Luma Mayhér

Deutschland wohin???


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konnten nach dem sogenannten Kuppelparagraphen geahndet werden) und die unkomplizierten, sicheren Verhütungsmöglichkeiten sind identisch mit dem Zeitpunkt, von dem an in der Bundesrepublik der demografische Wandel einsetzte. Statt Bevölkerungswachstum fiel die Geburtenrate nun deutlich unter die Substanzerhaltung. Seitdem liegen die Geburten bis heute fast anhaltend etwa ein Drittel unter der Sterberate (3.7, 236, 237-238). Die 68er stellten in vielen Bereichen die Vorgaben des alten Systems in Frage, insbesondere auch das Verwaltungshandeln. Bürgerproteste und Aktionen gegen reale oder auch vermeintliche Verwaltungswillkür nahmen zu. Sie hatten damals durchaus Folgen für die Verwaltungsbürokratie und bewirkten einen Rückgang von übermächtigem Verwaltungshandeln und Verwaltungswillkür.

      Im Rückblick lässt sich heute resümieren, die 68er Bewegung hat Wichtiges vorangebracht und erreicht, aber eben nicht nur im uneingeschränkten positiven Sinne. Die deutsche Vergangenheit wurde von dieser Bewegung im Wesentlichen auf die Zeit 1933 bis 1945, mit den Naziauswüchsen in den zwanziger Jahren sowie auch mit deutlicher Kritik an die Zeit des letzten deutsche Kaiserreich reduziert. Die umfassenden kulturellen Beiträge und die Bereicherung, wie sie u. a. von Goethe und Schiller ausgingen, fanden nur sehr nachrangige Beachtung. Das Gleiche galt für viele deutsche Leistungen in Kultur und Wissenschaft, die mit der Kriegsführung des NS-Regimes nicht zu tun hatten. Die Wehrmacht und ihre Soldaten wurden fast grundsätzlich als Kriegsverbrecher oder Verbrechenbeteiligte eingestuft. Laut der Berechnung von Experten hatten sich schließlich etwa 20.000 Wehrmachtssoldaten an den Gräueltaten beteiligt. Das galt als Orientierung und nicht, dass demnach von den 3 Millionen deutscher Soldaten 2.980.000 Soldaten den Kriegsdienst leisteten, ohne sich an den Gräueltaten direkt zu beteiligen. Bei dem Großteil der Soldaten handelte es sich zudem nicht um Freiwillige, sondern um Personen, die eingezogen wurden. Dem konnten sie sich kaum entziehen, denn eine Wehrdienstverweigerung wurde damals mit der Todesstrafe geahndet.

      Für die Zeit der 68er wird in den Publikationen fast immer ein massiver Generationskonflikt, vor allem zwischen Eltern und ihrem 68er Nachwuchs, unterstellt. Den hat es bestimmt vielfach gegeben, aber längst nicht in dem Ausmaße, wie ihn überwiegend die Presse und Literatur darstellen. Ich hatte selber überhaupt keine Probleme mit meinen nächsten Anverwandten über diese Zeit und Auswüchse zu reden und zu diskutieren, zumal mich meine Mutter von klein auf massiv gegen Hitler und die Taten der NS-Zeit erzog (Mein Vater, der damals wie die meisten Männer per Zwang zur Wehrmacht eingezogen wurde, fiel dem Krieg zum Opfer). Unsere Familie hat noch wenige Tage vor Kriegsende durch die auch dann noch anhaltende Bombardierung von reinen Wohngebieten ihre Wohnung und nahezu ihr gesamte/s Habe und Gut verloren. Ich war nicht der Einzige, in dessen Familien die Hitlerzeit kein Tabu war und über deren Schreckenszeit den Kindern berichtet wurde, wie mir aus den damaligen Gesprächen mit Freunden in Erinnerung ist. Es gab aber auch Gegenbeispiele. Die Mutter eines Freundes stellte an Hitlers Geburtstag ein gerahmtes Bild im Wohnzimmer auf, mit einer Kerze davor. Meine persönlichen Erinnerungen waren mit hoher Wahrscheinlichkeit keine außergewöhnlichen Ausnahmen. Vielmehr ist von sehr unterschiedlicher Betroffenheit und einem vielschichtigen Umgang mit der Vergangenheit in den einzelnen Familien auszugehen. Die Verleugnung der NS-Zeit und Vergangenheit und den daran angelehnten Generationskonflikt mag es in manchen Familien gegeben haben, aber in vielen auch nicht.

      Die 68er bejubelten und glorifizierten auch den Massenmörder Mao. Gegen die Annexion Tibets gab es von ihnen genauso wenig Proteste wie von den damals etablierten Parteien. Umso stärker und intensiver waren die Proteste und Aktionen gegen die USA und den Vietnamkrieg. Die Stimmung hatte sich völlig gegen die USA gedreht. Als 1961 die USA nach der Grenzschließung und dem beginnenden Mauerbau zur symbolischen Unterstützung Westberlins über die Interzonenautobahn eine zusätzliche Brigade nach Berlin entsandten, warteten viele West-Berliner an der Autobahnkreuz Wannsee, um die Ankunft der Soldaten zu bejubeln. Ich war auch dabei. Bevor die Soldaten in amerikanische Kasernen fuhren, vollzogen die Fahrzeuge mit ihren Soldaten eine Rundfahrt über etliche Hauptstraßen Berlins. Sie wurden von der am Straßenrand wartenden begeisterten Bevölkerung beklatscht und mit Blumen beworfen. Nun, sieben Jahre später war das ganz anders. Beklatscht wurden sie nirgends mehr, aber auf etlichen Demonstrationen geschmäht. Als geborener Berliner, der die gesamte Zeit miterlebte, hatte ich ein sehr ungutes Gefühl, denn ohne die dezidierte Haltung der USA wäre wohl damals die Geschichte für Westberlin anders verlaufen. Fragwürdig war für mich auch manches Agieren der 68er Bewegung an den Universitäten, zumindest an der Technischen Universität in Westberlin. Studenten der 68er hatten zutreffend Mängel und Schwächen der Universität und deren Verwaltung aufgedeckt und vernünftige Konzepte zur Abänderung vorgeschlagen. Die wurden dann als Resolution zur Abstimmung gestellt, allerdings oft mit einem Zusatz. In dem wurde die amerikanische Politik, vor allem die Vietnam-Politik angeprangert. Studenten, die nun für die Resolution zu Verbesserungen an der Universität stimmten, gaben damit zwangsläufig auch ihre Stimme für die entsprechende antiamerikanische Resolution ab. Die antiamerikanische Haltung mag aber auch durch die Ermordung von Luther King und Kennedy verstärkt worden sein, wenngleich sich später herausstelle, dass Kennedy ein wesentlicher Befürworter für den amerikanischen Vietnameinsatz war.

      Die 68erBewegung hat dann mit der Zeit an Schub und Zuspruch verloren, was zugleich mit der Radikalisierung einer kleineren Anhängerschaft einherging. In der Folgezeit bröckelte angesichts der Morde durch die RAF (Rote Armee Fraktion) die Sympathie. Auf Seiten der Ordnungskräfte fand damals die fragwürdige Erschießung des unbewaffneten von Rauch vor einem Laden in der Eisenacher Straße statt. Ich wohnte zu dieser Zeit in der Nähe und lief kurz danach zufällig die Kleistraße entlang. Erstaunt über die Polizeiabsperrung an der einmündenden Eisenacher Straße in die Kleiststraße fragte ich höflich die Polizisten nach dem Absperrungsgrund. Die Polizisten antworteten aufgeregt, die Baader-Meinhof-Terroristen haben einen Kollegen, also einen Polizisten, erschossen. Das stellte sich alsbald als völlig falsch heraus. Von Rauch war unbewaffnet und stand vor einem Laden, wo ihn die Polizei bereits fixiert hatte, und wurde dann aus unerklärlichen Gründen, vermutlich versehentlich, in deren Aufregung erschossen. Rauch war völlig unbewaffnet, denn eine Waffe wurde trotz intensiver Suche im gesamten Tatortareal nirgends gefunden. Hier sehe ich unter dem damaligen Berliner Innensenator Neubauer wieder das gleiche Verhalten der falsch gestreuten Polizeigerüchte wie bei dem oben angeführten Todesschuss auf Benno Ohnesorg. Mein Zweifel an der deutschen Rechtsstaatlichkeit bekam Nahrung.

      Die unter vielen Studenten zunächst durchaus vorhandenen Sympathie für die Aktionen der Baader-Meinhof-Gruppe schwächten sich mit deren zunehmender Radikalisierung und Taten der RAF (Rote Armee Fraktion), insbesondere durch deren Nachfolgeorganisation unter Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, massiv ab. Nach der Schleyerentführung mit der Exekution der sieben begleitenden Polizisten gab es in der Studentenschaft für die RAF kaum noch Sympathie. Damit waren auch die linken Ideen zunehmend diskreditiert und diese Terrorgruppe verlor die Unterstützung als wesentliche Voraussetzungen für das Leben im Untergrund. Ihr Ende war absehbar.

      Heute ziehe ich das Resümee, die 68er waren wichtig für den Aufbruch, insbesondere zur Emanzipation der Frauen, zur Reduzierung falscher Pflichtgefühle und Veränderung der Persönlichkeitshaltungen, für sexuelle Freiheit und Selbstbestimmtheit, Reflexion und öffentliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und zur Reduzierung von Bürokratie und Verwaltungswillkür. Sie haben zudem die breite Diskussion für viele Themen ermöglicht und geschaffen, die vorher eher ein Tabu waren. Umgekehrt wurden aber abweichende, gar konservative Meinungen und Gesellschaftsbilder, auch wenn diese nicht aus der rechten Ecke kamen, massiv abgelehnt, bis hin zu Beleidigungen der betreffenden Personen. Die Meinungserweiterung wurde ermöglicht, aber nicht, wenn sie anders war als die der 68er. Dann wurde die Meinungsfreiheit von dieser jungen Aufbruch-Generation nicht selten massiv missachtet.

      Das Vorgehen der 68er war, wie bei den angeführten Resolutionen an der TU, außerdem nicht immer aufrichtig. Das einseitige Bejubeln von Massenmördern wie Mao, genauso wie das Ausbleiben jeglicher Kritik oder gar Proteste gegen die chinesische Annexion Tibets, ließen großen Zweifel aufkommen. Genauso kann die Quasi-Reduzierung der deutschen Geschichte auf 1890 bis 1945, oder noch gravierender auf die Zeit 1933–45 nicht überzeugen. Mit den Attentaten und Morden der Baader-Meinhof-Gruppe, RAF sowie insbesondere deren Nachfolgergruppierungen hat die 68er Generation jedoch nichts