spielte die ganze Klaviatur von oben bis unten durch, ohne Unterbrechung. Das auf solcherlei Weise geschüttelte alte Instrument, dessen Saiten schwirrten, war bis zum Dorfende zu hören, wenn das Fenster offenstand, und häufig blieb der Schreiber des Gerichtsvollziehers, der barhäuptig und in Pantoffeln über die Hauptstraße ging, stehen und hörte zu, sein Aktenstück in der Hand.
Andererseits verstand Emma sich gut auf die Führung ihres Haushalts. Sie schickte den Patienten die Rechnung über die Besuche, und zwar mit höflichen Begleitbriefen, die gar nicht nach Mahnungen aussahen. Wenn sonntags irgendjemand aus der Nachbarschaft bei ihnen zu Gast war, fand sie stets Mittel und Wege, mit etwas Besonderem aufzuwarten; auf Weinblättern schichtete sie Pyramiden von Reineclauden auf, servierte das Eingemachte auf einen Teller gestürzt und sprach davon, dass für das Ende der Mahlzeit kleine Gläser zum Spülen des Mundes gekauft werden sollten. Durch all das steigerte sie Bovarys Ansehen beträchtlich.
Charles bekam allmählich mehr Selbstachtung, weil er eine solche Frau besaß. Voller Stolz zeigte er zwei ihrer kleinen Bleistiftskizzen, die er in ziemlich breite Rahmen hatte fassen lassen und die an langen grünen Schnüren auf der tapezierten Wand hingen. Nach der Messe sah man ihn in schönen Pantoffeln mit Gobelinstickerei vor seiner Haustür stehen.
Er kam spät heim, um zehn, manchmal um Mitternacht. Dann wollte er essen, und da das Dienstmädchen schon schlief, war es an Emma, ihn zu bedienen. Er zog den Rock aus, um es beim Essen behaglicher zu haben. Der Reihe nach zählte er alle Leute auf, denen er begegnet, die Dörfer, in denen er gewesen war, die Rezepte, die er geschrieben hatte, und selbstzufrieden aß er den Rest der gezwiebelten Rindfleischschnitten, schabte seinen Käse sauber, knabberte einen Apfel, leerte seine Weinkaraffe und ging dann zu Bett, legte sich auf den Rücken und schnarchte.
Da er geraume Zeit eine baumwollene Nachtmütze getragen hatte, saß ihm sein Seidenschal nicht fest über den Ohren; deswegen hing ihm am Morgen das Haar wirr ins Gesicht, weiß von den Daunen aus seinem Kopfkissen, dessen Schnüre sich während der Nacht gelockert hatten. Stets trug er derbe Stiefel, die in der Knöchelgegend zwei dicke, schräge Falten hatten, während die Schäfte geradlinig verliefen, als stecke ein Holzbein darin. Er pflegte zu sagen, sie seien auf dem Lande gut genug.
In dieser Sparsamkeit wurde er durch seine Mutter bestärkt; denn sie kam wie ehemals zu Besuch, wenn es bei ihr daheim eine etwas heftigere Misshelligkeit gegeben hatte; und dennoch schien die alte Madame Bovary Vorurteile gegen ihre Schwiegertochter zu hegen. Sie fand sie »für ihre Verhältnisse ein bisschen zu großspurig«: mit dem Brennholz, dem Zucker und den Kerzen werde leichtsinnig gewirtschaftet »wie in einem großen Haus«, und die Menge Glut, die in der Küche verbrannte, würde für fünfundzwanzig Mahlzeiten gereicht haben! Sie räumte ihr den Wäscheschrank auf und brachte ihr bei, dass sie dem Metzger auf die Finger sehen müsse, wenn er das Fleisch bringe. Emma ließ diese Lehren über sich ergehen; die alte Madame Bovary ging verschwenderisch damit um; und die den lieben, langen Tag über gewechselten Anreden »liebe Tochter« und »liebe Mutter« wurden von einem leichten Lippenzucken begleitet; denn beide sprachen sie liebenswürdige Worte mit vor Groll bebender Stimme.
Zu Lebzeiten der Madame Dubuc hatte die alte Frau gewusst, dass sie die Bevorzugte sei; jetzt jedoch erschien ihr Charles’ Liebe zu Emma wie ein Abfallen von der Mutterliebe, wie ein feindliches Eindringen in etwas, das ihr gehörte; und sie beobachtete das Glück ihres Sohnes mit traurigem Schweigen, wie ein um Hab und Gut Gekommener abends durch die Fensterscheiben in seinem ehemaligen Haus die Leute tafeln sieht. Sie mahnte ihn mittels Erinnerungen an ihre Mühen und Opfer, und indem sie diese mit den geringen Leistungen Emmas verglich, folgerte sie, dass es unvernünftig sei, Emma auf eine so ausschließliche Weise zu vergöttern.
Charles wusste nicht, was er antworten sollte; er achtete seine Mutter sehr hoch, und er liebte seine Frau unendlich; das Urteil der einen hielt er für unfehlbar, und dabei fand er an der andern nichts auszusetzen. Als die alte Madame Bovary wieder weggefahren war, machte er schüchterne Versuche, eine oder zwei der harmloseren Bemerkungen seiner Mama wortwörtlich anzubringen; doch dann bewies ihm Emma kurz und bündig, dass er sich täusche, und schickte ihn wieder zu seinen Patienten.
Indessen versuchte sie nach Theorien, die ihr gut zu sein schienen, Liebesempfindungen in sich zu erregen. Sie rezitierte bei Mondschein im Garten alle gefühlvollen Gedichte, die sie auswendig wusste, und sang ihm schmachtend schwermütige Lieder vor; aber danach fühlte sie sich genauso ruhig wie zuvor, und Charles wurde dadurch offensichtlich weder verliebter noch gefühlvoller.
Wenn sie dann mit ihrem Herzen ein wenig »Feuer geschlagen« hatte, ohne dass ihm ein Funke entsprungen wäre, und da sie außerdem nicht imstande war, zu verstehen, was sie nicht fühlte, oder an etwas zu glauben, das sich nicht in altgewohnten Formen kundtat, kam sie mühelos zu der Überzeugung, Charles’ Liebe sei nicht mehr über die Maßen stark. Seine Liebesanwandlungen waren regelmäßig geworden; er umarmte sie zu ganz bestimmten Stunden. Es war das eine Gewohnheit unter vielen, und wie ein Nachtisch, von dem man von vornherein weiß, dass er nach der Einförmigkeit des Abendessens kommen muss.
Ein Jagdhüter, den Monsieur von einer Rippenfellentzündung geheilt hatte, hatte Madame ein kleines italienisches Windspiel geschenkt; sie nahm es bei ihren Spaziergängen mit, denn manchmal ging sie aus, um für eine kurze Weile allein zu sein und nicht nur den ewigen Garten oder die staubige Landstraße vor Augen zu haben.
Sie ging bis zum Buchenwald von Banneville, nach dem leerstehenden Gartenhaus, das nach der Feldseite hin die Mauer-ecke bildet. Dort wächst im Wolfsgraben zwischen Gras langes Schilfrohr mit scharfen Blättern.
Sie begann damit, Umschau zu halten, um festzustellen, ob sich seit ihrem letzten Hiersein etwas verändert habe. Alles stand noch am gleichen Platz, der Fingerhut und die wilden Nelken, die Brennnesseln in Büscheln rings um die dicken Steine, und die Flechtenplacken längs der drei Fenster, deren stets geschlossene Läden allmählich hinter den verrosteten Eisenbeschlägen verwitterten. Ihre Gedanken hatten kein Ziel; sie streunten umher wie ihr Windspiel, das in Kreisen im Feld umherlief, nach ein paar gelben Schmetterlingen schnappte, Jagd auf Spitzmäuse machte oder die Mohnblumen am Rand eines Kornfeldes anknabberte. Dann gerieten Emmas Gedanken nach und nach in eine bestimmte Richtung; sie saß im Gras, in dem sie mit der Spitze ihres Sonnenschirms ein bisschen herumstocherte, und fragte sich immer wieder:
»Warum, mein Gott, habe ich geheiratet?«
Sie überlegte, ob es nicht durch irgendeine Zufallsfügung anderer Art möglich gewesen wäre, einem anderen Mann zu begegnen; und sie versuchte, sich auszumalen, wie die nicht eingetretenen Ereignisse, wie dieses andere Leben, wie dieser Gatte, den sie nicht kannte, hätten beschaffen sein müssen. All das hätte nicht im mindesten dem jetzigen geähnelt; das stand fest. Er hätte schön, geistreich, vornehm, verführerisch aussehen müssen, so wie sicherlich die Männer waren, die ihre ehemaligen Klosterkameradinnen geheiratet hatten. Was die jetzt wohl taten? In der Stadt, im Straßenlärm, im Stimmengewirr im Theater und im Literglanz der Bälle führten sie ein Dasein, in dem das Herz weit wird und die Sinne sich entfalten. Ihr Leben jedoch war kalt wie ein Speicher, dessen Luke nach Norden liegt, und die Langeweile, die schweigsame Spinne, wob im Schatten ihr Netz über alle Winkel ihres Herzens. Sie musste an die Tage der Preisverteilung zurückdenken, als sie auf das Podium gestiegen war, um sich ihre kleinen Kränze zu holen. Mit ihrem Zopf, ihrem weißen Kleid und ihren pflaumenblauen, ausgeschnittenen Schuhen hatte sie reizend ausgesehen, und als sie auf ihren Platz zurückgegangen war, hatten die Herren sich zu ihr hingeneigt und ihr Komplimente gemacht; der ganze Klosterhof hatte voll von Kaleschen gestanden, durch den Wagenschlag hindurch hatte man ihr Lebewohl gesagt, und der Musiklehrer war mit seinem Geigenkasten vorübergegangen und hatte sich verbeugt. Wie lange war all das her, wie lange!
Sie rief Djali, nahm sie zwischen die Knie und sagte zu ihr:
»Komm, gib Frauchen Kuss, du hast keine Kümmernisse.«
Als sie dann das melancholische Gesicht des schlanken Tieres betrachtete, das langsam gähnte, wurde sie gerührt, verglich es mit sich selbst und redete ganz laut auf den Hund ein, wie auf einen Betrübten, den man tröstet.
Zuweilen kamen Windstöße, Brisen vom Meer, die mit einem einzigen Schwung über die ganze Hochfläche der Landschaft Caux