der Oma („… die mir die ersten Lieder beigebracht hat“).
Die Teilnehmerin einer Fortbildungsgruppe bringt zur Arbeit mit ihrer musikalischen Biografie drei Erlebnisse, die Bedeutung für sie haben, mit. Mit ca. 5 Jahren, erinnert sie sich, an der Seite ihres Vaters ein Konzert eines Knaben-Chores besucht zu haben und dabei fast implodiert zu sein vor Erregung und Begeisterung. Als etwas größeres Mädchen – dieser Erinnerung gibt sie ebenfalls entscheidende Bedeutung – sang sie während einer musikalischen Theateraufführung in der Schule ein kesses Lied. Die dritte wichtige musikalische Station erlebte sie erst vor kurzem: Da sang sie Lieder von Friedrich Holländer in der Kirche! Nun, in der Gruppensituation, erzählt sie diese drei Erlebnisse, lässt die anderen teilhaben an ihrer kindlichen Bewunderung für den Knabenchor, singt das kesse Lied aus der Schulzeit und ein Lied von Hollaender. Die Therapeutin sagt: „ Darf ich dir etwas über mich mitteilen? Wenn ich dich so erlebe, wie du erzählst und singst, und wenn ich dabei auf meine Resonanz achte, dann spüre ich deutlich mein Herz. Es ist einerseits aufgeregt und klopft stark, zieht sich aber gleichzeitig zurück, engt sich ein, fühlt sich fast ein bisschen eingesperrt, zieht in jedem Fall irgendwie die Bremse. Wenn ich hinhöre, was mein Herz möchte, dann möchte es, glaube ich, aus der Einsperrung heraus, möchte sich in die Weite hinein ausdrücken.“ Während der letzten Worte hat die Teilnehmerin schon leise zu weinen angefangen und sagt jetzt: „Was du sagst, berührt mich sehr. Es trifft genau das, was ich in meinem Herzen spüre.“
„Magst du mal probieren, aus dem Herzen heraus zu singen? Vielleicht das Lied von eben, das von Friedrich Hollaender?“
„Ja“, und sie zögert ein wenig, um dann mit leiser Stimme zu sagen: „Aber ich weiß nicht, wie.“
„Was brauchst du, um aus deinem Herzen heraus zu singen, um dein Herz singen zu lassen?“
Sie braucht nur einige kleine Momente zum Überlegen und die Aufforderung, ruhig ein bisschen mutig zu sein in dem, was sie sich wünscht oder was sie fordert, um dann zu sagen: „Kannst du bitte (zu der Therapeutin gewandt) in meinen Rücken kommen, dich in meinen Rücken stellen und kann die Gruppe sich und mich bitte an den Händen fassen und einen Kreis bilden?“
Die GruppenteilnehmerInnen fassen sich und sie an den Händen, die Therapeutin stellt sich hinter ihren Rücken und fragt, ob sie ihre Hände auf den Rücken legen soll oder darf, vielleicht auf die Rückseite des Herzens. Das wird ausprobiert, bis die Klientin schließlich sicher weiß, dass sie die Hände der Therapeutin in ihrer Nierengegend spüren möchte. Und dann beginnt sie zu singen, nicht das vorgegebene Lied, sondern Töne aus dem Jetzt heraus, mit einer Stimme, die aus dem Herzen kommt und die Herzen der anderen erreicht.
In diesem Beispiel hat die Arbeit mit der musikalischen Biografie zu einem neuen Thema der Teilnehmerin, dem ihrer eigenen Stimme (s. Kap. 1.4) und ihrer Identität als Sängerin, geführt.
Man kann die Arbeit mit der musikalischen Biografie sehr offen gestalten und allen Spuren folgen, die sich ergeben. Es kann auch sinnvoll sein, die Weiterarbeit auf einige Fragen zu zentrieren: „Was hast du vom Musizieren und Musikhören in deinem Leben gehabt?“, „Wovor hat es dich bewahrt?“, „Wie haben sich durch Musikhören und Musizieren deine sozialen Kontakte verändert?“
2.3 Instrumenten-Parcours
Ein weiterer Vorschlag, sich mit Hilfe der Panoramatechnik der musikalischen Biografie anzunähern, ist der Instrumenten-Parcours. Wir benutzen hier das Verraumen (s. Kap. 6 und ausführlich Baer/Frick-Baer 2001a).
Wir stellen eine Anleitung zur musiktherapeutischen Arbeit in einer Gruppe vor, zuerst einmal ohne Instrumente, als biografische Verraumungsarbeit. Die Therapeutin, der Therapeut gibt einem Großteil des Seminarraumes, möglichst in Form eines lang gezogenen Rechtecks, die Bedeutung eines biografischen Raumes. Einen anderen schmaleren Teil des Raumes erklärt er oder sie zu einem neutralen oder sicheren Raum, in den sich die TeilnehmerInnen während der folgenden Erlebnis öffnenden Einheit zurückziehen, in dem sie sich ausruhen oder sich selbst (nicht die anderen) beobachten können.
„Irgendwo hier an der einen Seite dieses Raumes ist der Beginn eurer musikalischen Lebensgeschichte, der Beginn eures musikalischen Erlebens – wann immer ihr diesen Beginn ansetzt. Nehmt diesen Raum ein Stück zur Mitte hin als euren kindlichen Raum, als Raum dessen, was ihr an musikalischen Traditionen eurer Vorfahren mitbekommen habt, vielleicht im Mutterleib, von euren Eltern, Geschwistern, Großeltern, NachbarInnen, ErzieherInnen, LehrerInnen usw. … Irgendwo dort auf der anderen Seite dieses Raums der musikalischen Lebensgeschichte ist der Ort des Hier und Jetzt, der Ort eures heutigen musikalischen Lebens und Erlebens. Der Raum dazwischen – ihr merkt, die Teilräume innerhalb des biografischen Raums sind nicht genau aufgeteilt, sondern gehen ineinander über – ist der Raum eurer musikalischen Entwicklung, aber auch der Raum der Brüche und Rückschläge, der Raum zwischen dem kindlichen und dem gegenwärtigen Erleben … Durchwandert die Räume auf eure Art und Weise, auf euren Wegen – chronologisch in der biografisch-zeitlichen Abfolge oder kreuz und quer und hin und her, in geraden Linien oder Schlängellinien, konsequent oder mit Pausen. Lasst die Erinnerungen, Gefühle, Empfindungen zu, die auftreten, während ihr euch durch die Räume bewegt.“
Nach etwa 15 – 20 Minuten:
„Sucht und findet bitte den Platz, an dem ihr für einige Momente euer Erleben nachklingen lassen könnt … Sinniert noch einmal darüber nach, welche Stationen, welche Erfahrungen euch während eurer Reise wichtig geworden sind. Vielleicht hat euch etwas überrascht, vielleicht war etwas neu oder vertraut oder vergessen oder fremd … Und drückt diese Erfahrung, dieses Erleben in einem Ton oder Klang aus.“
Hier sollte sich wie üblich ein Austausch in der Gruppe oder mit Therapeutin oder Therapeut anschließen, in dem auch die zuletzt gefundenen Töne bzw. Klänge vorgespielt werden. Wichtig sind Fragen wie: „Was hast du während des ganzen Prozesses erlebt? Was hast du über dich und dein Leben, insbesondere deine musikalische Biografie erfahren?“ Und: „Was hat sich während dieses Prozesses verändert?“
Den Weg durch die Räume kann man musikalisch gestalten. Dies geht in Gruppen nur nacheinander, da bei einer gleichzeitigen Aktion der Einfluss der anderen so groß wäre, dass das Eigene, Besondere, auf das es uns besonders ankommt, zu kurz käme. Sehr geeignet ist diese Variante in der Einzelarbeit. Die Räume werden wie beschrieben gestaltet und beschritten. Dann wird die Klientin, der Klient aufgefordert:
„Suche dir bitte Instrumente oder andere Gegenstände, die Klänge erzeugen, und gib ihnen einen Platz in diesem Raum, der zu deiner musikalischen Biografie passt … Und dann spiele dich durch deinen Instrumentenparcours, auf deine eigene Art und Weise, auf deinem eigenen Weg. Spiele und höre dir selbst zu …“
Hier gilt es, im verbalen Austausch anschließend vor allem der Frage nachzugehen, was sich während des Prozesses wodurch verändert hat. Eine weitere Variante kann darin bestehen, dass die KlientInnen vorher aufgefordert werden, Objekte ihrer musikalischen Biografie mitzubringen. Das können wie vorhin Instrumente sein oder alte Schallplatten, Noten, der uralte Kassettenrecorder, dies und jenes, was mit der musikalischen Biografie zusammenhängt. In jedem Fall ist es wichtig, die KlientInnen aufzufordern, in der aktuellen therapeutischen Situation den Parcours durch Instrumente zu ergänzen, die aktuell dazu passen. Auch dieser Parcours sollte, wenn möglich, musikalisch „durchgespielt“ und räumlich erlebt werden.
2.4 Filmmusik
Der therapeutische Weg zur „Komposition“ einer biografischen Filmmusik beginnt mit einer Variante der eben vorgestellten Panorama-Methode. Wie beschrieben, werden ein Beobachtungs- bzw. „neutraler“ Raum sowie ein großer Raum der musikalischen Biografie geschaffen.
„Geht durch den Raum und findet dabei den Platz, den ihr als Ausgangspunkt eurer musikalischen Lebensgeschichte bezeichnen möchtet … Wenn ihr ihn gefunden habt, haltet