss die Tür zu ihrem Wagen auf und musste den Kopf einziehen, als sie eintrat. Emma folgte ihr.
Der Wagen war innen mit dunkelblauem Samt ausgeschlagen, es gab an der Hinterwand einen kleinen Tisch und einen Stuhl mit schmaler hoher Lehne für Patricia, für den Kunden einen bequemen Sessel davor.
»Ist es im Sommer hier nicht sehr heiß?«, wollte Emma wissen.
»Darling, ich habe eine Klimaanlage. Ich bin Wahrsagerin, aber nicht von vorgestern. Ich habe auch eine Heizung und…« Patricia lüftete den Stoff an der Wand, und dahinter kam eines dieser Zahlgeräte zum Vorschein, in das man Kreditkarten steckte, »ich bin gut ausgestattet.«
»Aha. Wahrsagung mit Kreditkarte bezahlen.« Emma fand es reichlich unromantisch, aber praktisch.
»Zurück zu deinem Traummann. Wie gefällt er dir?«
»Er sieht gut aus. Ich meine, er ist kein Model oder so, aber das muss ein Traummann auch nicht sein. Er war freundlich, als ich seinen Pullover durchnässt habe, und er riecht so gut. Aber er raucht.«
»Hast du ihn rauchen gesehen?«
»Nein, aber der Umschlag riecht nach den Fingern eines Rauchers.«
»Das ist ein dicker Minuspunkt.«
»Ist es. Sein Parfüm mag ich dafür sehr.«
Patricia hatte auf ihrem Stuhl Platz genommen und tippte die Fingerspitzen aneinander.
»Interessanter Weg, wie der Brief zu einem Mann führt, der für dich besonders sein kann.«
»Ist er mein Traummann?«
Wieder einmal schwieg Patricia auf diese Art, die Emma einfach wahnsinnig machte.
»Passt der Brief zu deinem Bier-Pullover-Anwalt?«, fragte sie schließlich.
Ratlos zuckte Emma mit der Schulter. Sie konnte es nicht abschätzen. »Da war eine Frau im Pub. Sie hat sich beschwert, dass er nicht in die Vorstellung gekommen ist.«
»Eine Schauspielerin?« Patricia nahm ihr Smartphone und googelte. »Im Theater Brighton läuft derzeit ein Krimi.« Sie überflog den Inhalt und studierte die Fotos der Schauspieler. »War sie das hier?« Sie zeigte Emma das Bild einer Frau mit schulterlangen dunklen Haaren.
»Ja, das war sie.«
»Nur eine Freundin. Da kann ich dich beruhigen.«
»Bist du sicher?«
Patricia nickte, gab aber keine weitere Erklärung ab, wieso sie das zu wissen glaubte.
»Soll ich… soll ich ihn suchen? Er muss in der Nähe wohnen. Ich kann auch am Abend ins Pub gehen und dort warten. Vielleicht kommt er. Oder was soll ich machen?«
Diesmal überlegte Patricia länger. »Schreib ihm.«
»Wie schreiben?«
»So wie du den ersten Brief geschrieben hast.«
»Es waren verschiedene.«
»Gut, gut. Schreib ihm weiter. Beschreibe deine Träume und Wünsche und erzähle etwas Schönes von dir.«
»Patricia, ich weiß nicht, wer er genau ist, ich habe keine Adresse, ich…«
Lächelnd hörte ihr Patricia zu, ohne darauf einzugehen, was sie sagte. »Emma, vertrau mir. Bisher ist es doch schon ganz interessant gelaufen.«
»So viel ist nicht geschehen«, relativierte Emma. »Der Typ kann eine taube Nuss sein, wie Philip. Der ist am Anfang auch erschienen wie ein junger Gott.«
»Hast du andere Ideen?«
Nein, die hatte Emma nicht. Aber sie hatte eine Frage. »Was mache ich mit dem Brief oder den Briefen dann? Wieder wegwerfen und hoffen, dass er sie findet?« »Nein. Schließ sie weg.«
»Wie soll er dann etwas davon erfahren?«
»Sei ein Leuchtturm der freudigen Gedanken. Das reicht.«
»Manchmal machst du mich wahnsinnig«, sagte Emma.
Es wurde an die Tür geklopft. Patricia räusperte sich und rief mit tiefer Stimme: »Ich bin sofort für sie bereit.« Zu Emma sagte sie: »Das Business ruft. Wir hören uns. Viel Glück.«
15
Das weiße Papier vor ihr auf dem Schreibtisch schien sie herausfordernd anzugrinsen. Emma senkte immer wieder die Spitze der Füllfeder, um etwas aufzuschreiben, hob sie dann aber wieder und steckte die Kappe auf.
Kein Wort schien ihr richtig. Sie hatte bisher nur die Anrede geschafft sowie einen ersten Halbsatz.
Lieber unbekannter Traummann,
es gibt so viel, das ich…
Das war es dann auch. Weiter kam Emma einfach nicht.
»Es gibt so vieles, das ich dir erzählen möchte. So vieles, das ich von dir wissen will«, murmelte sie. Sie sah wieder hinaus in die hereinbrechende Dunkelheit, die Straßenlampen gingen gerade wie auf ein geheimes Kommando nacheinander an.
»Es gibt so vieles, das du über mich wissen solltest. Aber ich habe auch so viele Fragen an dich, und wie soll ich sie dir stellen?«, sagte Emma halblaut.
Der Türgong tönte in der Diele. Emma sah auf die Uhr. Es war kurz nach neun Uhr. Sie ging zur Tür und sah durch den Spion. Im Windfang stand ein schmächtiger Mann mit Hängebacken, der ungeduldig auf und nieder wippte. Sie öffnete.
Der Mann starrte sie überrascht an. Emma schätzte ihn auf Ende fünfzig.
»Guten Abend«, sagte sie höflich. Sein Koffer ließ vermuten, dass er ein Zimmer suchte.
»Nell erwartet mich.«
Emma lächelte entschuldigend. »Nell ist für ein Jahr verreist.«
»Wieso hat sie mir das nicht gesagt?«
»Das weiß ich nicht, aber ich vertrete sie und führe das B&B.«
»Wieso habe ich nichts erfahren, als ich mich angemeldet habe?«
»Angemeldet?«
»Ich habe geschrieben. Einen Brief. Wie immer.«
»Aha. Die Post ist manchmal etwas langsam hier.«
Der Mann hob einen kleinen Koffer hoch und drängte sich an Emma vorbei ins Haus. In der Diele blieb er kurz stehen und musterte sie von oben nach unten. »Sie vertreten Nell also?«
»Ja, ich habe von ihr alles übernommen.«
»Alles.