deshalb nur dann sinnvoll miteinander verglichen werden, wenn der Bewerter das Zeitmoment in der Rechnung beachtet; denn Einzahlungen sind zum Bewertungsstichtag umso weniger wert, je weiter sie in der Zukunft liegen, und Auszahlungen sind umso belastender, je näher der Zahlungszeitpunkt liegt.1
Die finanzmathematischen Funktionen des Barwerts, des Ertragswerts und des Kapitalwerts tragen dieser Grundüberlegung Rechnung. Sie ermöglichen dem Bewerter den Vergleich von Zahlungsströmen, auch wenn die durch ein bestimmtes Investitionsprojekt hervorgerufenen Ein- und Auszahlungen im Zeitablauf nach Größe, zeitlichem Anfall und/oder Dauer unterschiedlich sind.2
Der Barwert ist die flexibelste Wertangabe. Er besagt nur, welchen Wert eine Investition zu einem bestimmten Zeitpunkt hat. In der Wahl des Zeitpunkts ist der Bewerter aber frei. Dieser kann mit dem Beginn der Investition zusammenfallen, aber auch deutlich davor oder danach liegen. Der Barwert gibt den Gegenwartswert (present value) an, den der Zahlungsstrom zu diesem beliebig gewählten Zeitpunkt hat. Der Bewerter errechnet ihn, indem er „alle vor dem Bezugszeitpunkt anfallenden Zahlungen bis zum Bezugszeitpunkt aufzinst und alle nach dem Bezugszeitpunkt anfallenden Zahlungen abzinst und dann die Summe aller auf den Bezugszeitpunkt umgerechneten Zahlungen bildet“3.
Der Ertragswert einer Zahlungsreihe ist hinsichtlich des Bewertungsstichtags enger definiert als der Barwert. Er ist ausschließlich zukunftsgerichtet und gibt den Wert an, den eine zukünftige Zahlungsreihe am aktuellen Bewertungsstichtag t = 0 besitzt.4 Der Bewertungsstichtag (Tag, auf den die Bewertung erfolgt) darf aber nicht mit dem Tag verwechselt werden, an dem die Bewertung durchgeführt wird (Bewertungstag). Ökonomisch beschreibt der Ertragswert einer Investition den „Betrag, den man alternativ am Kapitalmarkt anlegen muss, um einen gleichen Einkommensstrom wie aus dem Investitionsobjekt [...] zu erhalten“5.
Der Ertragswert (EW0) einer Zahlungsreihe wird ermittelt, indem die zukünftigen, einzelnen Zahlungen oder gleichbedeutend Cashflows einer Periode (CFt) mit dem Diskontierungszinssatz (i) auf den Bewertungsstichtag (t = 0) abgezinst und anschließend addiert werden.6 Die Berechnungsformel lautet:
Für den Fall einer ewigen (unendlich lang laufenden) nachschüssigen Rente (gleich große Zahlungen) kann die Berechnung des Ertragswerts vereinfacht werden:
Den Ausgangspunkt zur Ableitung dieser Formel (2) bildet die Berechnung gemäß Gleichung (1):
Sind die jährlichen Nettocashflows gleich hoch, laufen sie ewig und werden sie aus Sicht des Bewertungsstichtags nachschüssig gezahlt, kann der Index im Zähler entfallen und die Formel lautet:
Schreibt man die Formel aus, so resultiert daraus:
Werden anschließend beide Seiten der Gleichung mit (1 + i) multipliziert, so ergibt sich:
Wird nun von dieser Gleichung die vorherige Gleichung subtrahiert, so folgt:
und es verbleibt die Gleichung:
EW0 · i = CF.
Die Auflösung der Gleichung nach EW0 liefert die Formel für den Ertragswert einer ewigen Rente:
Der Kapitalwert (KW0, net present value)7 ergänzt den Ertragswert um die (regelmäßig negative) Anfangsinvestition (I0) und entspricht der Differenz zwischen dem Ertragswert eines Investitionsprojekts im Zeitpunkt t = 0 und dessen Investitionsauszahlung:8
bzw.
(4) KW0 = – I0 + EW0.
Ökonomisch bestimmt der Kapitalwert einer Investition den Betrag, „den der Investor im Zeitpunkt t0 zusätzlich konsumieren (oder anlegen) kann, wenn er z.B. einen Kredit zum Zinssatz i aufnimmt, die Investition durchführt und mit den Einzahlungen aus der Investition den Kredit einschließlich der Zinsen zurückzahlt“9. Der Investor erkennt an ihm, ob die Investition für ihn einen finanziellen Mehrwert schafft und – wenn ja – wie hoch dieser ist. Jede Investition, die einen Kapitalwert größer als null aufweist, ist vorteilhaft und sollte durchgeführt werden, da ein positiver Kapitalwert die Konsummöglichkeiten des Investors erhöht. Eine Realisierung des Investitionsprojekts sollte dagegen unterbleiben, wenn dessen Kapitalwert kleiner als null ist, da ein negativer Kapitalwert die Konsummöglichkeiten des Investors verringert.10 Stehen mehrere Investitionen zur Auswahl, so ist diejenige zu favorisieren, die den größten Kapitalwert liefert.
2. Anwendung auf den Fall: Ertragswert und Kapitalwert des Glücksspielgewinns von Herrn Glück
Geht Herr Glück etwas naiv davon aus, dass ihm der Nominalwert des Lottogewinns i.H.v. 200 000 Euro (= fünf Jahreszahlungen zu 40 000 Euro) als Vermögenszuwachs zur Verfügung steht, und bucht er eine entsprechend teure Reise, so übersieht er, dass er die Einzahlungen aus dem Lottogewinn erst viel später erhält und bekommt die Folgen seines Missgeschicks in den darauffolgenden Jahren zu spüren. Zahlt Herr Glück nämlich den i.H.v. 200 000 Euro aufgenommenen Kredit nur mithilfe der jährlichen Lottogewinneinzahlungen zurück, so steht am Ende der Darlehenslaufzeit (2024) noch ein Restkredit i.H.v. 77 898 Euro aus:
Tabelle 1: Tilgungsplan des Darlehens i.H.v. 200 000 Euro
(in €) | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 |
---|---|---|---|---|---|
Darlehen zum 1.1. | –200 000 | –180 000 | –158 000 | – 133 800 | –107 180 |
Schuldzinsen zum 31. 12. | –20 000 | –18 000 | –15 800 | –13 380 | –10 718 |
Tilgung aus Gewinn | 40 000 | 40 000 | 40 000 | 40 000 | 40 000 |
Darlehen zum 31. 12. | –180 000 | –158 000 | –133 800 | –107 180 | –77 898 |
Herr Glück vergaß im Rahmen seiner Berechnung den Zinseffekt. Der Investor muss zukünftige Zahlungen diskontieren
Der Gegenwartswert eines über fünf Jahre in konstanten Raten ausgezahlten Lottogewinns i.H.v. insgesamt 200 000 Euro beträgt bei 10 % Zinsen nur 151 631,47 Euro. Je