Petra Bunte

Dieses viel zu laute Schweigen


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Vielleicht sollte ich doch endlich meinen Mut zusammennehmen und unter irgendeinem Vorwand bei ihm klingeln. Oder ihm alternativ im Wäschekeller auflauern.

      Seufzend schlüpfte ich in Schuhe und Jacke, schnappte mir meine Tasche und den Schlüssel und verließ die Wohnung.

      Nachdem ich die Tür hinter mir zugezogen hatte, hörte ich von unten Schritte, die die Treppe raufkamen, und vermutete, dass es einer der Studenten aus dem Dachgeschoss war. Doch als ich um die Ecke bog, kam mir Lukas entgegen.

      „Hey“, sagte ich überrascht. „Bist du nicht eben erst runtergegangen?“

      Er sah mich an und lächelte auf diese hinreißende Lukas-Art, bei der ich sofort weiche Knie bekam. „Was man nicht im Kopf hat, holen die Beine nach. Aber gut aufgepasst, Frau Nachbarin“, neckte er mich augenzwinkernd. „Kann es sein, dass du mich stalkst?“

      Ich schüttelte lachend den Kopf. „Oh nein. Ich kenne nur niemanden sonst, der er schafft, mit seinem Schlüsselbund so einen Krach zu machen.“

      Lukas grinste ohne das geringste Anzeichen von Schuldbewusstsein. Das Thema war mittlerweile ein Running Gag zwischen uns, seit ich ihn einmal darauf angesprochen hatte, dass es ständig polterte, wenn er seine Wohnungstür aufschloss. Lukas hatte mir daraufhin einen geschnitzten Holzanhänger in Form eines Hais gezeigt, von dem er sich angeblich unmöglich trennen konnte. Mit einem zerknirschten Lächeln hatte er mir versprochen, dass er demnächst besser aufpassen würde, ihn nicht mehr an die Tür zu hauen, doch bisher hatte das nicht funktioniert.

      „Ich glaube, ich schenke dir mal einen Schaumstoffanzug für deinen Hai“, sagte ich jetzt schmunzelnd.

      „Selbst genäht?“, konterte er mit funkelnden Augen.

      „Maßgeschneidert“, erwiderte ich mit Schmetterlingen im Bauch.

      Lukas lachte und meinte: „Vorsicht! Ich könnte dich beim Wort nehmen. Wobei das seinem Image ganz schön schaden könnte. Einen Hai im rosa Flauschanzug nimmt doch keiner ernst.“

      „Hab ich was von rosa gesagt?“

      Wir grinsten uns vergnügt an, und wie so oft wünschte ich mir, der Moment würde nie vorbeigehen. Doch dummerweise warf Lukas einen Blick auf seine Armbanduhr und sagte: „Sorry, aber ich muss dann mal. Ich hab gleich ein Date mit ein paar Kollegen beim Public Viewing. Anscheinend hab ich die Probezeit im Team bestanden und darf jetzt auch privat mitspielen.“

      Er zwinkerte mir verschwörerisch zu, und es war unschwer zu erkennen, wie er sich darüber freute, in seiner neuen Firma angekommen zu sein. Aber wer wollte einen so sympathischen Menschen wie ihn auch nicht in seiner Truppe haben?

      „Herzlichen Glückwunsch“, gab ich lächelnd zurück. „Dann wünsche ich dir viel Spaß. Auch wenn du ja eigentlich gar nicht so auf Fußball stehst.“

      Der letzte Satz war mir wie von selbst herausgerutscht, nachdem ich vorhin erst mit Nele darüber gesprochen hatte. Und ich hätte mir am liebsten die Zunge abgebissen, als ich sah, wie Lukas für eine Millisekunde stockte. Doch er konterte wie üblich mit einem lockeren Spruch und sagte: „Jetzt wirst du mir langsam unheimlich. Hat dir das etwa auch mein Hai verraten?“

      „Hmmm“, machte ich nachdenklich. „In gewisser Weise schon. Wenn dein Hai an der Tür poltert, während der Rest der Männerwelt Fußball guckt, dann ist das verdächtig.“

      „Okay“, lachte er. „Du hast mich durchschaut. Aber ich werde den Abend schon irgendwie überleben.“

      „Das will ich doch hoffen.“

      Wir sahen uns an und grinsten.

      „Also dann“, meinte er. „Dir auch einen schönen Abend, beim Fußball oder was auch immer.“

      „Danke“, erwiderte ich, und im nächsten Augenblick war er die Treppe rauf verschwunden. Schade. Aber auch ich sollte mich langsam sputen, wenn ich die S-Bahn erwischen wollte.

      Felix

      Ich hasste diese Fortbildungen, bei denen man nichts Neues lernte, sondern bloß teilnehmen musste, um diesen oder jenen Schein für seinen Job als Physiotherapeut nachweisen zu können. An einem sonnigen Wochenende wie diesem konnte ich mir wirklich Schöneres vorstellen. Aber zumindest der Abend versprach unterhaltsam zu werden. Wir hatten uns mit einigen Seminarteilnehmern zum gemeinsamen Fußballgucken in der Hotelbar verabredet, was bei der Truppe ganz lustig zu werden schien. Ich war zwar kein wahnsinnig großer Fußballfan, aber alles war besser, als alleine auf dem Zimmer zu sitzen, wo sich meine Gedanken nur wieder in Regionen verirren würden, die ich nicht mehr betreten wollte.

      Zwischen Abendessen und Anpfiff des Spiels blieb etwas Zeit, deshalb ging ich raus in den angrenzenden Park, zog das Handy aus der Tasche und rief meinen Bruder an. Wie ich Lukas kannte, würde er den Samstagabend garantiert nicht zu Hause verbringen, aber jetzt, um kurz nach halb acht, war es vielleicht früh genug, um ihn zu erreichen.

      „Hey Bruderherz“, meldete er sich mit diesem unerschütterlich sonnigen Gemüt, mit dem er seine Mitmenschen gleichermaßen erfreuen als auch zur Weißglut treiben konnte. „Hast du mal wieder Sehnsucht nach mir?“

      „Mal wieder ist gut“, gab ich trocken zurück. „Wenn ich nicht ab und zu bei dir anrufen würde, würde ich gar nichts mehr von dir hören.“

      Ich wollte ihm eigentlich gar nicht direkt mit Vorwürfen kommen, aber mittlerweile war es frustrierend, dass er sich so rarmachte, seit er wegen des neuen Jobs knappe hundert Kilometer von mir entfernt wohnte.

      Doch Lukas nahm es gewohnt locker und sagte: „Sorry. Hier ist alles so neu und aufregend, da rast die Zeit nur so dahin. Ich verspreche hoch und heilig, mich zu bessern.“

      Unwillkürlich musste ich lächeln. Diese Art von Versprechungen kannte ich. Und trotzdem konnte ich ihm nie lange böse sein.

      „Schon okay. Wie läuft’s bei dir? Haben sie in der neuen Firma schon bereut, dich eingestellt zu haben?“, zog ich ihn auf.

      Lukas lachte. „Ja. So sehr, dass sie mich heute Abend zwingen, mit ein paar Leuten zum Public Viewing zu gehen.“

      „Oh, wow, gleich die Höchststrafe. Was hast du angestellt?“

      „Keine Ahnung. Vielleicht war ich ein bisschen zu nett zu den Kollegen.“

      „Kollegen oder Kolleginnen?“, hakte ich grinsend nach. Ich kannte ja meinen Bruder, den Herzensbrecher, und ahnte, dass ihm nach diesen ersten sechs Wochen die Frauen in der Firma bereits sabbernd hinterherhechelten.

      „Kollegen, du Honk! Ich hab dir doch erzählt, dass es in meiner Abteilung nicht mal die obligatorische Quotenfrau gibt. Und der Verwaltungstrakt ist leider ziemlich weit entfernt.“

      „Du Ärmster“, neckte ich ihn.

      Lukas schnaubte und meinte: „Gibt es eigentlich sonst noch einen Grund für deinen Anruf oder willst du dich nur über mich lustig machen? Dafür hab ich nämlich keine Zeit. Meine Bahn fährt gleich.“

      „Sorry. Nee, ich wollte bloß mal hören, wie es dir geht, weil ich hier grad nichts anderes zu tun habe.“

      „Du und nichts zu tun?“, fragte er ungläubig. „Wo bist du denn?“

      „Bei dieser Fortbildung in Dortmund.“

      „Ach ja, richtig“, erwiderte er, und ehe er es aussprach, wusste ich, was als Nächstes kam. „Und? Gibt es da auch ein paar heiße Physiotherapeutinnen?“

      Ich verdrehte im Stillen die Augen. Das war typisch mein Bruder. Manchmal fragte ich mich, ob wir wirklich die gleichen Gene in uns hatten oder einer von uns nach der Geburt vertauscht worden war.

      „Für dich bestimmt“, gab ich widerwillig zurück.

      „Lass mich raten“, feixte Lukas. „Du hast gar nicht richtig hingeguckt, oder?“

      „Du kannst mich mal.“

      Er stieß einen übertriebenen