Maike Rockel

Das Konzerthaus


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so aussahen wie die zuletzt gebildete Fischfigur eines Handfadenspiels, mit dem sich Schulkinder in vergangener Zeit während der Pausen gerne die Zeit vertrieben hatten.

      Sie hatte sich an ihren Stammkunden gewöhnt, der es vorzog, den Club außerhalb der Geschäftszeiten zu besuchen. Er war schon älter, trug schlecht sitzende Kleidung und saß unbeholfen auf dem für ihn viel zu hohen Barhocker. Das wenige Haar war kunstvoll über seinen Kopf drapiert, ergebnislos bemüht, über seine für jedermann sichtbare Glatze hinwegzutäuschen. Die fettige gelblich-weiße Strähne, die er über die gesamte Glatze gekämmt hatte, klemmte er hinter den Bügel seiner abgeplatzten Hornbrille.

      Professionell ignorierte Simone das unansehnliche Äußere und nahm seine erschlaffte, auf seinem Bein ruhende Hand. Während sie ihn vom Barhocker zog, rutschte sein Handy aus der hinteren Hosentasche und fiel, von beiden unbemerkt, geräuschlos auf den Teppich. Mit ihrer zartgliedrigen Hand griff sie elegant nach ihren Rauchutensilien und ihrem Handy und führte ihren Kunden in eines der im Souterrain gelegenen Zimmer des Etablissements.

      Der Mann mit der Schirmmütze hatte die Bar über die bereits geöffnete Hintertür betreten. Sein muskulöser Oberkörper steckte in einer zu kleinen grünen Bomberjacke, was seiner stattlichen Erscheinung etwas Lächerliches gab. Die zu eng stehenden, seegrünen Augen und das kurz rasierte braune Haar fügten sich stimmig in die Gesamt­erscheinung.

      Im Souterrain waren alle Wände des Zimmers in einem dunkelroten Farbton getüncht, und der an der Wand hängende in Gold gerahmte Spiegel hatte schon üppige Fantasien sichtbar gemacht. Auf dem mit weißer Bettwäsche ausgestatteten Doppelbett hatte Lotta dekorativ zwei Badehandtücher mit Duschproben hingelegt.

      Mit einem Handtuch in der Hand betrat Simone das angrenzende Badezimmer, während ihr Kunde sich vollständig auszog und seine Bekleidung sorgfältig über einen Stuhl neben dem Bett hängte. Die gekühlte Champagnerflasche auf dem Eckrand des Whirlpools unweit des Bettes war bereits geöffnet, und zwei gefüllte Gläser luden zu einem weiteren Drink ein. Wohlig ächzend glitt er in den mit dampfendem Wasser gefüllten Pool. Er führte das Glas an seine Lippen und ließ einen kühlen Schluck die Kehle hinuntergleiten. Entspannt schloss er die Augen.

      Der Mann mit der Schirmmütze öffnete langsam und unbemerkt die Tür des süßlich duftenden Zimmers. Er schien sich auszukennen, trat geräuschlos an den im Whirlpool dösenden Kunden heran, hob routiniert den Arm, zielte auf die Schläfen des seitlich zu ihm sitzenden nackten Mannes und betätigte den Abzug. Durch die Wucht des kaum hörbaren Schusses schlug der Kopf zur Seite und zog den gesamten Oberkörper mit, der sanft und fast geräuschlos ins Wasser sank. Das Projektil traf zentral ins Stammhirn, und der Freier war sofort tot. Ohne Zeit zu verlieren, breitete der Mann auf dem roten Teppichboden eine große, blaue Plastikfolie aus, zog den toten Kunden mühelos aus dem fast randvollen Wasserbecken und bettete ihn auf die vorbereitete Unterlage.

      Als Simone den Raum betrat, hatte sie das weiße Badehandtuch um den noch feuchten Körper gewickelt und unterbrach – ohne die maßgebliche Veränderung im Zimmer anfangs bemerkt zu haben – die Stille. „Schatz, jetzt werden wir es uns richtig schön machen. Was darf ich denn heute für dein Wohlbefinden ...?“

      Zuerst fiel ihr Blick auf die Champagnerflasche, die im zartrosa gefärbten Wasser schwamm, und dann sah sie den Toten auf dem Boden liegen. Sofort brach sie ihr geschäftsmäßiges Geplauder ab und starrte Schirmmütze an, der damit beschäftigt war, ihren toten Kunden einzuwickeln.

      „Wat haste jetan? Icke hab’ euch doch allet erzählt!“

      Mit greller Stimme fiel sie in ihren Berliner Dialekt, was immer geschah, wenn sie aufgeregt war.

      Sie unterbrach sich und starrte erneut in den Whirlpool.

      „Wieso knallst’e denn meenen Stammkunden ab? Der hat mir doch aus der Hand jefressen und allet erzählt, wat ihr hören wolltet ... Mir brummt noch der Schädel von seinem Jesabbel heute über den Riesenskandal.“

      Sie legte ihre Hand dramatisch an die Stirn, als habe sie stechende Kopfschmerzen.

      Unbeirrt wickelte der Mann die Leiche ein und sammelte die Hülse am Fuß des Beckenrandes auf, als wäre Simone gar nicht anwesend. Mit einem konspirativen Kopfnicken deutete sie in Richtung Pool und flüsterte: „Der quatschte was von einer Konzerthalle, einem richtigen dicken Jeschäft, und nun ballerst du den ab, wie räudig. Oh Mann, mir is’ echt übel ...“

      Sie ließ sich aufs Bett fallen und fingerte eine Zigarette aus der Schachtel. Mit zittrigen Händen zog sie den Rauch tief in ihre Lunge, als wäre es ihre letzte Zigarette, und atmete den Qualm langsam aus.

      Und dann beging sie einen gravierenden Fehler.

      „Und wat von ’nem wichtigen Unternehmer von hier, Melzer oder so, den er fett inne Hand hat wejen Schmierjeld, wat weeß icke. Alter, der hat so viel erzählt, von

      Politikern, Bürgermeister, det kreest allet in meenem Kopp.“

      Als der Mann mit der schwarzen Schirmmütze den Namen Melzer hörte, hielt er inne. Er hob den Kopf, kniff kaum sichtbar die Augen zusammen und schien zu überlegen.

      Simone stand auf und ging zum Pool. Sie zog an der Zigarette und starrte auf die eingewickelte Leiche.

      „Wie willste den Kollejen eijentlich hier raus­schaffen?“

      Die Schirmmütze antwortete nicht und schoss der überraschten Simone direkt zwischen die Augen.

      Seine grüne Bomberjacke hatte er für die Aufräumarbeiten ausgezogen und auf das unberührte Bett geworfen. Er steckte die zweite Patronenhülse in seine Hosentasche, sammelte sämtliche restliche Kleidungsstücke auf und warf diese auf Simones leblosen Körper.

      Endlich war die Scheißnutte still. Ihre schrille Stimme hatte er eh nie leiden können. Verdammt, er hatte doch so aufgepasst, aber ihr Blut, das an die rote Wand gespritzt war, musste er noch entfernen. Das Badewasser hatte er bereits abgelassen und den Pool im Anschluss gereinigt. Nach getaner Arbeit war auch das Blut an der Wand nicht mehr zu sehen. Er war zufrieden.

      Die in Plastik fest verschnürten Leichen trug er einzeln über einige wenige Treppen nach oben und verließ das Etablissement unauffällig über einen versteckten Hintereingang, der prominenter Kundschaft vorbehalten war. Er lud die beiden Körper gekonnt in den Laderaum seines Kastenwagens und fuhr über die unbefahrene Seitenstraße in die kalte Nacht.

      Die Lichtkegel der Straßenlaternen verschwammen während der Autofahrt vor seinen Augen, und er bemerkte, dass eine seiner Kontaktlinsen fehlte.

      Kapitel 2

      Aller guten Dinge sind drei

      In München schien an demselben Nikolaussonntag die späte Nachmittagssonne auf die Kupferkuppel der Gökhan-Moschee und ließ die hellgrüne Patina in einem besonderen Glanz erstrahlen.

      „Wie weit bist du?“, dröhnte es in Nora Kardinals Ohr, an das ihr Smartphone unter einem Tschador geklemmt war. Reflexartig hielt sie sich die Hand an ihre Ohrmuschel und friemelte mit dem Daumen ihr Handy zum Mund.

      „Ich bin jetzt bei der Moschee und treffe mich gleich mit dem Imam. Ich glaube, wir sind nah dran“, wisperte Kriminaloberkommissarin Kardinal ihrem Einsatzleiter zu. Inzwischen war sie fünfunddreißig Jahre alt und sollte heute die Früchte der Saat ernten, die sie in den letzten sechs Jahren Ermittlungsarbeit in die Erde der Münchener Salafistenszene gesetzt hatte. Optisch fügte sie sich perfekt ein in diese fast undurchdringbare Parallelwelt von Anhängern, die unter dem Schutzschirm der Religionsfreiheit gefährliche und überstanden geglaubte patriarchalische Lebensweisen der vorangegangenen Jahrhunderte zu etablieren versuchten.

      Ihr eigenes nordafrikanisches Aussehen half ihr bei ihrer verdeckten Tätigkeit. Die neuen Glaubensbrüder und -schwestern nannten sie Yasemine, und in Noras langen, dunklen Gewändern, ihrer Arbeitskleidung quasi, verschwand ihre sportliche Gestalt trotz ihrer 1,76 Meter Größe und ließ sie kleiner erscheinen. Hinter ihrer runden Hornbrille blitzten tiefbraune, kluge Augen, die von dichten schwarzen Wimpern eingerahmt waren. Unter ihrem Hidschab oder wahlweise dem Tschador verbarg sie dunkelbraunes, gewelltes, schulterlanges