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Gestalttherapie in der klinischen Praxis


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der Herausgeber

      Dieses Buch begann als Projekt in Athen im Jahr 2007, während der 9. EAGT-Konferenz, als wir davon träumten, ein solches Werk zu schaffen. Wir interessieren uns alle seit vielen Jahren für Psychopathologie und besonders für die spezifische gestalttherapeutische Perspektive zu diesem Thema (siehe z. B. Francesetti 2007; Roubal 2007; Francesetti und Gecele 2009). Wir sind GestalttherapeutInnen und PsychiaterInnen und jede(r) von uns hat einen Prozess durchlebt, um diese Hintergründe zu integrieren. Die Gestalttherapie hat unsere Art, ÄrztInnen zu sein, grundlegend beeinflusst: menschliches Leiden zu verstehen, uns mit der therapeutischen Beziehung zu befassen, unsere KlientInnen zu unterstützen, auf uns selbst als TherapeutInnen Acht zu geben. Außerdem hat unsere klinische Erfahrung uns sensibler für spezifische Aspekte des Gestaltansatzes gemacht. Wir waren begeistert von der Vorstellung, die Unterstützung, die uns die Gestalttherapie als ÄrztInnen geboten hat, mit unseren KollegInnen zu teilen und einen Dialog zur klinischen Anwendung unserer Therapieform zu beginnen.

      Drei Elemente sind zugleich Hintergründe und Ziele in unserer Arbeit gewesen: Zuallererst gab (und gibt) es eine Lücke zwischen der reichen klinischen Erfahrung vieler GestalttherapeutInnen und der verfügbaren Literatur. Literatur zur gestalttherapeutischen klinischen Arbeit ist ein grundlegendes Werkzeug für Studierende in Ausbildungsprogrammen und bietet zusätzlich eine Unterstützung für den fortlaufenden Dialog über Psychopathologie und ihre Veränderungen im Laufe der Zeit. Diese Literatur ist auch relevant für den Ruf der Gestalttherapie bei KollegInnen anderer Therapieformen und stellt ein Mittel dar, einen Dialog mit ihnen zu führen: Nur allzu oft ist unser Ansatz ausschließlich mit Techniken identifiziert worden, ohne das Wissen um unseren reichen theoretischen Hintergrund, der unsere Praxis leitet. Dieses Buch ist also ein Versuch, auszudrücken und zu beschreiben, was GestalttherapeutInnen in ihrer klinischen Praxis machen und wie unser spezifisches Verständnis von Psychopathologie aussieht.

      Ein zweites Element, das uns zu diesem Projekt animiert hat, waren die Vorbehalte, die GestalttherapeutInnen oft gegenüber der Psychopathologie hegen. Es ist aus epistemologischen, historischen und politischen Gründen keine einfache Beziehung. Dennoch gibt es ein spezifisches gestalttherapeutisches Verständnis von Psychopathologie: Jedes psychotherapeutische Modell verfügt darüber, explizit oder implizit. Wir denken, dass die Lehre der humanistischen Bewegungen – die Einzigartigkeit jedes Menschen und jeder Begegnung – immer wertvoll bleibt: Die gestalttherapeutische Psychopathologie ist ein Verstehen des menschlichen Leidens durch unsere Theorie. Sie ist nicht dazu da, unsere KlientInnen mit Bezeichnungen zu versehen. Dieser Prozess ist eine wertvolle Unterstützung in unserer klinischen Praxis. Tatsächlich denken wir, dass das der Gestalttherapie zugrundeliegende Buch von Perls, Hefferline und Goodman gesundes und neurotisches Erleben gut beschrieben hat, dass seine wesentlichen Konzepte jedoch noch ausgeweitet werden können: So kann z. B. die Theorie des menschlichen Erlebens die Basis sein, um psychisch schwer erkrankte KlientInnen und psychotische Funktionsweisen zu verstehen.

      Der dritte Punkt, der uns motiviert hat, war unsere Leidenschaft, menschliches Leiden als ein Feldphänomen zu verstehen: Wir haben täglich bei der Arbeit und in unserem Alltag mit Leiden zu tun und werden immer wieder aufs Neue von Leiden herausgefordert. Wir glauben und wir haben erlebt, dass die Gestalttherapie einen Schlüssel bieten kann, um leidenden Menschen beizustehen und sie zu unterstützen und zu verstehen. Zusätzlich bietet uns die Betrachtung menschlichen Leidens als Feldphänomen die Möglichkeit, das individuelle und das soziale Feld besser zu begreifen.

      Dies waren die Motivationen, die uns – gepaart mit einem guten Stück Unwissenheit, was den Arbeitsaufwand anging – dazu gebracht haben, mit diesem Buch anzufangen.

      Da unser Verständnis von Psychopathologie in vielen Kapiteln angesprochen wird, wollen wir uns hier auf den Untertitel konzentrieren: Von der Psychopathologie zur Ästhetik des Kontakts. In dieser Zeile findet sich der Kern unserer Vision: Im Kontaktprozess kann das menschliche Leiden erreicht und verändert werden, und diese Verwandlung ist ästhetisch. Hier sind zwei Gedanken enthalten: Erstens, dass die Psychopathologie ein ko-kreatives Phänomen des Feldes ist, das an der Kontaktgrenze entsteht und im Kontaktprozess verändert werden kann. Zweitens, dass diese Verwandlung ästhetisch ist: Das heißt, dass sie mit unseren Sinnen wahrgenommen wird, mit ästhetischen intrinsischen Kriterien bewertet wird und sogar Schönheit erschaffen kann.1

      Durch diese Mittel können wir die Psychopathologie ins Herz der gestalttherapeutischen Theorie bringen.

      Wir wollen den LeserInnen verdeutlichen, dass die klinische Praxis nur eines der Felder ist, auf die die Gestalttherapie angewandt wird. Die gestalttherapeutische Theorie und Praxis können ein Arbeitsmodell für Organisationen, in der Kunst, der Bildung, in einer sozialen und politischen Dimension sein. Die Gestalttherapie kann als ein Weg gesehen werden, um die Gestaltung, den Prozess der Schaffung von Gestalten, die vereinte Gesamtheit der menschlichen Erfahrung zu unterstützen. Die Psychopathologie und die klinische Praxis sind also nur eines der Felder, in denen unsere Theorien nutzbringend angewandt werden können.

      Dieses Buch ist in vier Abschnitte unterteilt.

      Der erste Teil konzentriert sich auf die grundlegenden Prinzipien in Verbindung mit der Gestalttherapie in der klinischen Praxis. Hier finden Sie ein paar grundlegende Themen, die vor oder während der klinischen Arbeit besprochen werden müssen: Kernkonzepte und modernisierte Konzepte der Gestalttherapie, die gestalttherapeutische Perspektive zur Psychopathologie, Diagnose und Entwicklung, Ethik, Forschung und die Beziehung zwischen Psychotherapie und Medikamenten.

      Im zweiten Teil werden spezifische Kontexte und Fokusse besprochen: Dieser Abschnitt unterstützt die Feldperspektive des Leiden des Individuums und hilft der LeserIn, es im Rahmen sozialer, politischer und multikultureller Dimensionen zu betrachten. Sie finden hier auch zwei spezifische Fokusse, die besonders relevant für die klinische Praxis sind: Entwicklungstheorien und Scham.

      Im dritten Abschnitt werden besondere Lebensumstände und Risikosituationen besprochen: Kindheit, Pubertät, Alter, Verlust und Trauer, Trauma und Suizidrisiko.

      Im vierten Abschnitt werden verschiedene klinische Leiden aus einer gestalttherapeutischen Perspektive untersucht. Dieser Abschnitt bietet einen Überblick über klinische Erfahrungen und Forschungen zu den psychopathologischen Hauptthemen. Wir haben uns mit vielen klassischen diagnostischen Kategorien befasst: Demenz, abhängiges Verhalten, Psychosen, depressives und bipolares Erleben, Anorexie, Bulimie und Hyperphagie, Psychosomatik, sexuelle Probleme, Persönlichkeitsstörungen (Borderline, Narzissmus, Hysterie), gewalttätiges Verhalten. Wir haben uns für diese Kategorien entschieden, weil sie zum aktuellen psychopathologischen und diagnostischen Vokabular gehören. Wir hoffen, dass die LeserInnen ihren eigenen Weg finden, sich auf diese Kategorien zu beziehen und sie gleichzeitig zu dekonstruieren, wenn die Begegnung mit einer KlientIn die Einzigartigkeit jeder Begegnung zeigt. Wir haben uns bemüht, diese Reise in allen Teilen dieses Bandes zu unterstützen.

      Am Ende unserer Arbeit haben wir bemerkt, dass sich die Struktur dieses Buches vom ursprünglichen Projekt unterscheidet: Wir hatten geplant, uns in einem Band auf spezifische klinische Leiden zu konzentrieren, und jetzt ist das der letzte Teil von vieren. Wir denken, dass diese Entwicklung ein wichtiges Thema hervorhebt: Beim Sprechen über Psychopathologie riskiert man immer, einem gewissen Reduktionismus anheimzufallen. Im Einklang mit unserer gestalttherapeutischen Perspektive haben wir daher die Notwendigkeit gesehen, den Grund des klinischen Leidens und der Arbeit zu nähren und zu beleuchten. Auf diese Weise hat dieses Buch – in gewisser Weise spontan – seine endgültige Form angenommen: Eine ziemlich lange und komplexe Reise in den Hintergrund, bevor man sich dem spezifischen individuellen Leiden widmet. Letztendlich spiegelt diese Form einen theoretischen Eckpfeiler dieses Buches: Das individuelle Leiden entsteht aus einem beziehungsbezogenen Grund, und dies gibt der Therapie eine Bedeutung und eine Richtung.

      Auf jedes Kapitel folgt ein Kommentar, der von einer anderen AutorIn geschrieben wurde: Es war unser Ziel, eine zweite Meinung zu jedem Thema zu bieten, um es in einen breiteren kritischen Rahmen zu stellen, eine Art binokulare Perspektive, die eine dreidimensionale Betrachtung ermöglicht. Die LeserIn ist diesen unterschiedlichen Perspektiven ausgesetzt: ein komplexer Horizont, der die Komplexität des Feldes in diesem Moment aufzeigt. Das umfangreiche Literaturverzeichnis