und so ist ein Teich entstanden. Nun tritt ein polnischer Mann vor und rezitiert das Kaddisch mit großer Innigkeit in seiner schönen Sprache. Wer das Karma der Polen und Juden kennt, wird wissen, was dieser Moment für einige von uns bedeutet. Später am Tag tragen die Italiener ihr Kaddisch vor. Sie sprechen es gemeinsam, singen beinahe. Mit ihrer Inbrunst ermutigen sie uns, die Zuversicht des Kaddisch über das Kommen des Friedens zu teilen.
Es ist Donnerstag. Wir sprechen das letzte Kaddisch unseres Retreats vor dem Entkleidungsraum eines der beiden Krematorien. Der lange, enge Raum ist unter die Erde gebaut worden. Durch einen kleinen Eingang stiegen die Menschen die etwas über einen Meter breite Treppe hinunter. Der größeren Effizienz wegen wurden die Stufen flach gebaut, um den Kindern, Älteren und sehr Schwachen das Hinabsteigen zu erleichtern. Als die SS das Gebäude in die Luft jagte, fiel die Decke ein, durch die Lage unterhalb der Erde blieben die Wände intakt. Was die SS zu verstecken beabsichtigt hatte, liegt nun unter freiem Himmel. Wir verteilen uns an den Seiten und schauen in den Raum hinunter.
Nach dem Kaddisch bleibe ich auf meinem Platz oben stehen und sehe zu. Die Anderen steigen die Treppe hinab, um näher, um enger verbunden zu sein. Ihre Schritte sind langsam, vorsichtig, als bewegten sie sich auf heiligem Boden. Als fragten sie: „Ist es richtig von uns, hier zu sein?“ Ihre Hände berühren sich, und sie kommen dort zusammen, wo zahllose Seelen sich entkleideten und vor der Dunkelheit warteten. Die Dunkelheit ist für uns klar geworden. Die Klarheit der Dunkelheit. Wir fühlen uns gesegnet. Doch nicht durch irgendeinen Trost. Das Gestein und die gut gearbeiteten Ecken der Betonwände scheinen uns anzublicken und an das zu erinnern, was nicht vergessen werden darf. Ich warte an der Treppe, bis Bernie heraufkommt. Ich muss die Augen meines Freundes sehen. Zu ihm muss ich sagen: „… weit hinaus über alles Trostverheißende. Weit hinaus über alles Trostverheißende. Weit, weit hinaus!“
Bei unseren abendlichen Zusammenkünften schütteten die Menschen ihr Herz aus. Es gab Kinder von Überlebenden, Kinder von Wehrmachtsangehörigen und der SS und die vergessenen Polen, zu denen die Juden eine Affinität fühlten. Die Homosexuellen verteilten rosafarbene Dreiecke als Zeichen, dass auch sie von den Nazis verdammt worden waren. Wir sangen, einmal tanzten wir sogar Hand in Hand, nicht alle von uns und nicht zum Vergnügen, sondern weil wir nicht anders konnten.
Es gab ein Ritual spät am Abend. Bryan, unser Schofar-Bläser, hatte eine Möglichkeit entdeckt, ins Lager Auschwitz zu gelangen. Nacht für Nacht folgten ihm einige von uns durch die Stacheldrahtumzäunung. Wir schritten langsam die Straße hinunter bis zur Erschießungsmauer, wo er das Schofar blies. Man sagt: „Im einfachen Ton des Schofars erklingt der Atem des Herzens, der höher ist als jede Vernunft.“
In unserem Schlafsaal höre ich eines Abends zufällig, wie Bernie jemanden daran erinnert, dass in unserer Zen-Linie das Symbol für Erleuchtung der verschleierte Mond ist. Später in dieser Nacht begleite ich Bryan auf seiner Schofar-Runde an die Mauer. Wärt Ihr dort gewesen, Ihr würdet verstehen. Es ist eine wolkige Nacht. An der Mauer sehen wir die flackernden Lichter der Gedenkkerzen in ihren bunten Gläsern. Eine Israelin, die bei den Ruinen ein Romalied gesungen hat, spielt auf einer Holzflöte. Ein Mann und eine Frau aus unserer Gruppe gehen Hand in Hand. Über der Mauer wird der verschleierte Mond von zwei Bäumen umrahmt.
In Los Angeles hatte mich ein Freund und Kollege mit Tränen in den Augen gefragt: „Wie kannst du in Auschwitz beten?“ Nun weiß ich es, doch vor dem Retreat hatte ich es nicht wissen können. Wenn Gebete aus der innersten Tiefe kommen, dann waren wir Gebet, denn wir lebten in der Tiefe. Und wir schienen gemeinsam an einer geheimnisvollen Weisheit teilzuhaben. Wir hörten dem Ort zu. Wir bewohnten ihn. Ohne auch nur für einen Augenblick die Trauer zu vergessen, fühlten wir Freude. Hin und wieder sprach neben dir jemand eine profunde Einsicht aus, Äußerungen aus heiligen Schriften, ohne zu zitieren. Und wir sagten seltsame Dinge, zum Beispiel: „Wie kann ich diesen Ort verlassen?“
(Dieser Beitrag wurde erstmals im Sommer 1997 im Magazin Mountain Record veröffentlicht, Vol 15 #4, Zen Mountain Monastery, Mount Tremper unter der Leitung von Daido Loori Roshi)
USA (1996 + …)
Joan Halifax
Auschwitz Council
Going to Auschwitz and bearing witness has given many of Bernie’s students and colleagues the rare opportunity to bring deep listening into a place that has been for literally millions associated with the most horrendous forms of human suffering. Auschwitz is a place where deep listening was decidedly absent.
Roshi Bernie knew that to remember Auschwitz, to remember those who died there, and to remember the perpetrators of suffering could not but teach us about what in our own lives we have rejected, hated, scorned, judged, and raged against. And what in the lives of others that we have loathed and found intolerable. This kind of alienation, whether tender or hard, has been felt by all at the Auschwitz Bearing Witness Retreat, which is inspired by the practice of our courageous and visionary Bernie, who encouraged us again and again to ask ourselves: How could this have happened? One cannot escape this question at Auschwitz, just as escape from Auschwitz was barely possible.
The suffering that we touched during our retreat at times led us into darkness and sometimes transformed into joy and healing as we sat and practiced together and heard one another. I remember Bernie’s old buddy Peter Matthiessen asking: How could one feel joy in such a place? Bearing witness is not only about bearing witness to one’s own life but also to all of life. And it was here at Auschwitz that we bore witness to the suffering of others, to the suffering of ancestors, to our own suffering, and to the possibility of the transformation of suffering. Peter was astounded by the release he experienced at Auschwitz, and so were all of us.
One of the ways that I have practiced bearing witness has been in the experience of Council, a practice where people sit in circle with each other and speak clearly and listen deeply. Council at Auschwitz was a way for us to communicate about the deepest issues of our lives, including suffering, death, and grief as well as meaning, healing and joy. Council was indeed one of the deepest ways that we taught each other during the retreat.
Council is found in many cultures and traditions over the world. There is reference to it in Homer’s Iliad. One finds it in the tribal world of earth cherishing peoples. And, of course, it is a key strategy of communion and communication in the tradition of the Quakers, who so influenced the Civil Rights Movement of the 1960’s. In the 1970’s, I and others brought what we had learned in the Civil Rights Movement and anti-war movement to our lives as teachers and people who were involved with social action and spiritual practice. Council, or the Circle of Truth, or whatever we called it then became a way for us to incorporate democratic and spiritual values into our collective and individual lives. In the mid-90’s, I introduced the Council process to Bernie and Jishu Holmes. It fit so well with their work as peacemakers, and they brought it to many places, including Poland. For Bernie and Jishu, Council seemed to be a practice that was naturally based in the Three Tenets of Not-Knowing, Bearing Witness, and Healing. And it was to contribute to a more profound relationship with our time at Auschwitz.
At Auschwitz, the practice of Council did not necessarily lead us into seeing things the same way. It was not a consensus process at all. Rather, it was a way for people to recognize that each individual in the circle had his or her own experience, take on things, his or her own wisdom. When differing views and experiences were expressed in Council, the depth of the field seemed to be much greater. Here we began to discover the importance and richness of differences. The practice of Council allowed people to develop appreciation for differences and to respect the differences of perspective that were held by Germans and Jews, by men and women, by old and young, by rich and poor, by the joyful and the terrified among us. We saw clearly that it was the intolerance of differences that made an Auschwitz possible.
This same intolerance is found in many corners of the planet today, and we were to discover that this intolerance existed in our own hearts as well. Many of us saw that we are called to bear witness, without shame, to this Balkanization of the spirit; we needed to invite the hungry ghosts in and allow them to scour out our hearts so that our practice and resolve to make peace could deepen.
Council