verschiedene Varianten des Begriffs «Person» entwickelt hätten, mit Person aber immer etwas beschrieben werde, «was sich von der körperlichen Realisation des menschlichen Lebens und der bloßen Tatsache des Bewusstseins unterscheiden» (a. a. O., S. 29) lasse. Im vorliegenden Beitrag zeichnen sich Personen durch Reflexivität aus. Unter Reflexion wird in einem unspezifischen, allgemeinen Verständnis jede Art des rückbezüglichen Denkens, des Nach-Denkens verstanden. Erst eine kritische Reflexion fordert allerdings beim Reflexionsprozess explizit das eigene Selbst. Müller (2018b, 2018c u. a.) differenziert die Denkfiguren «Reflex», «Reflektion» und «Reflexion». Letztere wendet «die Ansätze von Reflex und Reflektion kritisch und nimmt sie in offenen, denk-, handlungs- und urteilserweiternden Varianten auf» (Müller, 2018b, S. 127). Die Denkfigur «Reflexion» berücksichtigt auch innerpsychische Prozesse. «So können sowohl äußere Relationsbeziehungen von Wechselwirkungen als auch innere Vermittlungsverhältnisse gedacht und konzeptualisiert werden» (ebd.).
Der Begriff «Person» wird verwendet, «um die gesamte physische und psychische Ausrüstung des Individuums zu bezeichnen» (Spiegel, 1961, S. 217). Das Selbst wird als psychischer Anteil aufgefasst, der dazu beiträgt, dass aus einem Menschen eine Person wird. Während sich zum Beispiel für Jacobson (1998 [1964]) das Selbst «auf die gesamte Person eines Individuums, einschließlich seines Körpers und seiner Körperteile, wie auch seiner psychischen Organisation und deren Teile» (a. a. O., S. 17) bezieht, wird im vorliegenden Beitrag zwischen «Person» und «Selbst» differenziert. Das Selbst als psychischer Anteil der Person kann wiederum als Prozess und Inhalt aufgefasst werden (Ludwig-Körner, 2014, S. 857 f.). In prozessorientierter Perspektive entwickelt und verändert sich das Selbst stetig. Eine inhaltlich-strukturorientierte Perspektive auf das Selbst betont das Beständige. Die Entwicklung der Persönlichkeit in Hinblick auf die Ausbildung konsistenter «Muster des Fühlens, Denkens und Verhaltens» (Pervin, Cervone & John, 2005, S. 31) wäre einer inhaltlich-strukturorientierten Perspektive auf das Selbst zuzuordnen.
Unter personenbezogener Arbeit wird die Berücksichtigung der Denkfigur «Reflexion» im Hochschulstudium verstanden. Reflexivität trägt wiederum zur Persönlichkeitsentwicklung bei – ein entscheidender Aspekt, wenn es im Folgenden um Begründungen für die Berücksichtigung personenbezogener Arbeit im Hochschulstudium geht.
2 Begründungen
Die Notwendigkeit personenbezogener Arbeit und die damit einhergehenden Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung sollen im Folgenden anhand von drei Perspektiven, die sich auf die Bildungstheorie, Psychoanalyse und Professionsforschung beziehen, herausgearbeitet werden.
2.1 Bildungstheoretisch orientierte Perspektive
Bildung ist im deutschsprachigen Raum ein gesellschaftlich anerkanntes, übergeordnetes Ziel von Bildungsinstitutionen, wie beispielsweise Hochschulen. Bildung findet häufig als Sammelbegriff für sämtliche Aspekte, die den Lehr-Lern-Prozess betreffen, Verwendung. Begriffskomposita, wie «Bildungsinstitutionen», «Bildungspolitik» oder «Bildungsmisere», verdeutlichen die vielseitige, unkonkrete Verwendung des Bildungsbegriffs.
«Bildung lässt sich […] nicht definieren, festmachen, auf den Punkt bringen, sondern allenfalls umschreiben, betrachten, hin- und herwenden, auslegen, befragen usw. Sie ist Teil des individuellen und kollektiven Lebens, muss deshalb von jedem Einzelnen in seinem ganz persönlichen Leben immer wieder neu gewagt und bestimmt, muss aber auch von jeder Generation und jeder Gemeinschaft, jedem Volk und jeder Nation stets aufs Neue gesucht und auf den Begriff gebracht werden.» (Winkel, 2005, S. 240)
Die Offenheit in der Auslegung führt dazu, dass das Bildungsverständnis «nicht ‹neutral› und losgelöst vom Selbstverständnis des jeweiligen Sprechers» (Kunze, 2012, S. 125 f.) gedacht werden kann. Diese unauflösbare Normativität wird aber im Sinne des in diesem Beitrag vertretenen Bildungsverständnisses selbst zum Gegenstand von Bildung. Es handelt sich um eine zur Disposition stehende Begriffsauslegung.
Bildung wird in diesem Artikel als ein kritisches Sich-ins-Verhältnis-Setzen zu sich selbst und der «Welt» aufgefasst (Albers, 2017). In diesen individuellen, reflexiven Vorgang werden demnach die eigene Person (Selbstverhältnis) wie auch Mitmenschen, gesellschaftliche Gegebenheiten, physische Gegenstände u. a. (Weltverhältnis) einbezogen. Es geht um die Frage, welche Bedeutung ich zum Beispiel einem Sachverhalt in Hinblick auf mich selbst und der von mir antizipierten «Welt» zuschreibe. In Anlehnung an Klafkis (2007) demokratisch ausgelegtes Bildungsverständnis wird Bildung im Kontext der Förderung von Selbst- und Mitbestimmung sowie Solidaritätsfähigkeit gesehen.
Als kritisch-reflexiver Vorgang ist Bildung personenbezogene Arbeit. Bildung als prioritäres Ziel von staatlichen (und staatlich anerkannten) Institutionen des Lehrens und Lernens macht dann wiederum personenbezogene Arbeit an Hochschulen notwendig.
Eine bildende inhaltliche Auseinandersetzung von Studierenden kann als übergeordnete Begründungsebene für personenbezogene Arbeit im Hochschulstudium verstanden werden, auf die auch die psychoanalytisch ausgerichtete und professionsorientierte Perspektive zielen.
2.2 Psychoanalytisch orientierte Perspektive
«Das Studium sollte als Chance für die Persönlichkeitsentwicklung begriffen werden. Hier werden oft die Weichen gestellt, die darüber entscheiden, ob das Individuum den Weg in die psychische Gesundheit und kreative Entfaltung im Beruflichen und Privaten einschlägt oder aber in einer Sackgasse landet, die durch das persönliche Scheitern, sozialen Rückzug und Flucht in psychosomatisches Leiden gekennzeichnet sein kann.» (Leuzinger-Bohleber, 2000, S. 159)
«Soziale Berufe»[1] sind durch vielfältige menschliche Kontakte und Erfahrungen geprägt; es geht immer um Beziehungsarbeit. Doch ein Sich-Einlassen wird erst möglich, wenn man «sich in sich selbst wie in einem stabilen eigenen Haus – warm, kuschelig und wohl versorgt – [fühlt, d. Verf.], dann können Fenster und Türen geöffnet werden, um das Haus mit Leben zu füllen» (a. a. O., S. 163). Um dem entgegenzukommen, bedarf es der Festigung von innerseelischen Ressourcen und Möglichkeiten, zum Beispiel durch die Förderung einer beständigen Selbstentwicklung und kreativer Problemlösemöglichkeiten (a. a. O., S. 170).
Die Bedeutung des Rückgriffs auf innerseelische Ressourcen wird deutlich, wenn es um den Umgang mit Ambivalenzen geht, die mit «sozialen Berufen» einhergehen (Helsper, 2011). Ambivalenzen, zum Beispiel zwischen einem großen Bedarf an sozial-erzieherischer Unterstützung und den eigenen begrenzten physischen und psychischen beruflichen Kapazitäten, werden als emotional «belastend erlebt, sie irritieren und können das Handeln unsicher machen» (Schlömerkemper, 2017, S. 25).[2]
In diesem anspruchsvollen Arbeitsumfeld kann es zu Überforderungen von Berufstätigen kommen. Aus diesem Grund besteht die Gefahr, dass sie auf Abwehrmechanismen zurückgreifen, um die erlebte äußere Komplexität zu reduzieren. Dabei regredieren sie unter Umständen auf archaische und primitive Stufen seelischen Erlebens, zum Beispiel durch die Verleugnung konkreter Probleme im beruflichen Kontext oder Projektionen, bei denen eigene unerträgliche Wünsche oder Impulse in eine andere Person projiziert werden (Leuzinger-Bohleber, 2000, S. 164 ff.). Die Wahrnehmung der Umwelt wird dann verzerrt und steht der Entwicklung einer «reifen Ambivalenz» (a. a. O., S. 170) entgegen, also dem Wahrnehmen und Aushalten von unvereinbar erscheinenden Strebungen. «Eine nicht-dichotome Argumentationsfigur zeichnet sich [erst dann, d. Verf.] ab, wenn spekulativ das Verhältnis von erster und zweiter Position in einer dritten Konstellation reflexiv ausgehalten wird» (Müller, 2018c, S. 178). Ein psychoanalytisch orientierter Zugang nimmt dafür den latenten Gehalt beruflicher Gegebenheiten ins Blickfeld. Entsprechend geht es um das zunächst Unausgesprochene und Unbewusste: Eigene Gefühle und spontane Assoziationen werden geäußert und (auch) in Hinblick auf etwaige Widerstände («Abwehrmechanismen») hin analysiert. Es geht um das Wahrnehmen eigener äußerer und innerer Wahrheiten, wodurch eine komplexe und vielschichtige persönliche Auseinandersetzung mit dem beruflichen Kontext ermöglicht werden kann. Dieser psychoanalytisch orientierte Zugang basiert auf kritischer (Selbst-)Reflexion;