dünngeschabter gespannter Schweinehaut als Fenster-glasersatz bespannt, wodurch an hellen Tagen auch ein wenig Licht hereinfiel. Wenn es Abend wurde, stopfte die Magd gegen die eindringende Kälte Lumpen in die Löcher und verkeilte sie gegen Herausfallen mit einem eigens dafür vom alten Bauern gefertigten Brett. Es standen noch ein hölzerner Schrank mit zwei Schwenktüren und eine große eichene Truhe im Raum. Diese Truhe hatte Mette zur Hochzeit von ihren Eltern mitbekommen, um die Mitgift, aus Leinen, Tüchern, Bettzeug, Tischdecken, Nachthemden und vielerlei anderer Wäsche sowie die Tracht darin aufzunehmen. Die Spinn- und Webarbeiten sowie Stickereien hatte sie schon, wie alle anderen auch, als junges Mädchen erlernt und so in den Winterabenden im Kreise der Familie gefertigt, während die Männer am Feuer Geschichten erzählten.
So häuften fleißige Mädchen viel Wäsche für die Aussteuer an und weniger fleißige litten später Not, was die Wäsche anging. Mettes Truhe hatte innen an der linken Seite eine Lade mit einer Klappe, in die sie ihre kleinen Schätze, wie die Brosche, welche sie zur Hochzeit geschenkt bekam, hineinlegen konnte. Weiterhin war die „Hohe Kante“, eine Leiste, um darauf die Taler und Schillinge zu legen, vorhanden. Das Geld verwaltete die Ehefrau und den Schlüssel zur Truhe trug sie stets in der Schürze.
In den späten Nachmittagsstunden hatte Mette ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht. Hibbel wusch es mit warmem sauberem Wasser ab, nachdem sie die Nabelschnur mit einer Schere durchtrennt hatte. Dann trocknete sie das kleine Kind ab und wickelte es in wärmende Decken ein. Nun erst reichte sie Mette, die inzwischen von Anne und der alten Margarethe gewaschen und versorgt war, das Neugeborene.
Mette nahm ihre Tochter liebevoll in den Arm und schaute sie nachdenklich an. Das Mädchen hatte die Augen geschlossen, die wenigen Haare auf dem Kopf schimmerten hellblond im Kerzenlicht. Das Gesichtchen war noch ein wenig schrumpelig, wie bei alten Leuten. Mette lächelte ihre Schwiegermutter an und sagte: „Sie soll Margarethe wie ihre Großmutter getauft werden“, woraufhin sie der alten Margarethe ihre Enkelin reichte. Margarethe setzte sich auf die Bettkante, nahm die Enkeltochter liebevoll in die Arme und schaute sie versonnen an.
Als das Kind zum ersten Mal die Augen aufschlug, sah es seine Großmutter mit großen Augen an und lächelte. Das erste Wort, welches es hörte, war „Gretge“. Die alte Margarethe sprach es mit Stolz und tiefer Freude aus. Sie schaute ihre Schwiegertochter dankbar an und legte ihre Hand auf deren Arm, als wolle sie Dank sagen. Dann stand sie auf, das Kind in den Armen, ging aus der Kammer in die Diele, zeigte den Männern stolz das Mädchen und erzählte, was ihr Mette gesagt hatte. Tietke nahm seinen Sohn Claus anerkennend in den Arm und freute sich mit ihm. Das Leben auf dem Hof würde weitergehen, auch wenn er einmal nicht mehr sein würde.
Claus nahm seiner Mutter das Kind ab und ging zu seiner Frau in die Kammer. Man sah ihm die Freude an, als er sich auf die Bettkante setzte. Mette lächelte und sagte: „Beim nächsten Mal wird es der Hoferbe sein und der soll Tietke, wie Dein Vater, gerufen werden. Sag es ihm bitte.“ Claus erwiderte: „Lass es gut sein. Die Hauptsache ist, Ihr beiden seid wohlauf. Wir haben einen harten Winter vor uns, aber wir werden es schon schaffen.“ Dann legte er Mette das Kind in den Arm und ging aus der Kammer zurück zu den anderen.
Anne hatte inzwischen das Abendessen für die Anwesen-den zubereitet. Es war nicht viel, aber das Wenige wurde gerne gegeben. Sie sprachen ein Dankgebet, dann wurde gespeist.
VII
Am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1646 wurde das Kind in der Scheeßeler Kirche nach dem Gottesdienst durch Pastor Dornemann auf den Namen Margarethe getauft; nach der Großmutter, so wie es Mette wollte. Weil die Mütter nach der Niederkunft als unrein galten und deswegen sechs Wochen nicht in die Kirchen durften, war Mette bei der Taufe ihrer Tochter nicht dabei. Sie blieb daheim und die Dienstmagd Anne bereite ein beschei-denes Mahl zur Tauffeier im Hause vor.
Das Taufkleidchen und die Taufmütze hatte Mette sich bei der Bademutter gegen eine geringe Gebühr ausgeliehen. “Gretge“, so wollte sie ihre Tochter Margarethe rufen, war in ein besticktes Tuch, welches ortsüblich „Lure“ bezeich-net wurde, eingewickelt. Die Lure konnten sich die Taufeltern beim Pastor ausleihen, mussten aber auch dafür eine Gebühr bezahlen. An diesem Tag gab es gleich zwei Taufen, denn am Heiligen Abend waren zwei Kinder im Kirchspiel lebend geboren worden.
Claus hatte nicht viele Freunde im Dorf. Er war zwar ein Vollhöfner, der aber arm war, wie viele andere während dieser schweren Zeiten auch. Sein Freundeskreis wurde nach der Hochzeit noch kleiner. Das Verhältnis zu den Nachbarn, bis auf einen, hatte sich merklich abgekühlt. Das begann, als sich herumsprach, dass er eine auswärtige Frau, die auch noch aus Höperhöfen im Nachbarkirchspiel stammte, heiraten würde.
Es mangelte ihm deswegen an Paten. Er konnte die im Kirchspiel Scheeßel üblichen fünf Paten, bei einem Mädchen drei Frauen und zwei Männer, nicht zusammen bekommen. Er brachte nur drei Paten auf, und das waren ausschließlich Verwandte. Seine eigene Mutter, seine Schwester Anna Heitmann aus Bartelsdorf und sein älterer Bruder Peter. Diese brachten den üblichen Tauftaler mit, auch wenn sie ebenso arm wie er waren. Die Einquartie-rungen und das Marodieren von Tillys Truppen zu seines Vaters Zeiten hatte immer noch verheerende wirtschaft-liche Auswirkungen auf die Menschen der Region. Das Wüten des nunmehr seit 28 Jahren tobenden Krieges hatten auch hier im Dorf schwere Folgen hinterlassen. Dieser Krieg sollte erst zwei Jahre nach Gretges Geburt offiziell beendet erklärt werden, wovon hier aber noch keiner etwas ahnte.
Die Paten bereiteten sich im Pastorenhaus auf die Taufe vor. Wie in früheren Zeiten hielt die älteste Patin das Kind über das mittelalterliche Taufbecken.
In diesem Fall stand die eigene Großmutter Margarethe als Patin stolz in der Stube des Pfarrhauses. Der Pfarrer hatte keine Diele mit einem offenen Feuer, wie es die anderen Häuser üblicherweise hatten. Es verfügte über mehrere kleinere ungeheizte Kammern, eine Küche mit einem Vorratsraum und eine große Stube, die einen steinernen Kamin mit einem gemauerten Schornstein hatte, mit dem der Raum beheizt wurde.
Für die Bauern war dieser Luxus nicht möglich, denn Ziegel waren viel zu teuer und auch Feuerholz konnten sie sich nicht leisten. Bäume durften sie nicht ohne Genehmigung schlagen und das Pollholz, welches auf dem Waldboden lag, reichte nicht für alle Haushalte. Meist nahmen sie getrockneten Torf oder Heide zum Heizen und Kochen, mussten damit aber haushalten. So genossen sie den warmen Raum sehr, in dem auch Taufen an Tagen durchgeführt wurden, wenn es nicht Sonntag war oder das Geld zur Taufe in der Kirche vor dem Altar Gottes nicht reichte.
Als der Gottesdienst vorbei war, holte der Küster Johann Grelle die beiden im Pfarrhaus wartenden Familien zur Kirche ab.
Das Haus Gottes war heute besonders gut besucht, denn es war Weihnachten, und heute sollten zwei Menschen in das Buch des Lebens eingeschrieben werden, wozu es der christlichen Taufe bedurfte.
Die Scheeßeler Kirche war ein über 500 Jahre altes Gotteshaus, dem dieses Alter durchaus anzusehen war. Der Kirchturm aus gemauerten Felssteinen diente zugleich als Wehr- und Glockenturm. Die letzte Glocke war im Jahre 1636 gegossen geworden. Deren Vorgängerglocke war zu Tillys Zeiten von den katholischen Truppen mitgenommen und zum Gießen von Kanonen verwendet worden. Die Holzschindeln auf dem Dach hatte schon vor etlichen Jahren der neue Scheeßeler Pastor durch gebrannte Tonziegel ersetzen lassen. Im Inneren der Kirche waren die Wasserschäden sowie die notdürftig reparierten Schäden aus der Zeit der Kriegsgeschehen noch deutlich zu sehen. Die Kirche wurde damals befestigt und verteidigt. Sie diente auch als Soldatenunterkunft, während das Pfarrhaus von Offizieren als Hauptquartier genutzt wurde. Die kleinen Fenster waren mit den unterschiedlichsten farbigen Bleiglasfenstern ausgestaltet, welche die Wappen der Pastoren und Amtsvögte abbildeten. Die meisten hatten die rauen Zeiten unbeschadet überstanden. Das Altarbild aus dem 12. Jahrhundert, gemalt in Öl auf Holz war schön anzusehen. Es zeigte in der Mitte den gekreuzigten Sohn Gottes sowie rechts und links zwei gekreuzigte Männer. Am Fuße des Kreuzes standen die Mutter Maria und Maria Magdalena.
Auf dem Altar standen zwei eiserne Kerzenleuchter mit großen gelbweißen Weihnachtskerzen, deren Flammen ein warmes Licht über dem gesamten Gebetstisch verbreiteten. Die Leuchter hatte der alte Scheeßeler Schmied Johann Alvers gefertigt. Eine