Alida Leimbach

Die Tote von der Maiwoche


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allein gehabt. Ideal für eine Familie!«

      »Mir macht es Spaß, Möbel auszusuchen und eine Wohnung einzurichten«, sagte Elke Wagner leise.

      »An meiner Elke ist eine Innenarchitektin verloren gegangen«, sagte Christian Wagner mit einem liebevollen Seitenblick auf seine Frau.

      Birthe fiel noch etwas ein. »Das Handy Ihrer Tochter ist mit einer PIN geschützt. Kennen Sie die zufällig?«

      »Natürlich nicht«, lautete die prompte Antwort von Christian Wagner. »Wir haben die Privatsphäre unserer Tochter immer respektiert.«

      »Kein Problem, unsere Spezialisten sind schon dran«, sagte Birthe. »Die werden das herausfinden. Haben Sie ein aktuelles Foto Ihrer Tochter?«

      Er sah sich suchend um. »Irgendwo sicher. Ich werde es Ihnen mailen.«

      Birthe reichte ihm ihre Karte mit allen Kontaktdaten. »Es dürfen auch zwei oder drei sein«, sagte sie.

      Traurig sah er sie an. »Wann kann ich unsere Tochter sehen?«

      »Sobald die Staatsanwaltschaft zustimmt«, sagte Birthe. »Sie wird zunächst in die Gerichtsmedizin gebracht.«

      Das war zu viel für Frau Wagner. Sie umarmte sich selbst, als suche sie Halt. Dann fing sie hemmungslos an zu schluchzen und sackte in sich zusammen.

      »Brauchen Sie einen Arzt?«, erkundigte sich Daniel und suchte Blickkontakt mit Birthe.

      Elke Wagner schüttelte heftig mit dem Kopf.

      »Selbstverständlich besteht zudem die Möglichkeit«, bot Birthe an, »dass Sie professionelle psychologische Hilfe erhalten. Wir haben eine Liste von hochqualifizierten Psychologen und Therapeuten. Ich hoffe auch, dass ich Ihnen noch heute einen Notfallseelsorger vorbeischicken kann. Wären Sie damit einverstanden?«

      »Den brauchen wir nicht. Wir möchten jetzt einfach nur allein sein«, wischte Herr Wagner ihren Vorschlag beiseite, setzte sich neben seine Frau und nahm sie in den Arm.

      Kapitel 7

      Auf dem Weg ins Präsidium tauschten Birthe und Daniel sich über die Begegnung mit Jessicas Eltern aus.

      »Auf mich wirkten die Wagners leicht unterkühlt«, sagte Daniel, der auf dem Beifahrersitz saß. »Als versuchten sie, den Tod ihrer Tochter zu verdrängen. Als hätte er nichts mit ihnen zu tun.«

      »Das ist häufig der Fall. Bei einer Todesnachricht werden Gefühle oft erst einmal unterdrückt, weil der Verstand sonst überfordert wäre. Aber ich glaube, langsam begreifen sie, was passiert ist. Dass die Mutter angefangen hat zu weinen, ist schon mal ein gutes Zeichen.«

      »Und er ist so ein Typ, der meint, sich alles erkaufen zu können. Geld regiert die Welt. Ein richtiger Großkotz. Am liebsten würde er bestimmt uns kaufen, wenn der Fall dadurch schneller aufgeklärt werden würde.«

      »Lass ihn doch. Das ist einfach seine Art, damit umzugehen. Er trauert auch, aber eben anders als seine Frau.«

      Eine Weile hingen sie ihren Gedanken nach. Schließlich fragte Daniel: »Wollen wir morgen Abend gemeinsam da hingehen?«

      »Was meinst du? Wohin?«

      »Na, zum Auftritt der Band auf der Maiwoche.«

      Birthe seufzte. »Henning ist gerade bei mir.«

      »Hm«, machte er. »Hast ihn lange nicht gesehen, oder?«

      »Diesmal waren es genau vier Wochen. Die Abstände werden jedes Mal größer. Ich hätte nicht gedacht, dass eine Fernbeziehung so schwierig ist. Ich dachte, wir sind beide ledig, haben Autos, die Entfernung von gut zwei Stunden ist machbar, das dürfte kein großes Problem sein, aber die Realität sieht anders aus. Immer wieder kommt etwas dazwischen, Dienstpläne, Extraschichten, Urlaubsvertretungen, Überstunden ohne Ende – du siehst ja selbst, wie es ist, wir arbeiten ständig an der Belastungsgrenze. Und nun gerade wieder das Tötungsdelikt. Henning weiß noch gar nichts davon. Es ist zum Kotzen manchmal. Erst seit ich ihn kenne, merke ich, wie oft wir unter Druck arbeiten müssen, wie eng die Personaldecke gestrickt ist. Da kann ich mir nicht einfach eine Auszeit nehmen und sagen: ›Hey, ich melde mich mal eben ab und fahre an die Nordsee.‹«

      »Zusammenziehen wollt ihr nicht?«

      »Du sagst das so einfach. Henning lebt an der Küste und fühlt sich sehr wohl da. Seine Eltern betreiben ein Hotel in Norden, und er hängt sehr an seinem Opa, der in einem Pflegeheim in Greetsiel lebt. Den besucht er regelmäßig. Henning kommt auch mit seinen Kollegen bei der Polizei gut klar. Und ich … Es ist schwierig, weißt du. Ich hänge auch an meiner Familie, selbst wenn ich sie momentan nicht oft sehe, und an Osnabrück. Ich könnte mir nicht vorstellen, woanders zu leben. Fast mein ganzes Leben habe ich in Osnabrück verbracht, bis auf die Ausbildungsjahre in Hannover. Und ich hänge an euch als Kollegen. Ich will keine anderen. Mit Henning zusammenzuarbeiten stelle ich mir schwierig vor. Wenn man den ganzen Tag aufeinanderhängt, sind Konflikte vorprogrammiert. Und seinen Kollegen Fiete Bontjes finde ich nicht besonders sympathisch. Den habe ich ja kurz kennengelernt, als ich an der Küste ermittelt habe. Der erste Eindruck hat mir gereicht. Er hat ein antiquiertes Frauenbild. Frauen sind seiner Meinung nach in der Berufswelt nur gut als Sekretärinnen und Kaffeeköchinnen. Nee, mein Entschluss steht: Ich will nicht von hier weg.«

      »Bist du sicher? Wir können doch Kontakt halten, wenn du nach Norden ziehst. Durch das Internet ist das alles kein Problem. Obwohl ich zugeben muss, dass ich es persönlich ziemlich doof fände. Aber es geht ja nicht um mich«, sagte er lapidar und sah sie treuherzig an.

      »Ich weiß, Daniel. Sehr großzügig von dir.«

      »Ab und zu kann selbst ich mal altruistisch sein, auch wenn’s mir schwerfällt. Du musst halt Prioritäten setzen. Was ist dir wichtiger: Henning oder deine Leute in Osnabrück?«

      »Ich hasse solche Fragen«, schnaubte sie und schaltete in den nächsthöheren Gang.

      »Wenn es wirklich die große Liebe ist, solltest du die Frage leicht beantworten können«, sagte Daniel mit einem hoffnungsvollen Seitenblick. Er hatte aus seiner Zuneigung zu ihr nie einen Hehl gemacht. »Im Grunde suchen wir doch alle nur unser Gegenstück, oder? Wir brauchen einen Seelenverwandten, den Menschen an unserer Seite, mit dem wir uns vorstellen können, alt zu werden. Wir alle wollen doch nur eins: ankommen im Leben. Glücklich sein, aufgehoben sein, uns wohlfühlen.«

      »Hm«, machte sie und schaltete zurück, da sie auf eine rote Ampel zufuhr. Insgeheim wunderte sie sich. So kannte sie ihn gar nicht. Daniel, der Dummschwätzer, der mit den blöden Sprüchen und dem unsteten Leben. Daniel, der seine Frauen so oft wechselte wie andere Leute ihre Unterwäsche. »Irgendwann muss eine Entscheidung her, das ist klar. Aber nicht heute.«

      Schweigend fuhren sie über die enge, dicht befahrene Lotter Straße zur Dienststelle am Kollegienwall. Bis Daniels Handy sie laut klingelnd aus ihren Gedanken riss.

      »Oma Hilde«, meinte er. »Die ruft sonst nie um diese Zeit an. Entschuldige, Birthe, ich muss mal eben rangehen.« Er wischte über den Bildschirm. »Oma, was gibt’s?«

      »Ich habe mich ganz arg verletzt!« Ihre ältliche Stimme schepperte durch den Lautsprecher.

      »Was ist passiert?«

      »Ich habe mich an der Brotschneidemaschine geschnitten. Das ist mir noch nie passiert! Deine Mutter kann ich nicht erreichen! Was soll ich tun?«

      »Ist ein Finger ab?«

      »Nee, das nicht. Aber es blutet wie verrückt. Ich brauche doch die rechte Hand!«

      »Dann ist es nicht so schlimm. Oma, bleib ganz ruhig. Binde dir ein sauberes Geschirrtuch um die Hand und lass dich von einem Taxi zum Hausarzt bringen!«

      »Wo ist Bärbel? Ich rufe sie dauernd an, aber sie geht nicht ran!«

      »Irgendwo zwischen Mallorca und Gran Canaria«, sagte er. »Sie kommt in zwei Wochen wieder. Macht eine Kreuzfahrt. Hat sie dir das nicht erzählt?«

      Pause.