Gilchrist.« Er sah zu uns auf und strahlte mit rot glänzenden Wangen. »Dickie, damit machst du uns eine große Freude.«
»Ich merke es«, sagte der Schauspieler mit zusammengekniffenen Augen. »Und ich fresse einen Besen samt knackigem jungem Straßenfeger, wenn du hier nicht doch in irgendeiner Sache ermittelst, Merri!«
Merridew senkte vertraulich seine Stimme, und ich merkte, wie Smith zur Salzsäule erstarrte. »Weil ich dich nun mal so gut leiden mag, Dickie, verrate ich es dir. Es geht …« Diesmal blickte er sich vorsichtig um. Smith biss sich auf die Fingernägel. »… um eine Bande von räuberischen Film-Devotionalien-Händlern!«
»Ha! Wusste ich’s doch!«
»Jede Menge Taschentücher, Schlipse und Manschettenknöpfe von Danny Kaye sind in Umlauf. BHs und falsche Wimpern von Diana Dors. Und ein Rasierapparat von Dirk Bogarde ist gerade für fünfhundert Pfund verhökert worden! Alles von den Filmsets gemopst!«
»Dirk Bogarde?«, hauchte Wattis ergriffen. »Der dreht gerade hier in Halle drei. Hach, da wäre ich lieber. Ein Weltkriegsdrama und nicht so ein Kostümtingeltangel!« Er zündete sich eine neue Zigarette an.
Merridew klopfte ihm auf die Schulter. »Bleibt aber unter uns.«
»Selbstredend.«
Als wir gingen, rief Wattis noch: »Ach, und Nigel … Wenn Sie doch mal Lust auf ein Ründchen durch Soho haben – Merri Mouse hat meine Nummer!«
Kurz darauf saßen wir wieder in meinem Auto und verließen das Studiogelände auf dem Weg, auf dem wir gekommen waren. Mein erster Besuch in einem Filmstudio hatte keine prägenden Eindrücke hinterlassen. Dazu hatten wir einfach nicht tief genug ins Herz des cineastischen Kreißsaals vordringen können
Smith war unterwegs zu Scotland Yard. Widerwillig zwar, doch überzeugt davon, dass es von großer Wichtigkeit war, alle Quellen anzuzapfen, derer er habhaft werden konnte.
»Schon wieder Hampstead Heath«, sagte ich. »Ist es Ihnen aufgefallen?«
»Natürlich ist mir das aufgefallen. Ein blinder Einbeiniger ohne Ohren hätte das mitgekriegt. Das Männlein mit Hut pflegt seine Damenbekanntschaften mit Vorliebe auf die Heide zu entführen.«
»Ist ja auch schön dort oben.«
»Ja, aber auch eine reichlich züchtige Angelegenheit. Ziemlich belebt ist es da doch immer. Halt, Momentchen mal!« Er griff mir fast ins Steuer, als er rief: »Fahren Sie da vorne mal rechts.«
»Was? Nicht nach London? Wir wollten doch zur Daily Mail. Ich sagte Ihnen doch, dass mein alter Kumpel Clarence Philby dort arbeitet.«
»Keine Sorge, wir besuchen Ihren Clarence schon noch, aber ich möchte zuvor noch einen kleinen Umweg machen.«
Gehorsam setzte ich den Blinker und bog rechts ab. »Etwa noch mal nach Datchet?«, fragte ich, als ich kapierte, dass wir nun den Weg nahmen, den am Mittag auch Marilyn Monroe mit ihrem Fahrer genommen haben musste.
»So ungefähr. Ich möchte bei dieser Themsebrücke einen kleinen Halt machen.«
»Und was hoffen Sie dort zu finden?«
Er wackelte mit dem Kopf und schob die Unterlippe vor. »Hoffnung ist oft ein Jagdhund ohne Spur. Ich weiß noch nicht. Sachen … Dinge … irgendwas.«
Als wir wenig später auf die Brücke zufuhren, konnte ich mir nicht verkneifen, noch einmal auf das Treffen mit Wattis zurückzukommen: »Merri Mouse? Habe ich das vorhin richtig mitbekommen?«
»Das bereitet Ihnen Spaß, was? Ich versichere Ihnen, dass Dickie Wattis der einzige Mensch auf Gottes Erden ist, der mich so nennt. Gemeinhin sind meine Kosenamen deutlich passender.«
»Die da wären?«
»Mr Mystery, Murderdew oder einfach ganz bescheiden Mighty M! Da vorne! Sehen Sie die Einmündung?«
Gerade als die Brücke in Sicht kam, zweigte linker Hand zwischen dem Gestrüpp, das die Fahrbahn säumte, ein Weg ab.
»Da rein, los!«
Reflexartig bremste ich und bog links ab, was den Fahrer hinter uns zu lautem Hupen veranlasste.
Der Weg verlief ein paar Meter entlang der Straße und führte dann nach rechts unter der Brücke durch. Unter der Fahrbahn, am Brückenkopf, war ein breiter Streifen, auf dem mühelos ein Auto parken und sogar wenden konnte.
»Was denken Sie, Nigel, wäre das nicht ein famoses Plätzchen, um lästige Verfolger abzuschütteln?«
»Möglicherweise.«
»Fragen wir doch mal die Burschen da!«
Zwei Angler hockten ein paar Meter weiter auf ihren Klappstühlen am Ufer und hielten geduldig ihre Angeln ins Wasser.
Ich schaltete den Motor ab, und wir stiegen aus. Merridew ächzte und machte zur Lockerung demonstrativ ein paar rudernde Bewegungen mit den Armen. »Junge Junge, eine Schildkröte hat in ihrem Panzer ja mehr Platz!«, knurrte er und warf die Autotür mit mehr Schwung zu als nötig. »He, ho, die Herren da!« Er ging auf die beiden zu und winkte mit dem Gehstock. »Was angeln wir denn heute?«
Die zwei Männer blickten zuerst einander in die knorrigen Gesichter, bevor einer halblaut herauspresste: »Sie werden nicht drauf kommen: Fische.«
»Hohoho!« Merridews Lachen war so dröhnend, dass es die Wasseroberfläche zu kräuseln schien und sicherlich dem Erfolg dieses Angelausflugs wenig zuträglich war. »Was denn für Fische?«
Wieder suchten die beiden zuerst den Blickkontakt mit dem jeweils anderen, bevor einer sagte: »Sie wollen jetzt aber nicht die lateinischen Namen und all so was?«
»Hechte? Barben?«, fragte ich, da mein Vetter Olly mich zwei- oder dreimal im Jahr mit zum Angeln nahm.
Den beiden Männern erschien ich im Gegensatz zu meinem Freund ein akzeptabler Gesprächspartner zu sein – vielleicht auch weil ich meine Stimme etwas dämpfte. Sie deuteten auf ihre Eimer. »Paar Barben«, sagte der eine. »Und nur ein Aal.«
Der andere rümpfte die Nase. »Früher war hier mehr los. Da sprangen einem die Jungs von selber in den Eimer, wenn man da vorne um die Ecke kam.«
Der eine nickte mit grimmigem Gesicht und spuckte ins Wasser. »Ist heute zu viel Dreck im Fluss. Hier geht’s ja noch, aber ab London braucht man’s gar nicht mehr zu versuchen. Richtige Drecksbrühe ist das da.«
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich meinen Freund, der unterdessen im Schatten der Brücke den unbefestigten Boden untersuchte. Er stocherte mit dem Stock zwischen den Brennnesseln herum und fuhr mit den glänzenden Schuhspitzen durch die dürren Grasbüschel. Das Fragen überließ er mir. Vermutlich steckte ihm noch der Besuch bei Mrs Wilberforce in den Knochen.
»Kommen hier viele angeln?«, plauderte ich also weiter.
»Kann man nicht sagen.«
»Sind Sie denn regelmäßig hier?«
»So ziemlich.«
»Immer an derselben Stelle?«
»Oft«, sagte der eine.
»Meistens«, der andere.
Was der Erste wiederum mit »Manchmal nicht« quittierte.
Ich atmete tief durch. Fabelhafte Zeugen mit Aussagen von bemerkenswerter Präzision und apodiktischer Bestimmtheit. Es war die helle Freude.
»Heute Mittag, so zwischen halb zwei und zwei, waren Sie da auch hier?«
»Wir gucken nicht auf die Uhr«, meinte der eine.
»Also nach eins? Kann schon sein« der andere.
»Möglich isses«, waren sie sich einig.
»Kam da vielleicht ein Auto unter die Brücke gefahren?«