Petra Bunte

Dieses viel zu laute Schweigen


Скачать книгу

waren und sie sich selbst von seinem umwerfenden Lächeln überzeugen konnte.

      Lukas war so ein Mensch, der einen Raum bloß durch seine Anwesenheit zum Strahlen brachte, selbst wenn man ihn gar nicht kannte. Groß, blond, leuchtend blaue Augen und immer ein Lächeln und einen netten Spruch auf den Lippen – wie sollte man da nicht ins Schwärmen geraten? Eine Zeit lang hatte ich sogar gedacht, dass er richtig mit mir flirtete. Aber da war wohl der Wunsch Vater der Single-Gedanken gewesen, denn nachdem ich Lukas letztes Wochenende dabei erwischt hatte, dass er mit der achtzigjährigen Frau Schulze aus dem Erdgeschoss genauso schäkerte, waren mir Zweifel gekommen. Anscheinend war das seine Art, und ich Dummerchen hatte mir eingebildet, dass sein Augenzwinkern nur mir galt. In Wirklichkeit lagen ihm die Frauen wahrscheinlich reihenweise zu Füßen, und er konnte jede haben, die er wollte. Da hatte ich, die Durchschnittsfrau von nebenan, sowieso keine Chance.

      „Papperlapapp“, hatte Nele widersprochen, als ich ihr davon erzählte. „Jetzt stell dein Lichtlein mal nicht unter den Scheffel. Du siehst gut aus, bist ein intelligentes Mädchen und hast eindeutig den Heimvorteil. Also ran an den Mann!“

      Bei meiner Freundin klang das immer alles so leicht. Sie hätte sicher längst bei ihm geklingelt, ihn auf eine gute Nachbarschaft zum Essen eingeladen und dabei von vorne bis hinten über sein Leben ausgefragt. Aber so selbstbewusst war ich leider nicht.

      Heute Abend ging es allerdings nicht um mich, sondern um sie. Deshalb sagte ich entschieden: „Vergiss es! Ich nehme die Bahn. Nicht, dass Lukas unterwegs plötzlich doch Gefühle für mich entwickelt und wir es gar nicht erst zu dir schaffen. Dann guckst du nämlich in die Röhre mit deinem Postmann.“

      Außerdem hatte Lukas gar kein Auto, aber das würde ich meiner Freundin jetzt nicht auf die Nase binden.

      „Haha, sehr witzig“, murrte sie. „Statt dumme Sprüche zu machen, sieh lieber zu, dass du herkommst! Und für euch beide überlege ich mir etwas anderes.“

      „Aye, aye, Ma’am. Und du lass in der Zwischenzeit die Finger von dem Teufelszeug!“, ermahnte ich sie grinsend.

      „Ja, Mama!“, stöhnte sie. „Bis gleich.“

      „Bis gleich.“

      Kichernd legte ich das Handy zur Seite, brachte meine Einkäufe in die Küche und ging dann ins Bad. Der anstrengende Tag im Reisebüro hatte seine Spuren hinterlassen, die dringend kaschiert werden mussten. Man konnte schließlich nie wissen, wer einem unterwegs begegnete. Also sprang ich unter die Dusche, föhnte meine dunkelblonden Naturlocken halbwegs in Form und legte ein leichtes Make-up auf. Anschließend zog ich mich an und warf einen Blick auf die Uhr. Gleich halb acht. Die nächste Bahn fuhr um zehn vor … wenn sie denn kam.

      Auf dem Weg vom Schlafzimmer in die Küche hörte ich draußen im Hausflur etwas klappern, das verdächtig nach Lukas klang, und Schritte, die im Treppenhaus immer leiser wurden.

      Schade, dachte ich seufzend. Knapp verpasst. Hätte er nicht einen Moment später losgehen können? Aber bis ich meine Schuhe angezogen und die Tasche aus der Küche geholt hatte, war er sicher längst über alle Berge.

      Für einen kurzen Augenblick war ich in Versuchung, aus dem Fenster zu schauen, um wenigstens einen Blick auf ihn zu erhaschen, doch dann schüttelte ich über mich selbst den Kopf. Anna, du bist echt bescheuert!

      Es war nicht nur Nele, die sich wie ein verliebter Teenager aufführte. Aber allein der Gedanke an Lukas hatte mich schon in gute Laune versetzt.

      Lächelnd dachte ich an eine Nacht vor etwa zwei Wochen zurück, in der wir in den frühen Morgenstunden unsanft von einem Feueralarm aus dem Haus getrieben worden waren. Zum Glück hatte es sich dabei um einen Fehlalarm gehandelt, und nachdem die Feuerwehr keinen Brand festgestellt hatte, durften wir relativ schnell zurück in unsere Wohnungen. Aber dieser Morgen würde mir für immer in Erinnerung bleiben.

      Bloß mit einem T-Shirt, Jogginghose und Schlappen an den Füßen bekleidet, hatte ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite gestanden und ängstlich am Haus hochgeschaut, als Lukas dazugekommen war. In seiner gewohnt lockeren Art bemerkte er: „So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt, als ich diese Wohnung ausgesucht habe. Ein bisschen Action ist ja ganz schön, aber nicht um diese Zeit. Ich hoffe, das geht hier nicht öfter so rund.“

      Ich brachte vor Anspannung keinen Ton raus und schüttelte nur den Kopf.

      Lukas stupste mich am Arm an und sagte: „Gib’s zu, du hast heimlich im Bett geraucht und damit den Brandmelder ausgelöst.“

      Seine Gelassenheit stand in so krassem Gegensatz zu meiner eigenen Angst, dass ich lachen musste, und ein selten schlagfertiger Teil von mir konterte: „Nein, bestimmt nicht. Wenn, dann muss es wohl eher der Neue gewesen sein, der die Hausregeln noch nicht kennt.“

      „Würdest du mich verraten, wenn es so wäre?“, gab er mit funkelnden Augen zurück.

      Ich war überzeugt davon, dass er es nicht getan hatte. Doch bei seinem neckischen Blick brachte ich ohnehin nichts anderes als ein Kopfschütteln zustande. Wahrscheinlich hätte ich in diesem Moment nicht einmal mitbekommen, wenn das Haus neben mir abgebrannt wäre.

      „Hey, frierst du so?“, hörte ich Lukas plötzlich wie aus weiter Ferne sagen. Er deutete auf die Gänsehaut auf meinen Armen, die ich selbst bisher gar nicht wahrgenommen hatte. Kurzerhand zog er seinen Sweater aus, unter dem er noch ein T-Shirt trug, und sagte: „Nimm das. Mir ist warm genug.“

      Auffordernd streckte er mir den Pullover entgegen und lächelte mich an.

      „Danke“, murmelte ich verlegen und zog ihn mir über den Kopf. Das Sweatshirt war mir natürlich zu groß, aber seine Körperwärme steckte darin und war so angenehm, dass mir ein wohliger Schauer über den Rücken rieselte. Außerdem wurde ich in eine Wolke Lukas-Duft eingehüllt, der mich ganz schwach werden ließ.

      „Besser?“, wollte er wissen.

      „Ja, danke“, antwortete ich mit einem zaghaften Lächeln.

      Etwa eine halbe Stunde später gaben die Feuerwehrleute Entwarnung, und wir durften zurück in unsere Wohnungen.

      „Gott sei Dank“, stieß ich erleichtert hervor und merkte erst jetzt, wie angespannt ich die ganze Zeit gewesen war.

      Lukas musterte mich prüfend und fragte: „Alles okay? Geht es dir gut?“

      Ich nickte zaghaft. „Ja. Aber so was muss ich echt nicht öfter haben. Und mit Schlafen war es das, glaub ich, auch für heute Nacht.“

      Er lächelte mitfühlend, warf einen nachdenklichen Blick über meine Schulter hinweg die Straße entlang und meinte: „Die Bäckerei da vorne macht gerade auf. Was hältst du davon, wenn wir uns was Richtiges anziehen und dann auf den Schreck zusammen frühstücken gehen?“

      Ich sah ihn überrascht an, während die Schmetterlinge in meinem Bauch ein Freudentänzchen aufführten. Frühstück mit Lukas? Da sagte man doch nicht Nein! Bis ich zur Arbeit musste, war noch Zeit, und diese zwei Stunden waren jeden beängstigenden Feueralarm wert. Wir redeten, lachten, neckten uns, flirteten sogar miteinander und lernten uns um einiges besser kennen, als es bisher zwischen Tür und Angel im Treppenhaus möglich gewesen war. Die Zeit verging viel zu schnell, und ich hasste es, unser unverhofftes Date – wenn man es denn überhaupt so nennen konnte – beenden zu müssen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen.

      Vor meiner Wohnungstür angekommen, brachte Lukas die Welt jedoch schlagartig wieder in Ordnung, indem er lächelnd erklärte: „Das sollten wir mal wiederholen.“

      „Unbedingt“, erwiderte ich mit einem glücklichen Grinsen. „Aber bitte nicht wieder heimlich vorher rauchen, okay?“

      Er lachte leise. „Na gut. Weil du es bist.“

      Dann hob er plötzlich die Hand und strich mir sanft eine Locke aus dem Gesicht. Ich wagte es kaum zu atmen, während mein Herz ein paar Purzelbäume schlug. Mein ganzer Körper kribbelte in erwartungsvoller Vorfreude, dass er mich küsste. Doch Lukas lächelte nur, wünschte mir einen schönen Tag und ging.

      Oh