Jürgen Hoops von Scheeßel

Gretge. „mit Hexen verwandt, als Hexe verbrannt“


Скачать книгу

      So ging sie zunächst in den Haushalt der Familie Höborg in Buxtehude. Höborgs waren Kaufleute, die einen Krämerladen besaßen und Handel mit Stoffen betrieben. Sie waren beide schon über 50 Jahre alt und hatten sieben Kinder, von denen drei schon aus dem Hause waren.

      Die beiden Töchter Hanna und Dorothea waren nach Stade und Hamburg in andere Kaufmannsfamilien verheiratet und der Sohn Meinke, welcher das Geschäft einst erben sollte, war in Hamburg bei einem Großhändler in Anstellung, um dort sein Gewerbe zu erlernen.

      Die Menschen dort waren ganz anders als bei Gretge daheim. Keiner beschimpfte sie mehr als Hexenbrut, und die Leute redeten mit Ihr wie mit den anderen auch. Sie fühlte sich von Anfang an sehr wohl.

      Hier traf sie auch auf ihre vier Jahre ältere Cousine Trine, die hier schon seit zwei Jahren in Höborgs Diensten stand. Trine war eine kess auftretende junge Frau, die sich an das Stadtleben schnell angepasst hatte. Sie trug dezente Kleider, welche ihr die Herrschaft vorschrieb und zuteilte, die ihre unübersehbar üppige Figur dennoch betonten. Sie schaute sich bei den älteren Frauen ab, wie man betont mit den Hüften hin und her schwingen kann, denn darauf flogen die jungen Männer, was Trine schon sehr gefiel. Ihre Haare trug sie oft zu einem Zopf geflochten nach hinten herunter hängend.

      Durch ihre besonders langen dunkelbraunen Haare, die geflochten bis zum Gesäß reichten, war es für die Jungen Männer ein wahres Schauspiel, wenn sich ihr Zopf und die Hüften entgegengesetzt im Schwung des Gangs wiegten. Ihre üppigen Brüste trug sie dabei betont hoch. Ihre braunen Augen waren in der Gesamtheit ihrer Erschei-nung eine Abrundung dessen, was ihr mit in die Welt gegeben wurde.

      Beide Cousinen wurden Freundinnen, stammten sie doch aus dem gleichen Dorf und waren auch noch miteinander verwandt. Trine hatte die Aufgabe erhalten, Gretge in den Haushalt und die Arbeiten einzuweisen, wie es einst Bertha, ihre Vorgängerin, bei ihr getan hatte.

      Trine durfte schon ein wenig im Kontor mithelfen, wenn es darum ging, Ware zu sortieren und Regale aufzufüllen. Sie war dort jetzt für die Sauberkeit verantwortlich und hatte somit sehr viel Kontakt zu den Kunden, auch wenn sie mit dem Verkauf nichts zu tun hatte. Die Kasse hatte Frau Höborg unter sich, und die Beratung und Bedienung der Kunden übernahm in der Regel ihr Mann.

      Die Herrschaft war sehr bibeltreu und legte viel Wert auf den Glauben. Sie gingen jeden Sonntag in die Kirche und beteten vor jeder Mahlzeit, was Trine von daheim nicht kannte.

      Trines Stiefvater sah den Kirchgang eher als Zeitver-schwendung an, denn er hielt ihn angeblich von der Arbeit ab, während seine Frau es genoss, dadurch einmal unter die Leute zu kommen. Für Trine war es eine kleine Umstellung, denn die Eltern ihrer Stiefeltern sahen das alles noch gottesfürchtig.

      Sie stand jeden Morgen gegen fünf Uhr auf, schürte das Feuer und bereitete das Frühstück. Zuvor versorgte sie die neun Hühner und den Hahn sowie die zwei Haus-schweine. Die Speisekammer war ihr zugeteilt, seit ihre Vorgängerin das Haus verlassen hatte.

      Es gab nur zwei Schlüssel, den einen trug Frau Höborg und den anderen Trine bei sich. Gretge stand mit Trine zusammen auf und half ihr in der Küche und beim Vieh. Trine dachte: „Bald macht das Gretge, und ich kann ein wenig länger schlafen“, so wie es Trines Vorgängerin mit ihr gehalten hatte.

      Gretge konnte bald wieder lachen und fröhlich sein. Sicherlich hatte sie sieben Tage in der Woche Pflichten zu verrichten, durfte aber mit der Familie zusammen am Tisch essen und gemeinsam zum Kirchgang gehen und wurde auch dort nicht gehänselt, so wie daheim.

      Sie blühte richtig auf. Das bemerkten auch die jungen Burschen hier in der Stadt, wo Feste gefeiert wurden, die sie von zu Hause her gar nicht kannte. Die Menschen hier waren ganz anders als daheim in ihrem Dorf und das machte sie neugierig.

      Trine war sozusagen zur Großmagd aufgestiegen und Gretge war nun in der Position einer Jungmagd.

      Ihrer Cousine Trine fiel auf, wie Gretge in den Mittelpunkt des Interesses bei den jungen Männern, wo sie bislang stand, rückte. Das gefiel ihr ganz und gar nicht, denn sie war doch die Großmagd und das Kücken war figürlich eher sparsam und zierlich ausgestattet und konnte sich mit Trines Maßen nicht messen. Gretge fiel dies nicht auf. Sie war zu sehr mit der neuen Situation und sich, als dass sie sich mit den Gefühlen der Cousine beschäftigte.

      II

      Zu Gretges erster Fastnachtsfeier, die am 11. Februar des Jahres 1662 stattfand, nahm Trine sie dennoch mit. Wo sollte sie Gretge auch sonst lassen. Höborgs würden es nicht verstehen und Trine nach dem Grund fragen. Also nahm Trine sie mit.

      Die Stadtjugend traf sich in einer alten Scheune am Rande der Stadt, während die Alten sich meist im Krug trafen oder am Feuer in den Dielen versammelt waren. Sie soffen so viel Bier und Branntwein, wie eben rein ging und manche so viel, dass es ihnen zu den Ohren wieder herauskam.

      Die jungen Leute hingegen hatten schon aufgrund ihres Geldbeutelinhalts spärlichere Möglichkeiten. Dennoch kreisten auch in der alten Scheune mehrere Schnaps-flaschen, welche die jungen Männer mitgebracht hatten.

      Sie tranken sich in Stimmung und zugleich Mut an und nutzen ihn auch gezielt, um die Mädchen und jungen Frauen etwas aufzulockern. Manche Pärchen ver-schwanden in der Scheune auf den Dachboden, auf dem Stroh gelagert war. Gretge sah das zwar, wusste aber noch nicht, was hier so getrieben wurde.

      So fragte sie Trine, was es denn da oben auf dem Dachboden zu sehen gäbe. Trine lachte laut auf und die Jungs, die bei Ihnen standen, lachten mit. „Du Dummchen, wirst es noch früh genug erfahren“, sagte Trine zu ihr mit einem Grinsen im Gesicht. Einer der Jungs bot sich an, es ihr zu zeigen. Gretge schämte sich, denn sie war naiv genug gewesen, zu fragen. Nun schoss es ihr durch den Kopf, was dort geschah, konnte nur die Fleischeslust sein, vor welcher der Pastor noch letzten Sonntag in seiner Predigt eindringlich gewarnt hatte, und doch verspürte Gretge Lust auf das Verbotene mit der Neugier eines unwissenden Menschen.

      Zwar hatte der Pastor am Sonntag in seiner Predigt noch zum Maßhalten angehalten und die Gemeinde vor der Hölle und den Auswüchsen der Sünde gewarnt, aber es scherte sich kaum jemand darum. Sie hatten den langen Krieg überlebt und feierten erstmals im Frieden.

      An diesem Abend trank Gretge zum ersten Mal in ihrem Leben selbst gemachten Branntwein vom Hauswirt, den Trine abgezweigt hatte. Er bekam ihr gar nicht gut, denn ihr wurde hundeelend. Dennoch kicherte, ja gackerte sie ungewöhnlich laut und es war ihr schwindelig dazu. Aber sie trank weiter alles mit und eiferte ihrer Cousine nach. Sie wollte endlich einmal auch dazugehören und sich freuen, von ganzem Herzen freuen.

      Ihre Onkels und Anverwandten hatten schon viel von diesen Feiern im Kreise der Familie berichtet und nun durfte sie es endlich miterleben. Nun war sie selbst dabei und hörte den dort Anwesenden aufmerksam und neugierig zu, denn sie hatten ja anscheinend alle etwas Besonderes erlebt.

      So hörte es sich jedenfalls in Gretges Ohren an. Sie erzählten prahlend ihre Heldentaten in den schillernsten Farben. Nur Gretge selbst konnte nichts berichten, und das machte sie traurig.

      III

      Früh am Morgen ging sie noch aufgedreht mit Trine zusammen nach Hause. Es waren nur zwei Meilen, und die Nacht war zwar sehr kühl, aber es gab keinen Schneefall oder Regen. Trine hatte eine kleine Laterne mitgenommen, die sich nun als sehr nützlich erwies.

      Gretge dachte daran, dass Trine plötzlich für lange Zeit verschwunden war, und als sie wieder da war, hatte sie überall Strohreste am Kleid und im Haar gehabt.

      Es war Gretges erste Nacht, die sie durchgefeiert hatte. Beide jungen Frauen waren recht angetrunken und lachten über Trines Männergeschichten und die Jungs, die Trine ganz eifrig abblitzen ließ. Über den jungen Mann, von dem sich Trine diesen Abend besteigen ließ, sprachen sie nicht.

      Ja, die Sache mit den Jungs hatte Gretge gefallen, und es war ein neues unbekanntes Gefühl. Es war einer dabei, der war auch so still wie sie selbst und nicht so, wie die anderen, die grölten und die Mädchen