Ralf Kramp

Noch ein Mord, Mylord


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Die begegnen einander auch nie, und das hat seinen guten Grund, möchte ich meinen.« Er fasste mich beim Arm und schob mich stellvertretend für alle in Richtung Ausgang. »Kommt mit, Ihr Buben, wir gehen eine qualmen.«

      Wenige Minuten später befanden wir uns wieder draußen vor der Halle. Smith blickte ununterbrochen die Studiostraße hinauf und hinunter.

      Wattis hielt uns seine Zigarettenschachtel hin, aber keiner von uns griff zu. Der Schriftzug Olivier war auf die Schachtel gedruckt.

      »Larrys eigene Sorte bei Benson und Hedges. Er kriegt zwei Pence pro tausend verkaufte Stück, hat alle zwanzig Wochen 500 Päckchen zur freien Verfügung und verteilt sie an uns, als wären’s Sahnebonbons. Schmecken scheußlich.« Wattis inhalierte tief, legte den Kopf in den Nacken und flatterte dramatisch mit den Wimpern. »Noch zwei Monate und der Albtraum ist vorüber.«

      Plötzlich zuckte er zusammen und sah Merridew mit weit offenem Mund an. »Bist du etwa beruflich hier, Merri Mouse? Sag schon, hat jemand Marilyn ermordet?«

      Smith unterdrückte ein Stöhnen und rieb sich in einer verzweifelten Geste durchs Gesicht.

      Mein Freund lachte auf. »Ach was, Dickie, wo denkst du hin! Mein Freund hier wollte mal Filmluft schnuppern. Er ist ein großer Cineast, weißt du?«

      Nun galt Wattis’ Aufmerksamkeit wieder ganz mir. »Oh wirklich, ist das so?«, säuselte er. »Nun, ich könnte Ihnen allerhand erzählen, mein lieber Nigel. Und auch zeigen …«

      Ich räusperte mich nervös und schoss die erste Frage ab, die mir durch den Kopf ging und halbwegs sinnvoll erschien: »Gäbe es denn wohl Menschen, die Marilyn Monroe etwas antun könnten?«

      »Na, ich zum Beispiel!«, rief Wattis aufgebracht. »Mir wäre es wirklich egal, wenn Marilyn morgen tot umfallen würde. Wir zwängen uns jeden Tag frühmorgens in diese abscheulichen, steifen Kostüme mit den brettharten Krägen und schwitzen uns da drinnen halb zu Tode. Und sie schläft gemütlich aus oder kommt einfach überhaupt nicht. Ihr Leben besteht aus Pillen, Sprit, Sex, noch mehr Pillen …« Er seufzte sehnsüchtig. »Mein Gott, das muss wundervoll sein.«

      Merridew kicherte tonlos in sich hinein. Sein gewaltiger Bauch zitterte vor Vergnügen.

      »Ist sie denn hier?«, fragte ich aufs Geratewohl.

      »Ach so …« Wattis musterte mich jetzt abschätzig. »Sie kommen wohl nur wegen ihr, stimmt’s? Alle kommen immer nur wegen ihr. Die haben ja keine Ahnung.«

      »Sie ist gar nicht so übel wie alle tun«, murmelte Smith in einem schwachen Versuch, die Hollywood-Diva zu verteidigen. Ich glaubte ihm. Er war ein abgebrühter Bursche mit einem Blick für das Wesentliche. Wenn er einen Funken Sympathie für seine Schutzbefohlene verspürte, kam das nicht von ungefähr.

      Wattis ruderte mit einem Kopfwackeln zurück. »Na gut, mag ja sein. Aber sie ist hier einfach fehl am Platz. Frag da drinnen mal jemanden. Da gibt es keinen, der mit ihr was zu tun haben will. Außer der Maskenbildnerin, aber die ist seit zwei Tagen auch weg.«

      »Weg?« Merridew hob den Kopf.

      »Gefeuert. Fristlos. Hat Requisiten mitgehen lassen, um sie zu verhökern. Das muss man sich mal vorstellen.«

      Auch Smith sah ihn verwundert an. »Hab ich gar nicht mitgekriegt.«

      »Peabody, die kleine, pummelige mit dem schiefen Mund«, erklärte Wattis. »Man hat einen von Marilyns langen, weißen Handschuhen aus der Ballszene bei ihr im Auto gefunden. Zack – kurzer Prozess.«

      »Peabody?«, fragte Merridew. Auch er hatte sich offenbar gleich an den Namen erinnert, den Mrs Wilberforce in ihrer Aufzählung von Cathy Markhams Bekanntschaften erwähnt hatte.

      »Ja, Belinda Peabody aus Watford. Langweilige Person, ein richtiges Pflänzchen Rührmichnichtan. Nicht, dass ich ihr irgendwelche Avancen gemacht hätte … Wir haben ab und zu hier draußen gestanden und gepafft. Sie war so verschlossen wie eine Auster. Na, die kann froh sein, wenn sie überhaupt noch mal einen Job kriegt.«

      Merridew sah mich auffordernd an. »Zeigen Sie unserem Freund Dickie doch mal die Zeichnung, mein lieber Nigel.«

      Ich holte das Blatt Papier aus der Innentasche meines Jacketts und faltete es auseinander.

      »Den kenne ich!«, rief Richard Wattis aufgeregt. »Der streunt hier ab und zu rum. Die Aufseher haben ihn schon ein paar Mal rausgeworfen, aber die Peabody scheint ihn irgendwie immer wieder reingeschmuggelt zu haben! Ich weiß nicht, ob er bei ihr landen konnte. Hab sie mal mit dem Auto in Hampstead Heath rausgelassen. Da war sie, glaube ich, mit dem verabredet.« Er nahm die Skizze und blickte noch einmal genauer hin. »Ja, doch, ich bin mir ganz sicher. Das ist der Kerl. Schmieriger, kleiner Bursche, oder?« Er legte plötzlich die Stirn in Falten. »Ich glaube fast, der hat sich nur an die Peabody rangemacht, um hier reinzukommen. Und wisst Ihr auch, warum ich das glaube?«

      Wir zuckten mit den Schultern.

      »Wartet hier mal einen Moment!« Er huschte durch die Tür ins Innere der Filmhalle.

      »Merri Mouse?«, fragte ich. »Habe ich richtig gehört? Merri Mouse?« Ich konnte ein Lachen kaum unterdrücken.

      Merridew schnaufte nur und ging nicht weiter darauf ein. Er wandte sich zu Smith um und redete sehr energisch auf ihn ein. »Belinda Peabody aus Watford – aufschreiben, den Namen! Sie sollten schleunigst versuchen, etwas über diese Frau herauszukriegen!«

      »Aber wie denn?«

      »Ihre ehemaligen Kollegen? Da gibt es doch bestimmt jemanden, der Ihnen noch was schuldig ist!«

      »Wie kommen Sie denn ausgerechnet auf diese Maskenbildnerin?«

      Merridew erzählte ihm in groben Zügen, was wir bei Mrs Wilberforce in Erfahrung gebracht hatten, und als er damit fertig war, erschien auch schon wieder Richard Wattis und wedelte mit einem großen, braunen Umschlag. »Habe ich aus Larrys Garderobe.« Er sah sich rasch nach allen Seiten um, bevor er ihn öffnete und ein paar großformatige Fotografien herausholte.

      Der Anblick des eng beieinanderstehenden Trios amüsierte mich: Wattis und Smith gaben sich mit hin und her gehenden Köpfen überaus geheimniskrämerisch und mein Freund Merridew stellte ganz unverhohlen seine Neugier zur Schau, indem er mit vorgereckter Adlernase die Fotos betrachtete.

      »Das sind Fotos von Marilyns Ankunft im Juli«, erklärte Wattis. »Am Abend gab es eine große Pressekonferenz im Savoy in London.«

      Auf den Fotos waren fast ausnahmslos Sir Laurence Olivier und Marilyn Monroe zu sehen. Auf einigen aber auch ihre Ehepartner Vivien Leigh und Arthur Miller.

      »Guckt mal hier, sogar ihr hat er sein Kraut aufgedrängt.« Olivier zündete Marilyn auf einem der Bilder eine Zigarette an. Ein Foto, das scheinbar große Intimität widerspiegelte – oder sie vielmehr vortäuschte, wenn ich all das bedachte, was ich inzwischen über dieses Filmprojekt erfahren hatte.

      »Hier!« Richard Wattis wedelte mit einem Foto. »Hier ist es!«

      Die Aufnahme war von irgendjemandem gemacht worden, der bei der Pressekonferenz ungewöhnlicherweise hinter den beiden weltberühmten Schauspielern gestanden hatte. Man sah ihre Hinterköpfe und ihre Rückenpartien. Vor allen Dingen aber sah man vor ihnen eine ganze Meute von Journalisten, deren Köpfe hinter den Fotoapparaten verborgen waren. Sie schienen alle gleichzeitig auf den Auslöser zu drücken, weil das Motiv, das sich ihnen in diesem Augenblick bot, offenbar besonders lohnenswert war. Alle schossen dasselbe Bild.

      Nur einer nicht.

      Einer von ihnen hielt seine Kamera mit dem Objektiv nach unten. Er dachte nicht daran, ein Foto zu machen. Er starrte nur in Richtung der platinblonden Kino-Göttin, die gerade erst über den großen Teich nach England gekommen war. Es gab keinen Zweifel: das war der Mann, den ich am Vormittag in London gesehen hatte.

      Merridew fingerte aufgeregt in seiner rechten Westentasche nach einer kleinen, ausklappbaren Lupe im Lederetui, die an einer Kette hing. Als er sich damit über das Foto beugte, gab er ein zufriedenes Brummen von sich, so wie ein Bär,