Ursula Dettlaff

Tödlicher Spätsommer


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noch ein wenig Zeit lassen, denn Petra nahm es mit der Pünktlichkeit nie so genau.

      „Grüß dich. Du, ich bin schon völlig geschafft“, seufzte sie dann auch prompt als sie sich an der Straßenbahnhaltestelle begrüßten.

      „Der Kindergarten fährt heute in den Dortmunder Zoo“, fügte sie hinzu. Als gäbe es hier keinen, aber egal. Die Erzieherinnen brauchten natürlich die Unterstützung einiger Mütter. „Nur weil ich bei Annas älteren Geschwistern auch immer mitgefahren bin, heißt das noch lange nicht, dass ich es jetzt wieder so mache“, erzählte Petra.

      Immerhin habe sie gerade Anna und ihre beiden engsten Freundinnen zum Bahnhof gebracht. „Die Erzieherinnen sind der Ansicht, die Kinder sollten unbedingt mal mit dem Zug fahren“, erklärte sie weiter.

      „Kommende Woche betreue ich in der Grundschule das Radfahrprojekt. Da gibt`s noch jede Menge vorzubereiten und auszuprobieren“, verteidigte sie sich.

      Helene bewunderte ihre Freundin für die Energie mit der sie sich für die Familie einsetzte. Kaum anzunehmen, dass die lange Einkaufsliste, die Petra gerade aus ihrer Tasche zog, besonders viele Dinge für sie selbst enthielt.

      „Gehen wir zuerst ins Stoffgeschäft“, sagte Petra, als könne sie Gedanken lesen. Dort angekommen steuerte sie zielstrebig auf einen Stoffballen mit hellen, freundlichen Naturtönen zu. Auf Petras Bitten hin wickelte eine Verkäuferin etwas Stoff ab. Auf diese Weise bekam die Kundin einen besseren Eindruck vom Gesamtmuster. Schließlich rieb sie ein wenig Stoff zwischen beiden Händen. Der Beginn eines umfassenden Prüfverfahrens.

      Beim letzten Elternabend sei beschlossen worden, das triste Grau des Klassenzimmers mit bunten Vorhängen abzumildern, erzählte Petra, als sie auf dem Weg zu ihrem Lieblingscafé waren.

      Im Umgang mit der Nähmaschine legte die Freundin ein beachtliches Geschick an den Tag. Sie spielte gar mit dem Gedanken, sich mit einer kleinen Änderungsschneiderei selbstständig zu machen. Kein Wunder also, dass die Eltern sie baten, sich um die neuen Vorhänge zu kümmern.

      Der Kauf war schnell erledigt. Petra hatte den Stoff ausgesprochen großzügig berechnet. Jedenfalls kam es Helene so vor, gemessen am Gewicht der Tasche an ihrem Arm. Petra plagten die üblichen Schulterschmerzen, deshalb gab sie Helene die Tasche.

      Im Café waren um diese Zeit nur wenige Gäste. Geht man fünfzehn Jahre lang in ein und dasselbe Café, überlegt man nicht mehr, welcher Platz es diesmal sein soll, weil man längst die Position gefunden hat, von der aus es sich gemütlich plaudern lässt, ohne dass man so laut werden muss, dass das Gespräch vom Nebentisch aus mitgehört werden kann.

      Die Einrichtung blieb über die Jahrzehnte unverändert. So mussten sich die Freundinnen nie an Neuerungen gewöhnen.

      Helene nahm auf der Couch mit dem altrosa Samtbezug Platz. Von hier aus konnte sie einen Blick auf die umfangreiche Kaffeemühlensammlung an den Wänden werfen. Es folgte Petras obligatorischer Blick in die Speisekarte und Helenes erneuter Versuch, die Anzahl der Mühlen wenigstens einer Wand zu zählen.

      Obschon sich alle ähnelten, schien nicht ein Exemplar doppelt. Die länglichen mit Porzellankörper waren zur Wandmontage vorgesehen.

      Gern gekauft wurde offenbar das Modell „Delfter Kachelmuster“, oder „Gediegene Rosen.“ Helene stellte sich vor, wie viel Zeit die Hausfrau Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Drehen der Kurbel verbrachte. Das ging bestimmt ziemlich in die Arme.

      Diese Methode, Kaffee zu mahlen schien ihr jedoch immer noch praktischer, als die Benutzung der Standmaschine.

      Dabei hatte es bei ihrer Großmutter so simpel ausgesehen. Mit einem Kaffeelot maß sie die erforderliche Menge Bohnen ab, die sie auf das Mahlwerk gab. Blitzschnell ließ die alte Frau anschließend die Kurbel kreisen. Die gerösteten Bohnen machten ihr die Arbeit schwer.

      Gleichzeitig entfaltete sich ein herrlicher Duft. Durch Klopfen gegen die Seitenwand der Mühle fielen die letzten Kaffeemehlkrümel in die Schublade des Küchengerätes.

      Im Kessel auf dem Gasherd wurde das Wasser erhitzt. Sobald ein wenig Dampf entwich, war das Wasser warm genug, um etwas davon zu entnehmen, um die Kanne auszuspülen. Dann wurde der mit einer sorgfältig gefalteten Papiertüte ausgekleidete Porzellanfilter aufgesetzt und der Inhalt aus der Schublade hineingegeben.

      Das Signal des Flötenkessels meldete, dass das Wasser jetzt die richtige Temperatur hatte. Langsam goss die Großmutter das heiße Wasser in den Filter. Etwa zwei Zentimeter unterhalb des Randes setzte sich das feuchte Kaffeemehl ab. Der fertige Kaffee sickerte langsam in die Kanne. Erst als der Filter kein Wasser mehr enthielt, füllte die Großmutter ihn ein weiteres Mal nach. Diesmal aber nur bis zur Hälfte.

      Solange die Kaffeekanne nicht voll war, verließ die Großmutter die Küche nicht, sondern sie schenkte der Zeremonie ihre ganze Aufmerksamkeit. Kaffee musste frisch zubereitet und heiß auf den Tisch. Undenkbar, ihn lauwarm in die Tassen der Familienmitglieder oder Gäste zu gießen.

      „Helene, wo bist du bloß mit deinen Gedanken“, hörte sie plötzlich Petras Stimme.

      „Ich habe schon bestellt. Zwei halbe Brötchen und ein Kännchen Ceylontee, ist doch richtig, oder?“

      Petras Handy lag neben ihrem Frühstücksteller. „Man weiß ja nie. Vielleicht ruft jemand aus der Schule an“, meinte sie. „In letzter Zeit häufen sich Beschwerden über Sebastian.“

      Es gebe keine Schlägerei, an der der Junge nicht beteiligt sei. „Schule bedeutet bestimmt Stress. Zu mir ist er immer freundlich“, warb Helene um Verständnis. „Außerdem muss er sich doch wehren.“

      Typisch Helene, ärgerte sich Petra. Die hatte schließlich keine Kinder, ging Tag für Tag bloß ins Geschäft. Was sollte da schließlich Aufregendes passieren?

      Als Mutter hingegen hatte Petra täglich mit neuen Herausforderungen zu tun. Und richtig machen kannst du´s sowieso nie. „Wenn Julia heute zum Beispiel ihre Deutscharbeit zurückbekommt, dann heißt es von den Anderen entweder: Du könntest ruhig einmal über einen Ausrutscher hinwegsehen, oder: Mich lobst du nie für ein ,gut‘. Und überhaupt hat das Mädchen nur noch diesen Freund im Kopf.“

      „Ich wollte dir eigentlich erzählen, dass ich mich gerade saublöd benommen habe“, begann Helene und erzählte der Freundin von der Begegnung mit Kommissar Schumann.

      „Das meiste hättest du sowie nicht lesen können“, versuchte Petra sie zu trösten. „Oder kannst du vielleicht Dänisch? Du solltest dich endlich wieder auf andere Dinge konzentrieren“, setzte sie hinzu.

      Helene mochte Petras Art, die Dinge praktisch zu sehen und sie beneidete im Stillen die Freundin manchmal darum, weniger gefühlsbetont zu agieren.

      In einem nicht enden wollenden Redeschwall berichtete Petra spontan, was sie gern wieder einmal machen würde. Essen gehen, einen Tanzkurs besuchen, endlich wieder im Kirchenchor mitsingen, oder verschiedene Kreativangebote in der Volkshochschule anbieten. Aber solange die Kinder sie als Hausaufgabenbetreuerin oder wenigstens gelegentliche Ansprechpartnerin brauchten, war an derlei Luxus nicht zu denken. Helene hingegen standen diese Möglichkeiten offen. Wieso also sollte sie Dingen nachhängen, die nicht zu ändern seien.

      Es war kein guter Tag für ein gemeinsames Frühstück. Was sollte Helene im Kirchenchor? Stand der nicht ohnehin kurz vor der Auflösung?

      „Im Augenblick sind Gospelchöre angesagt“, kommentierte Helene ein wenig besserwisserisch.

      „Und du willst mir nicht ernsthaft raten, mich zu einem Tanzkurs anzumelden.“

      Eben, als Helene Petras Tipps als völlig daneben ablehnen wollte, klingelte Petras Handy. Ein glücklicher Zufall, der den aufkommenden Streit verhinderte.

      „Das kann ja wohl nicht wahr sein“, brauste sie auf. „Nun informiert Julia mich mit einer kurzen SMS darüber, dass sie heute Mittag nicht zuhause sein wird, sondern sich mit diesem Freund trifft. Na, die kann was erleben, soviel ist sicher. Ich fahre schnell zur Schule und passe sie dort ab.“

      Während die