Heike Fischer

Non-Profit-Organisationen in die Zukunft entwickeln


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kann die Zivilgesellschaft die Rolle eines Modells selbstbestimmter, selbstbewusster Kooperation übernehmen. Die Bürgerrechtsbewegung der Leipziger Montagsdemonstrationen 1989/1990, die maßgeblich zum Zusammenbruch des DDR-Regimes beitrug, ist hier ein historisches Beispiel.

      Zivilgesellschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetze bieten Bürgern die Möglichkeit, sich wirksam zu artikulieren und die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen. Menschenrechte, politische Partizipationsrechte oder Umweltthemen können so auf allen Ebenen der Gesellschaft bis in den internationalen Bereich hinein wirksam vertreten werden – und zwar auch unabhängig von privatwirtschaftlichen Interessen oder diplomatischen Rücksichtnahmen. Mit weltweiten Aktionen ohne Gewaltanwendung zu Themen wie Atomkraft, globale Erwärmung oder Artenschutz hat vor allem Greenpeace International hohe Aufmerksamkeit erlangt.

      Wenn Politik und Staat oder Wirtschaftseliten das Vertrauen der Bürger verlieren, bietet der dritte Sektor Möglichkeiten der Selbstorganisation. Gerade in Phasen politischer und wirtschaftlicher Turbulenzen steigt der Bedarf an Problemlösungen, die im Non-Profit-Sektor organisiert werden. Hier findet sich das Potenzial, Fehlentwicklungen in anderen Sektoren auszugleichen. Bei Marktversagen ist in erster Linie der Staat – oder besser ein Staatenverbund – aufgerufen, regulierend einzugreifen. Bei Staatsversagen oder korrumpierter Politik bleibt allerdings nur die Selbstorganisation der Bürger. In den Wirren gesellschaftlicher Umwälzungen bilden bürgerschaftliche Zusammenschlüsse die Basis einer freiheitlichen Entwicklung. Nicht ohne Grund treten Demokraten für die Vereinsfreiheit als ein Grundrecht ein.

      Die Vielfalt der Vereinslandschaft ist kaum darzustellen. Dem Spektrum der Ziele von Vereinen und den zahlreichen Formen zur Umsetzung des Willens ihrer Mitglieder entsprechen die unterschiedlichsten Vereinskulturen. Vereine lassen sich u. a. nach Sparten, Funktionen oder Interessen differenzieren (vgl. Agricola 1999, 36 ff.). Hier nur ein Überblick zu einigen Kategorien: Zusammenschlüsse aus Betroffenheit (z. B. Selbsthilfegruppen oder Bürgerinitiativen), Interessenvereine (Hobbyvereine, Brauchtums- und Sportvereine), Zusammenschlüsse zur Dienstleistung für andere (Trägervereine und Wohlfahrtsvereinigungen oder Automobilclubs oder Einrichtungen im Sozial-, Kultur- und Gesundheitsbereich) sowie Bürgervereine (z. B. Stadtteil oder Nachbarschaft), Fördervereine (Kulturmäzenatentum oder Bauförderung und Schulförderung) und Aktionsvereine (z. B. Umweltvereine und weltanschauliche oder politische Vereine).

      Non-Profit-Organisationen sind genauso vielfältig wie ihre Aufgaben. Sie beziehen sich in erster Linie auf gemeinnützige Zwecke oder ideelle Güter. Die Ergebnisse lassen sich häufig gar nicht in Zahlen messen. Deshalb ist es so fragwürdig, Effizienzkriterien aus der Wirtschaft eins zu eins auf Entwicklungskonzepte im Non-Profit-Sektor zu übertragen. Zwar muss überall sparsam gewirtschaftet werden, denn frei von ökonomischen Zwängen ist keine Organisation. Aber im Non-Profit-Bereich steht monetäres Gewinnstreben nicht an erster Stelle.

      Wie die Organisationszwecke, so unterscheidet sich in den drei Sektoren auch die Handlungslogik. Die Logik des Marktes heißt: »Besser sein als die Konkurrenz.« Eine gute Wettbewerbsposition sichert die Existenz des Unternehmens und die Gewinnchancen der Eigentümer oder Shareholder. Sogar das Prinzip der Kundenorientierung dient letztlich dem Wettbewerbsvorteil.

      Im Non-Profit-Sektor überwiegen Ziele, die der Allgemeinheit dienen, Gemeinschaftsorientierung oder Mitgliedersolidarität: »Einer tritt für den anderen ein.« Mitmenschliches, solidarisches oder genossenschaftliches Handeln sind hier zentrale Prinzipien. Je nach Tendenz stammen die Leitlinien aus christlicher Mildtätigkeit (Caritas), aus dem Gemeindedienst (Diakonie) oder sie sind Ideen des aufgeklärten Humanismus. Wie weit sie im Organisationsalltag tatsächlich das Handeln bestimmen, ist allerdings eine andere Frage. Viele Organisationen sind an einem Punkt angelangt, wo der ursprüngliche Zweck der Organisation nicht mehr im Bewusstsein der Menschen verankert ist.

      Der Staat hat im Sinne des Gemeinwohls die Aufgabe, öffentliche Güter und Dienste bereitzustellen. Hier geht es in erster Linie um einen Interessenausgleich nach den Spielregeln der Verfassung. Politische Eliten können jedoch an diesem Anspruch scheitern, wenn sie partikulare Interessen – z. B. den eigenen Machterhalt oder Lobbyinteressen – über das öffentliche Interesse stellen. Manche Politiker denken über Legislaturperioden kaum hinaus. Aber das sei hier nicht unterstellt. Staatliches Handeln steuert und reguliert, und zwar in erster Linie durch Beschlüsse, Gesetze und Verordnungen. Da der Staat für alle Bürger zuständig ist, haben Regierende den durchschnittlichen Bürger und Wähler im Blick. Und öffentliche Verwaltungen sind gehalten, im Rahmen ihres jeweiligen Befugnisbereichs »konform mit den Normen« zu entscheiden. Verordnungen müssen »ohne Ansehen der Person« angewendet werden. Daraus leiten sich für Bürger Rechte ab. Die Rationalität bürokratischer Herrschaft war immerhin einst ein Fortschritt der Moderne – und zwar mit Blick auf die persönliche Abhängigkeit der Untertanen von ihren Königen und Fürsten.

      An die Logik des Interessenausgleichs im Sinne des Ganzen ist der Dritte Sektor nicht gebunden. Hier können Partikularinteressen vertreten und bedient werden. Denn der Staat ist letztlich nicht in der Lage, allen Bevölkerungsgruppen in dem von ihnen gewünschten Maße gerecht zu werden. Verbände, Vereine und Vereinigungen – auch gemeinnützige – können dagegen die spezifischen Interessen einzelner Personengruppen differenzierter wahrnehmen. So können sich Dritte-Sektor-Organisationen gezielt für die eigenen Mitglieder (Selbsthilfe) oder auch für andere Gruppen einsetzen (z. B. als Trägerverein, Dienstleistungsverein). Ein Beispiel für solch eine spezifische Vertretung ist der Sozialverband VdK, der für Menschen mit Behinderungen sowie für chronisch Kranke, Senioren, Patienten und sozial Schwache eintritt. Der Verband betreibt bundesweit über 400 Geschäftsstellen und zählt 1,5 Millionen Mitglieder.

      Das Potenzial gesellschaftlicher Problembewältigung im Dritten Sektor zwischen Markt und Staat oder zwischen Wettbewerbsregime und Staatsdirigismus könnte für die zukünftige Entwicklung der globalen Gesellschaft entscheidend sein. Zumindest wenn man daran denkt, dass schlimmstenfalls beide Systeme – das politische und das Wirtschaftssystem – implodieren könnten. Genossenschaftliche Konzepte und Selbsthilfelösungen wären bekannte Alternativen, auf die man zurückgreifen könnte. So sind die Dreiteilung und die Konturierung der Unterschiede zwischen den drei Sektoren durchaus sinnvoll. Sie dient im Weiteren auch als Folie für die Beschäftigung mit Mischformen und fließenden Übergängen. Denn Hybridformen nehmen zu (s. u.: 4. Vielfalt, Mischformen und ein uneinheitlicher Sprachgebrauch). Um die Vielfalt im Non-Profit-Bereich übersichtlicher zu kategorisieren, kann man zwischen staatsnahen, basisnahen und wirtschaftsnahen NPO unterscheiden.

      Allerdings ist aus historischen und politischen Gründen die Verbindung zwischen dem öffentlichen und dem Dritten Sektor in Deutschland vergleichsweise eng. Die gewachsene Staatsnähe des Dritten Sektors betrifft vor allem den Wohlfahrtsbereich. Die Bismarck’sche Sozialgesetzgebung zur Absicherung gegen Krankheit, Berufsunfall und Invalidität (1883-1889) und auch spätere Maßnahmen der staatlichen Wohlfahrtspflege trugen dazu maßgeblich bei. In der Weimarer Republik wuchs der dritte Sektor vor allem mit der Arbeiterbewegung. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) überschritt 1920 die Mitgliederzahl von acht Millionen. In allen politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereichen nahmen organisierte Interessen zu.

      Demokratische Werte und Bürgerrechte hatten aber während der Weimarer Republik noch keinen ausreichenden Rückhalt. Zu sehr war die politische Kultur noch von obrigkeitlichem Denken beherrscht.

      1933 begann ohne breiten Widerstand die nationalsozialistische Gleichschaltung von Gewerkschaften, Verbänden und Vereinen. Die zwangsweise Gleichschaltung folgte dem Führerprinzip sowie rückwärtsgewandten Bildern einer ständischen Gesellschaftsordnung.

      Nach der militärischen Überwindung des Dritten Reiches stellte das Besatzungsregime in der britisch-amerikanischen Zone schon früh die Weichen für ein marktwirtschaftliches System. In der alten Bundesrepublik (BRD) wurde dann die sozialpolitisch flankierte marktwirtschaftliche Ordnung Basiskonsens der großen Volksparteien. Gewerkschaften und Interessenverbände formierten sich neu. Markt, Staat und Dritter Sektor konnten sich mit dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft relativ gleichgewichtig entwickeln.

      Im anderen Teil Deutschlands wurde der Non-Profit-Sektor weitgehend staatlich dominiert. In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)