Hansjörg Anderegg

Strohöl


Скачать книгу

      »Ich vermisse dich jetzt schon«, klagte sie seiner Schulter.

      Warum fiel ihr der Abschied diesmal so schwer? Sie beide besaßen jahrelange Übung im Getrenntsein. Damals während ihrer Fernbeziehung waren sie Dauergäste in den Terminals von Frankfurt und Heathrow gewesen. Abschied und Wiedersehen gehörten zum ganz normalen Wahnsinn des Alltags. Seit sie verheiratet waren, galten andere Naturgesetze. Drei Monate allein im großen Haus in Dahlem, wo alles an ihn erinnerte: Ihr graute schon jetzt davor.

      »Du wirst keine Zeit finden, mich zu vermissen«, murmelte er. »Die schweren Jungs werden dich Tag und Nacht beschäftigen.«

      Der Einwand war nicht von der Hand zu weisen. Als Hauptkommissarin beim Bundeskriminalamt war sie oft selbst Tage und Wochen weg von zu Hause. So gesehen sorgten seine drei Monate in London für ausgleichende Gerechtigkeit.

      Am Ausgang zum Gate küssten sie sich ein letztes Mal.

      »Fast wie früher«, sagte er mit verlegenem Grinsen.

      »Lass dich nicht entführen«, gab sie ihm mit auf den Weg.

      Sie stand ihm in nichts nach, was müde Scherze betraf. Kaum saß sie im Auto, klingelte das Telefon.

      »Wo sind Sie?«, fragte Staatsanwältin Winter aufgelöst, als wäre sie dem BKA abhandengekommen.

      »Auf dem Weg ins Büro.«

      »Sie haben den Termin um 14 Uhr nicht vergessen, hoffe ich.«

      »Ich werde pünktlich da sein, sofern mich keine Streife aufhält.«

      Man darf doch wohl seinen Mann zum Flughafen bringen zwischen zwei Fällen, wollte sie hinzufügen, verzichtete jedoch darauf, da die Winter ihre Art Humor nicht kapierte.

      Der Duft, der von Haases Büro ausströmte, war zu verlockend, um daran vorbeizugehen. Sie kam fünf Minuten zu spät, aber ein Espresso von der frisch gemahlenen Arabica Mischung ihres Kollegen musste erlaubt sein.

      »Die Winter war schon da«, sagte Haase schmunzelnd, »hat ganz aufgeregt nach Ihnen gefragt. Sie haben nicht etwa Geburtstag oder so?«

      »Ich glaube nicht.«

      Mit der Tasse in der Hand betrat sie das Büro der Staatsanwältin. Beim Duft von Haases Kaffee ertrug sie die pathologische Atmosphäre in diesem Raum besser.

      »Da sind Sie ja endlich«, rief Dr. Winter und sprang auf.

      Sie war nicht allein. Das Profil des älteren Herrn im Maßanzug war nicht zu verwechseln. Generalstaatsanwalt Dr. Hendrik Richter trat lächelnd auf sie zu.

      »Erfrischend und eigensinnig wie eh und je«, sagte er und begrüßte sie mit Küsschen auf die Wangen.

      Staatsanwältin Winter sah mit säuerlicher Miene zu.

      »Ich denke, wir sind uns soweit einig«, meinte sie.

      Richter nickte. »Wir werden Sie selbstverständlich auf dem Laufenden halten. Danke, dass wir Ihr Büro benutzen dürfen.«

      »Keine Ursache. Wie gesagt, ich muss mich jetzt leider entschuldigen.«

      Damit verließ sie ihr Reich.

      »Was war denn das?«, fragte sie den Herrn, den sie Hendrik nannte, seit er mehr oder weniger zufällig ihr Trauzeuge geworden war. »Was verschlägt dich nach Berlin?«

      »Zwei Fragen, eine Antwort«, sagte er lächelnd, »aber erst will ich wissen, wie es um die junge Ehe steht.«

      »Jamie hat mich heute verlassen.«

      Sein betroffener Gesichtsausdruck erinnerte stark an ihren Ehemann.

      »Nicht was du denkst«, beruhigte sie lachend. »Er leitet ein Seminar am Imperial College für drei Monate.«

      »Dein Humor wird dich eines Tages in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.«

      »Ich liebe Schwierigkeiten. Das weißt du.«

      »Genau deswegen bin ich hergekommen.«

      »Also doch mehr als ein Höflichkeitsbesuch.«

      Er gab ihr die magersüchtige Akte, die auf dem Schreibtisch lag, mit der Bemerkung:

      »Vielleicht hast du schon davon gehört.«

      Misstrauisch überflog sie die wenigen Blätter, während sie versuchte, Richters Hintergedanken zu erraten.

      »Ziemlich mager, der Bericht«, sagte sie einigermaßen ratlos. »Ein Sprengstoffanschlag auf ein Fracking Versuchsgelände, militante Umweltaktivisten, die niemand zu kennen scheint – muss mich der Fall interessieren?«

      »Bei Sprengstoffanschlägen ermittelt der Bund.«

      »Das ist mir bekannt. Dafür gibt es Sprengstoffexperten. Ich gehöre nicht dazu, wie du weißt.«

      Er nahm den Einwand schmunzelnd zur Kenntnis.

      »Ich glaube, du hast längst begriffen, weshalb ich auf den Gedanken gekommen bin, dir den Fall zu übertragen.«

      »Ach darüber seid ihr euch einig, du und die Winter. Na, wenn das so ist, bleibt mir nur noch, mich artig zu bedanken.«

      »Es ist noch gar nichts entschieden. Ich habe nur vorsondiert …«

      »Das hörte sich eben noch ganz anders an.«

      Hinter ihrem Rücken über sie zu bestimmen, verzieh sie auch Hendrik nicht. Ihr Blick gab ihm zu verstehen, wie ernst ihr Protest gemeint war. Er hob beschwichtigend die Hand.

      »Entschuldige, Chris, ich habe wirklich nur über die Möglichkeit eines Einsatzes am Bodensee gesprochen. Betrachten wir doch mal nüchtern die Fakten. Der Anschlag galt einem Unternehmen, das Umweltschützer und militante Aktivisten bundesweit bekämpfen. Bisher ist es bei Schmierereien und geringfügigem Sachschaden geblieben, aber jetzt sind diese Kreise mit dem Sprengstoffanschlag entschieden zu weit gegangen. Machen wir uns nichts vor: Die Petrochemie hat eine starke Lobby in diesem Land. Die Industrie wird nicht zögern, ihren Einfluss auf Politik und unsere Behörde geltend zu machen.«

      »Was der NAPHTAG Konzern sicher schon getan hat, stimmt‘s?«

      »Beck hat so etwas angedeutet.«

      »Beck?«

      »Der Aufsichtsratsvorsitzende der NAPHTAG. Wir sind alte Bekannte.«

      »Die alten Seilschaften. Daher also weht der Wind.«

      Er hob lachend den Zeigefinger. »Nur nicht frech werden, Frau Hauptkommissarin.«

      Beck war der Grund für sein Interesse an diesem Fall. Sie zweifelte keinen Augenblick daran.

      »Jetzt mal im Ernst«, fuhr er weiter, »ein Sprengstoffanschlag ist ein schweres Delikt, zumal es Verletzte gab. Das allein erfordert unsern vol-len Einsatz. Mir geht es aber noch um etwas anderes. Hast du dich nicht auch sofort gefragt, weshalb die Täter gerade dort mit extremer Gewalt zugeschlagen haben?«

      »Weil die NAPHTAG da bohrt?«

      Er schüttelte den Kopf. »Ich vermute, es gibt einen anderen Grund. Sicher, ein einheimischer Konzern wie die NAPHTAG ist immer ein gefundenes Fressen, aber die bohren auch an der Ostsee. Das Motiv der Täter muss irgendwie direkt mit der Versuchsanlage bei Überlingen zu tun haben.«

      »Verschmutzung des Grundwassers, illegale Bohrungen, so etwas?«

      »Möglich.«

      »Dein alter Freund Beck wäre aber gar nicht begeistert, falls wir so eine Schweinerei entdecken würden.«

      Er winkte ärgerlich ab. »Mir selbst würde es ganz und gar nicht gefallen, vom juristischen Standpunkt aus. Im Übrigen sind wir nicht befreundet. Ich kenne Beck aus alten Zeiten an der Uni. Das ist alles.«

      »Umweltverschmutzung, Verstoß gegen Auflagen beim Abbau von Rohstoffen: Nicht gerade mein Zuständigkeitsbereich«, erwiderte sie trotzig.

      »Ich