Andrea Reichart

ROCK IM WALD - Ein Norbert-Roman


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etwas wie ein Schatten des Bedauerns über seine Züge? Galt er der Tatsache, dass er nun alleine rauchen musste? Oder, dass sie einen Ehering trug? Schweigend steckte er sich eine Zigarette an.

      „Wohin geht die Reise?“, fragte er plötzlich und Catrin erschrak, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass das Gespräch weitergehen könnte.

      „Ins Sauerland. Und selbst?“

      „Auch.“

      Sie legte normalerweise Wert darauf, zu betonen, dass der Ort, in dem sie lebte, streng genommen nicht im Sauerland lag, sondern eher kurz davor. Wenn die Leute Sauerland hörten, dachten die meisten nämlich sofort an Wälder, Wiesen und „Woll?“ Manchmal war ihr das peinlich. Manchmal nicht.

      Ihr Gesprächspartner blies gedankenverloren filigrane Rauchkringel in die Nacht. „Ich könnte nicht mehr in der Stadt leben.“

      Ach du je, noch so einer, dachte Catrin und seufzte.

      Felix und sie hatten jahrelang im Ruhrgebiet gelebt, er arbeitete dort bei einem großen Energiekonzern. Und dann legte einer ihrer Sauerlandurlaube plötzlich einen Hebel in seinem Kopf um. Fortan redete er nur noch davon, aufs Land zu ziehen. Er entwickelte einen regelrechten Hass auf die Großstadt und trug ihn bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zur Schau. Bis er schließlich kündigte und sich einen neuen Job suchte, hinter ihrem Rücken.

      „Nichts kann man dir recht machen!“, sagte er wütend. „Jede Überraschung machst du einem kaputt.“ Er packte seine Jacke und wollte hinausgehen, an der Tür drehte er sich dann aber noch einmal zu ihr um. „Du kannst deine blöden Schnulzen überall schreiben“, sagte er. „Stell dich also nicht so an!“

      Mein Gott, war ich naiv, dachte Catrin bitter.

      Hatte sie Felix eigentlich jemals wirklich geliebt? Vermutlich. Nur wann war ihnen die Liebe abhandengekommen? Als sie das Kind verlor und er sie anherrschte, sie solle sich nicht so anstellen?

      Catrin fand einen Weg, ihren Schmerz zu überwinden. Sie stürzte sich in die Arbeit, schrieb einen Roman nach dem anderen. Wer glaubte, das Leben halte Liebe pur für einen bereit, der musste sich auf eine Überraschung gefasst machen. Der musste dringend begreifen, dass es die nur in der Fiktion gab. Das richtige Leben war nicht farbenfroh und voller Leidenschaft, es war grau.

      Und grausam. Wer eine heile Welt suchte, der musste sie sich erträumen. Dem blieb nichts anderes übrig, als sich die Mühe zu machen, ein Buch aufzuschlagen.

      Felix lebte sich im Gegensatz zu ihr schnell in der Dorfgemeinschaft ein. Dort fand er alles, was sein Herz begehrte: seinen heißgeliebten Schützenverein und eine Aufgabe, nämlich die vergammelte feuchte Schützenhalle am See mit seinen Schützenbrüdern zu renovieren, in jeder freien Minute. Und unbeobachtet Sabrina zu bespringen, wann immer ihm danach war.

      Für sie, Catrin, war es nicht so einfach gewesen. Heimat war eben mehr als eine Ansammlung von Häusern, die idyllisch lagen.

      Nun war es zu spät. Wie sollte sie je wieder diesen Menschen vertrauen, unter denen sie und ihr Mann lebten? Die Felix’ schäbige Affäre mit Sabrina stillschweigend hinnahmen und vermutlich auch deckten?

      Catrin spürte, wie ihr nun doch wieder die Tränen in die Augen schossen.

      „Ist Ihnen nicht gut?“

      Sie fuhr erschrocken zusammen, als sie angesprochen wurde. Mein Gott, sie war so in Gedanken gewesen!

      „Geht schon.“ Sie wandte sich um, um wieder in die Lounge zu gehen.

      „Bis Dortmund fahren wir offenbar zusammen.“ Der Fremde öffnete ihr die Tür.

      „Ja, kann sein“, sagte Catrin leise und wollte hineingehen, als er sie unvermutet am Arm berührte.

      „Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wenn Sie mögen, dann suchen wir uns gleich Plätze, die nebeneinanderliegen. Ich habe das Gefühl, ich sollte ein wenig auf Sie aufpassen.“

      Erstaunt blickte Catrin ihn an.

      Sie standen so nah beieinander, dass sie den Kopf ein wenig in den Nacken legen musste, was ein ungewohntes Gefühl war. Felix war nur wenige Zentimeter größer als sie, also ziemlich genau eins achtzig. Der Unbekannte, der sich ihr gerade als Reisebegleiter anbot, war sicher gut eins neunzig.

      „Ich weiß nicht …“, stammelte sie.

      „Wir Sauerländer müssen zusammenhalten, woll?“, sagte er und betonte das woll? so übertrieben, dass sie lachen musste.

      Er blickte auf seine Armbanduhr. „Wir sollten zum Gleis gehen, der Zug müsste gleich einfahren.“

      Catrin nickte langsam. Warum eigentlich nicht, dachte sie.

      Kapitel 4

      „Sieht aus, als wäre dir die Fahrt nach Hamburg richtig gut bekommen“, sagte Ben und sah seinen Bruder aufmerksam von der Seite an, als sie zum Parkplatz gingen.

      „Die Rückfahrt vielleicht, der Rest war genauso ätzend, wie erwartet.“

      „Na gut, aber jetzt bist du wieder ein freier Mann. Etwas ärmer vielleicht, aber zurück auf dem Junggesellenmarkt. Wir nehmen bereits Wetten an, für wie lange.“

      Ben musste sich bemühen, Schritt zu halten mit Wolf. Wie immer. Die zehn Zentimeter, die sein jüngerer Bruder größer war als er, lagen eindeutig in dessen Beinen.

      „Müssen wir uns so beeilen?“ Er war schon richtig außer Puste, aber Wolf ließ sich nicht beirren und hielt die Hand auf.

      „Ich fahre.“

      „Meinetwegen.“ Ben warf ihm den Schlüssel zu.

      Mit einem Piepen sprang der Audi R8 ins Leben und der Motor lief bereits, als sich Ben schwer atmend auf den Beifahrersitz gleiten ließ. Wenige Augenblicke später flogen sie über die Landstraße.

      „Nun erzähl schon“, forderte er seinen Bruder auf.

      „Da gibt es nichts zu erzählen. Karolin behält die Hamburger Wohnung, ich behalte meine Hütte. Die Abfindung dafür, dass sie ohne weitere Ansprüche geht, war wie erwartet. Schmerzhaft. Aber Geld ist eben nicht alles. Ach so, ich bin natürlich aus der Kanzlei ihres Vaters raus. Zwei Partnerschaften an einem Tag beendet, kein schlechter Schnitt, oder?“

      „Ganz sicher nicht“, murmelte Ben. So, wie er Karolin einschätzte, hatte er eigentlich damit gerechnet, dass sie Wolf trotz gegenteiliger Absprache am Ende doch das nehmen würde, woran ihm am meisten lag: die Blockhütte im Wald. Sie hatte nie gerne einen Fuß hineingesetzt. Hatte immer die Nase gerümpft und gemeint, sie wäre doch keine Höhlenbewohnerin. Aber wenn sie ihn damit treffen konnte?

      Ben seufzte. Endlich war Wolf sie los. Sie hatte eh nie in die Familie gepasst, die feine Anwältin mit der scharfen Zunge und dem Modetick. Warum Wolf ausgerechnet sie vor zehn Jahren vor den Traualtar geführt hatte, war ihm immer ein Rätsel geblieben. Vermutlich lag es am Stress während des Jura-Studiums, der machte offenbar blind. Dass es Liebe gewesen war, die sein Bruder für Karolin empfand, hatte Ben immer bezweifelt.

      Er lächelte. Am liebsten hätte er Karolins neuem Liebhaber eine Karte geschickt und „Viel Spaß in der Hölle“ draufgeschrieben, aber dann wiederum hatte er dem Typ und seiner Nachlässigkeit zu verdanken, dass Wolf aufgewacht war. Ließ einfach seine Uhr auf Karolins Nachttisch liegen. So blöd musste man erst einmal sein.

      „Wir haben dir im Haus das alte Büro von Vater freigemacht“, sagte er vorsichtig und vermied es, zu Wolf hinüberzusehen.

      „Fängst du schon wieder damit an? Ich hab doch gesagt, dass ich mich nicht im Dorf niederlasse.“

      „Von irgendwas musst auch du leben und ewig werden deine Reserven nicht reichen. Außerdem können wir einen guten Anwalt gebrauchen, das weißt du genau.“

      Wolf schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf die kurvenreiche Straße. „Vergiss