Jürgen Hoops von Scheeßel

Gretge. „mit Hexen verwandt, als Hexe verbrannt“


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durfte ihre Stellung verlassen.

      VI

      Beim nächsten Besuch ihrer Pflegeeltern ging Trine mit zum Kirchgang nach Scheeßel. Wovon der Herr Pastor in seiner Predigt sprach, bekam sie gar nicht mit.

      Sie hatte Gretges Nachbarin Dorothea Holsten gesehen und wusste, dass diese gerne jedem über Gretges Mutter und deren Hexenmutter erzählte, auch wenn er es gar nicht hören wollte. Sie grübelte die ganze Zeit nach, wie sie es anstellen sollte, Dorothea davon zu erzählen, was ihre Cousine ihr in der Fastnacht und danach alles so erzählt hatte und was sie alles selbst miterlebte.

      Das Läuten der Glocken zum Ende des Gottesdienstes ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken und in die reale Welt zurückkehren. Während sich die Menschen nach der Predigt stets auf dem Kirchplatz zum Schnacken und Klönen trafen, bevor viele in den Krug zu Bier und Korn verschwanden, schob sich Trine langsam an Dorothea heran. In einem günstigen Augenblick zupfte sie ihr am Kleid und bat sie kurz zur Seite, um ihr etwas sehr Wichtiges zu erzählen.

      Dorothea bekam immer spitze Ohren, wenn es etwas Neues gab. Sie war so eine Art Zeitung im Kirchspiel, die alles hörte, besonders das, was sie nicht hören sollte und immer alles wusste, meist schon, bevor es geschehen war. Ihre Augen wurden immer größer, als sie hörte, was ihr Trine da so alles berichtete.

      Das hatte sie immer schon gewusst, konnte es aber nie beweisen, dachte sie, während Trine weiter erzählte. Kaum hatte Trine ihre Geschichte zum Ende gebracht, drehte sich Dorothea um und berichtete sogleich das Neuste, wen sie gerade zu fassen bekam.

      Nun begann das Unglück, seinen Lauf zu nehmen. Die Gerüchte bekamen neue Nahrung und für den einen oder anderen ungeklärten Tod einer Kuh oder eines Schweins hatte man nun eine Erklärung parat. Sie hatten es ja immer schon gewusst, im Dorf gab es ein Hexenhaus.

      VII

      Diese Gerüchte kamen auch bald Claus Meinken zu Ohren und er vernahm auch, wer das alles überall erzählte. Er hätte es sich ja denken können, sagte er zu sich. Nun wollte er dem Schandmaul von Nachbarin endlich den Mund stopfen. Wie er das anstellen würde, hatte er sich schon ganz genau überlegt.

      Die Großmutter seiner Frau Mette wurde einst, wie später ihre Tochter, also Mettes Mutter, der Zauberei verdächtig. Er hatte die ganz alte Hoops nicht mehr erlebt, aber Mettes Bruder Harm hatte ihm einmal erzählt, was damals geschehen war. Derjenige, der vor der Jahrhundertwende Harms und Mettes Großmutter beschuldigte, wurde wegen Verleumdung angezeigt und zur Strafe später des Landes verwiesen. Er musste Urfehde schwören und durfte nie wieder in das Amt oder sein Dorf zurück-kommen, ansonsten hätte er sein Leben verwirkt.

      Genauso, sagte sich Claus, würde er es auch mit der Nachbarin Dorothea machen. Es musste endlich Schluss mit den ewigen Verdächtigungen im Dorf sein.

      So machte er sich am nächsten Tag nach Scheeßel zum Amtsvogt auf, um sein Anliegen vorzutragen und Anzeige zu erstatten. Der Amtsvogt würde dann beim nächsten Landgericht eine Buße aussprechen, und dann wäre Ruhe im Dorf.

      Ja, so würde es sein, sagte sich Claus und seine Schritte in den Holzklotschen wurden schneller.

      Als er bei der Amtsvogtei angekommen war, fiel ihm ein, dass der Amtsvogt schon seit Wochen im Auftrag des Herrn Drosten Prott bei Magdeburg Amtsgeschäfte wahrnahm, und der Herr Oberförster ihn vertrat. So drehte er ab und ging zu des Oberförsters Jordan Haus. Er nahm seine Mütze vom Kopf und klopfte an der schlichten, aber massiven hölzernen Tür. Als ihm diese durch den Oberförster persönlich aufgetan wurde, nahm er allen Mut zusammen, holte tief Luft und bat ihn etwas sehr Wichtiges vortragen zu dürfen.

      Sie setzten sich auf die hölzerne Bank vorm Haus, und Claus trug sein Anliegen vor. Johann Jordan hörte ihm geduldig zu. Dann überlegte er einen Augenblick und riet ihm, von seinem Vorhaben dringend abzulassen.

      Was der Oberförster jedoch nicht sagte, war, dass er fürchtete, der alte angesehene Mühlenpächter, der Dorotheas Vater war, würde ihm auf das Dach steigen.

      Dieser hatte viele Freunde und war sehr angesehen, wobei er nicht wenig Geld hatte und der Oberförster manche Geschäfte mit ihm machte.

      Claus aber wollte nicht auf ihn hören, denn die vielen Jahre hatte er die Verdächtigungen und die Schande, die Schmähungen, angeblich in einem Hexenhaus zu wohnen, ertragen müssen. Sein Seelenleben litt sehr darunter. Jetzt sah er die Möglichkeit, die ungeliebte Nachbarin, die er nun für alles verantwortlich machen konnte, als Denunziantin überführen zu können.

      Der Oberförster Johann Jordan bemerkte, dass sein ganzes Reden bei Claus Meinken kein Gehör fand. Zwar wusste Jordan auch, dass die Meisten in der Vogtei das Dorf Westeresch als Hexenort bezeichneten, war aber selbst der Meinung, die Leute sollten sich lieber um die eigenen Sachen kümmern, als solch einen Unsinn zu erzählen.

      Er war als reitender Förster meist im Wald unterwegs und ihm waren dort noch keine Geister oder Hexen begegnet, wenn es ihm auch mal unheimlich vorkam und er sich nicht alles erklären konnte. Sollte es sie doch geben, hätte er sie schon mit seiner Flinte erlegt, denn er hielt sich für einen guten Schützen.

      Da er aber den Herrn Amtsvogt vertrat, musste er seiner Amtspflicht nachkommen. Er ging mit Claus ins Haus, holte einen Bogen Papier hervor und legte ihn auf den Tisch aus Eichenholz. Dann nahm er sein tönernes Tinten-fass und eine Schreibfeder, die er noch einmal prüfend ansah, bevor er anfing, ein Protokoll aufzunehmen.

      Er schrieb das Jahr 1662 auf das Blatt und ahnte nicht, dass sich nun ein fast zwei Jahre währender Prozess daraus entwickeln sollte und er dadurch sogar der Nachfolger des jetzigen Amtsvogts werden würde.

      Claus formulierte seine Klage gegen seine Nachbarin Dorothea Holsten sowie gegen die Zuträgerin Trine Meinken und dachte, dass er damit seine Tochter Gretge, aber auch seine Ehefrau Mette von den Vorwürfen der Hexerei durch einen Gerichtsspruch freisprechen lassen könne, was er dem Oberförster mehrfach sagte.

      Der Oberförster war bei der Niederschrift selbst sehr nervös, denn es war seine erste Klageschrift, die er wegen Hexerei aufnahm, und er fragte sich, was wohl der Amt-mann Peter Pabst in Rotenburg dazu sagen würde.

      Dass er sich dabei verschrieb und Westervesede statt Westeresch zu Papier brachte, bemerkte er gar nicht. Er fertigte noch eine Kopie der Klageschrift und gab sie Claus Meinken in die Hand.

      Claus verließ zufrieden das Haus des Oberförsters Johann Jordan und ging erleichtert und frohen Mutes nach Hause. Dass er nun viele Stunden für die Feldarbeit verloren hatte, war ihm egal.

      Nachdem Claus Meinken gegangen war, sah der Oberförster noch lange sehr nachdenklich aus dem kleinen Fenster seines Hauses.

      Einige Tage später fertigte er von den Unterlagen Kopien an, faltete sie zusammen und sandte Marten Böschen, den Knecht des Untervogts als Boten mit den Originalen sowie anderen Akten zum Amtmann nach Rotenburg, wie er es immer machte.

      Die Geschichte nahm nun ihren bürokratischen Lauf und war nicht mehr aufzuhalten.

      VIII

      Am nächsten Tag lag dem Rotenburger Amtmann das Schreiben des Oberförsters vor und er rief seinen ersten Amtsschreiber zu sich, er solle dem Oberförster Johann Jordan eine Antwort zusenden.

      Er diktierte einen Brief, indem er Jordan aufforderte, sich der Sache anzunehmen, dennoch behutsam und mit Bedacht vorzugehen. Er möge Befragungen und erste Vernehmungen durchführen und diese ihm mit einer eigenen Einschätzung zum Fall binnen vier Wochen nach Eingang vorlegen.

      So handelte Johann Jordan, wie es ihm aufgetragen wurde. Er hörte Dorothea Holsten und ihren Ehemann, dann Claus’ Nichte Trine Meinken, schrieb darüber Protokoll und fertigte von jedem Schriftstück eine Kopie.

      Weiterhin ging er allen Fällen nach, bei denen Tiere oder Menschen auf unerklärliche Weise zu Tode kamen. Der Scheeßeler Müller wollte auch