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Gestalttherapie in der klinischen Praxis


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eine fundierte Auseinandersetzung auf dem Parkett der Psychotherapie führen zu können.

      Ein Grundlagenwerk, das das Thema der Diagnostik psychischer Störungen im gestalttherapeutischen Verständnis von Beziehung und sozialem Feld verortet, ist von unschätzbarem Wert für die Weiterentwicklung der Gestalttherapie und in ihren Bestrebungen zur wissenschaftlichen Anerkennung.

      Es gibt der Identität der Gestalttherapie Form und Figur und ist so im Dialog und Austausch mit anderen von großer Unterstützung.

      Wir wünschen diesem Buch viele LeserInnen aus vielen Kontexten. Wir hoffen, dass Sie dieses Buch zerkauen, assimilieren und sowohl in klinisch praktischer Anwendung als auch in der Theoriebildung für sich nutzbar machen, dass es unterstützt, neue Perspektiven zu gewinnen und somit nicht zuletzt jene Menschen, mit denen wir arbeiten, davon profitieren.

      Als Vertreterinnen unserer Nationalen Organisationen für Gestalttherapie – DVG und ÖVG – im General Board der EAGT (Europäischen Association for Gestalttherapy) haben wir dieses Projekt initiiert, und nun ist es uns eine große Freude, dass dieses Buch erscheint.

      Veronica Klingemann,

      Deutsche Vereinigung für Gestalttherapie, DVG

      Beatrix Wimmer,

      Österreichische Vereinigung für Gestalttherapie, ÖVG

      Das nun auch in deutscher Sprache erschienene Werk über die weltweite gestalttherapeutische klinische Weiterentwicklung füllt eine gravierende Lücke. Es ist den drei Initiatoren zu verdanken – selbst engagierte und erfahrene gestalttherapeutische Psychiater –, dass das Werk das Erfahrungswissen speziell im Bereich der schwereren psychiatrisch-psychotherapeutischen Störungen erfasst. Dabei wird die vielfältige Behandlungserfahrung bei Patienten aller wesentlichen Problemfelder im Bereich der Psychotherapie, Psychiatrie, Psychosomatik einbezogen. Es beinhaltet auch Gesichtspunkte einer modernen kulturorientierten Soziotherapie mit Migrationsproblematik. Deutlich wird, wie wirksam die Beziehungsdimension gerade bei diesen schweren Krankheitsbildern ist, wenn sie im gestalttherapeutisch-humanistischen Sinn angemessen und im guten Sinne professionell eingesetzt wird. In der Beziehungsgestaltung liegt ein sehr großes Heilungspotenzial verborgen, das die konventionelle Medizin und speziell die Psychiatrie etc. verschenken. Ich kann das aus meiner Erfahrung voll bestätigen. (Ich leitete ab 1978 zehn Jahre lang in Deutschland die erste gestalttherapeutisch geführte Abteilung für Psychiatrie/Psychotherapie/Psychosomatik.)

      Der Dank gebührt sowohl dem Idealismus der beteiligten Wissenschaftler und praktizierenden Fachvertreter als auch der EAGT (European Association for Gestalt Therapy), unter deren Schirm die Beiträge in englischer Sprache gesammelt worden sind – sowie schließlich der DVG (Deutsche Vereinigung Gestalttherapie), ÖVG (Österreichische Vereinigung für Gestalttherapie) und der FS IGT im ÖAGG (Fachsektion für Integrative Gestalttherapie im Österreichischen Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik), die für die deutsche Übersetzung Sorge trugen.

      In Verbeugung vor dem dialogischen Prinzip der Gestalttherapie und der Bedeutung seiner Kontaktgestaltung ist das Werk dialogisch konzipiert: Markante Vertreter antworten einander, teils verstärkend, teils kritisierend, teils ergänzend und potenzierend, und setzen so Impulse zur lebendigen Weiterentwicklung. So erweist sich die Gestalttherapie als geistiger Fluss mit bewährten relativierten und innovativen Strängen.

      Der Untertitel »Von der Psychopathologie zur Ästhetik des Kontakts« mag manche Kollegin, manchen Kollegen verwundern. Hier taucht ein Gesichtspunkt auf, der im internationalen Mainstream der Fächer Psychiatrie/Psychotherapie/Psychosomatik nicht wahrgenommen wird: Es geht im Kontaktverhalten nach innen und außen auch um Phänomene der Stimmigkeit zwischen den verschiedenen Teil-Kompetenzen, die das Kontaktverhalten modulieren bzw. ihm Dissonanzen oder Konsonanzen verleihen.

      Entgegen dem Vorurteil der eigenen ersten Generation konnte – vor allem dank der Forschergruppe um Leslie Greenberg aus Kanada – die gestalt-typische Vorgehensweise der schrittweisen Prozessorientierung schließlich doch für die Forschung zugänglich gemacht werden. Sie entspricht in der Psychotherapieforschung einem Quantensprung. Greenberg sieht durch die Prozess-Forschung für die dritte Generation das Potenzial, Theorie und Praxis der Gestalttherapie auf einem höheren Reflexionsniveau als bisher integrieren zu können.

      Die Wirksamkeit von Psychotherapieverfahren wird heute in Effektstärken (ES) angegeben. Nach Cohen gilt 0.5 ES als mittlere, 0.8 ES als gute Wirksamkeit. Der Durchschnitt der amerikanischen Humanistischen Verfahrensgruppe (Gestalttherapie, Gesprächstherapie, Psychodrama, Emotion FocusedTherapy) liegt in der Metaanalyse von R. Elliott1 bei 0.93 ES, punktgleich mit der CBT/Verhaltenstherapie (cognitive behavioral therapy). Die psychodynamische Gruppe, die aus Psychoanalyse und Tiefenpsychologie besteht, liegt jetzt wie früher deutlich darunter.

      Gestalttherapie ist heutzutage dasjenige Psychotherapie-Verfahren, das weltweit die höchsten Effektstärken aufweist. Phil Brownell2 berechnete für die Gestalttherapie eine ES zwischen 1.12 und 1.42 ES, je nach Diagnosegruppe.

      Ausschließlich in Deutschland herrscht ein beschämender Sonderstatus: Hier wurden 1998 aufgrund einer berufspolitischen Verbandsinitiative der derzeitigen »Richtlinien-Verfahren« die humanistischen und systemischen Verfahren per Gesetz für die staatliche Patientenversorgung nicht zugelassen, obwohl (oder weil!) vor allem die humanistische Gruppe bessere Wirksamkeitsstudien vorlegen konnte als im Durchschnitt die (interessengeleitet) später gesetzlich zugelassenen. Fazit: Deutschen Patienten werden derzeit die wirksamsten Psychotherapien vorenthalten. Die Mehrkosten hat die Versichertengemeinschaft zu zahlen. Korrigierende öffentliche Aufklärungsinitiativen über diesen Missstand sind seit einiger Zeit im Gange.

      Wir wünschen uns und unseren Patienten, dass in naher Zukunft auch in Deutschland Wissenschaft, Vernunft und Gerechtigkeit die Oberhand bekommen.

      Lotte Hartmann-Kottek

      Juli/August 2014

TEIL I

      Margherita Spagnuolo Lobb

      Wenn wir uns ansehen, wie die wichtigsten Prinzipien der Gestalttherapie von ihren Anfängen bis zum heutigen Tag beschrieben wurden, wird deutlich, dass es keine einheitliche Darstellung der Grundwerte unseres Ansatzes gibt.2 Immer, wenn wir versuchen, unsere Theorie zu beschreiben, müssen wir diese Beschreibung in dem historischen Moment verankern, in dem wir leben, und sie den aktuellen Bedürfnissen der Gesellschaft anpassen.

      Es mag aussehen, als hätten moderne Darstellungen kaum noch etwas mit den ursprünglichen Prinzipien gemeinsam. Sie sind jedoch das Ergebnis einer natürlichen und nachvollziehbaren Entwicklung, die sich in der Beziehung zwischen der Gesellschaft und der Psychotherapie vollzogen hat – ebenso wie zwischen der Gesellschaft und der Anthropologie, der Gesellschaft und der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Technologie usw. Unser Ansatz braucht Entwicklung, wie jeder andere Ansatz auch. Um sie zu fördern und mit ihr Schritt zu halten, ohne dabei unsere Wurzeln zu verlieren, bedarf es einer hermeneutischen Methode (Spagnuolo Lobb 2001c): Sie ermöglicht es, die ursprünglichen Prinzipien unseres Ansatzes in einen bestimmten sozio-kulturellen Kontext zu stellen, und betrachtet ihre Entwicklung parallel zur Entwicklung der Bedürfnisse von Gesellschaft und Kultur.

      Um dieses Ziel zu erreichen, ist es wichtig, die epistemologischen Prinzipien der Gestalttherapie zu definieren, die es zu respektieren gilt: Sie bestimmen die Grenzen, innerhalb derer Entwicklungen stattfinden können. Ein Beispiel: Bei der Arbeit mit der Technik des Leeren Stuhls, einer grundlegenden und sehr effektiven Technik, die den Kern unseres Ansatzes verkörpert, muss die veränderte Befindlichkeit der Gesellschaft in Betracht gezogen werden. Die Technik des Leeren Stuhls zielt darauf ab, dass sich die KlientIn auf ihr körperliches Erleben konzentriert und dadurch ihre Selbstregulierung unterstützt. Das wesentliche Element der Selbstregulierung entsteht beim Zusammenführen des physiologischen Erlebens (im Gegensatz zum geistigen) mit Systemen vorangegangener Kontakte (die Definition