Sie schüttelte den Kopf. Das würde nicht funktionieren.
Und was jetzt? War ihre Mission beendet? Würde man sie nun wieder nach Baku schicken, um dort weiterzumachen?
Es half nichts, sie musste zurück zu Rasputin und auf neue Anweisungen warten.
***
Ihn schickt der Himmel!, dachte Sabrina dankbar, als sie Mark hereinbat, um sich die Wohnung im Obergeschoss anzuschauen.
„Du kannst erst einmal die Wohnung besichtigen, ob sie dir gefällt. Ich hätte sonst noch andere anzubieten. – Ich darf doch Du sagen, oder?“
„Ja, klar. – Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mir gefällt. Hauptsache, ein bisschen Ruhe.“
„Du bist Schriftsteller“, stellte Sabrina eher fest, als dass es eine Frage war, nachdem sie einen Blick auf seine Laptop-Tasche geworfen hatte.
Mark zögerte einen winzigen Augenblick: „Wie kommst du darauf?“
„Wenn jemand seinen Laptop ständig bei sich trägt, hat er wohl die Befürchtung, dass seine Aufzeichnungen verloren gehen könnten.“
„Da hast du recht“, entgegnete er grinsend. „Und du bist Detektiv?“
Sabrina lachte. „Wie kommst du darauf?“, wiederholte sie seine Fragestellung.
„Du zeigst dich als gute Beobachterin und bist scharfsinnig.“
„Danke für das Kompliment, aber nein. Mir gehören die Ferienwohnungen, und in der Saison arbeite ich in Bensersiel im Service.“ Sabrina schaute ein wenig verlegen auf den Boden. „Da das geklärt ist, zeige ich dir jetzt die Wohnung. Mir nach!“, forderte sie ihn betont forsch auf.
Sogar der Rottweiler mühte sich die Treppe nach oben.
Scheinbar hat Orko einen Narren an Mark gefressen. Hab ich noch nie bei ihm erlebt. Spontane Liebe, dachte Sabrina. Sie hielt es für ein sehr gutes Zeichen. Orkos Instinkt konnte man rückhaltlos vertrauen.
Die schmale Treppe entsprach der ursprünglichen Bauweise und war noch im Original-Zustand. Bei jedem Schritt knarzte und ächzte sie mal mehr, mal weniger.
Oben öffnete Sabrina die Tür, und ein gemütlich eingerichtetes Zimmer offenbarte sich.
Sie eilte zu den zwei nebeneinanderliegenden Fenstern und öffnete sie.
„Entschuldigung, ich habe heute noch nicht gelüftet. So früh hatte ich mit dir nicht gerechnet.“
Mark lachte. „Hellsehen kannst du also auch“, und trat neben sie. „Schön“, sagte er schlicht, als er hinaussah. Von hier aus konnte man in das Benser Tief schauen, Enten und Teichhühner betrachten und sich, abgesehen von ein paar entfernt liegenden Häusern, bis zum Horizont an der Natur erfreuen. Er öffnete weit das Fenster, lehnte sich hinaus und nun konnte er, wenn er nach rechts sah, sogar Bensersiel erahnen. Mark war begeistert. Soweit das Auge reichte, flaches Land. Herrlich.
Sabrina war inzwischen ins angrenzende Schlafzimmer und Bad geeilt, um dort ebenfalls die Fenster zu öffnen.
Mark folgte ihr und schaute auf ein Doppelbett mit weißlackiertem Rahmen. Der Kleiderschrank, ebenfalls in Weiß, schien aus einer bekannten schwedischen Möbelkette zu stammen.
„Ich komme gleich das Bett beziehen“, erklärte Sabrina.
„Ach, das kann ich auch machen.“
„Alles im Preis inbegriffen“, widersprach sie.
„Okay. Brauchst du Vorkasse?“
„Ganz wie du möchtest“, und dachte: Los! Rück es raus. Doch bloß keine Schwäche zeigen, und darum fügte sie beherzt hinzu: „Ich vertraue dir. Wenn Orko dich liebt, kann ich mich darauf verlassen.“
Mark schaute sich nach dem Hund um, der brav im Türrahmen sitzengeblieben war. Dieser wusste, dass er die Ferienwohnungen nicht betreten durfte.
Als er seinen Namen gehört hatte und sah, dass Mark ihn anschaute, stand er erwartungsvoll auf, und sein ganzes Hinterteil wackelte vor freudiger Erwartung.
„Ist das so, Orko?“, sprach Mark ihn direkt an und Orkos Popo wackelte noch stärker.
„Na komm her, mein Junge.“ Er hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da sprang der Rottweiler ihn auch schon an und schleckte ihm übers Gesicht. Fast wäre Mark hintenübergekippt bei dem unerwarteten Gewicht.
„Erstaunlich, dass er überhaupt so hoch springen kann“, lachte Mark und wehrte ihn freundlich streichelnd ab.
„Ja, er ist schwer. – Orko, aus!“
„Ist schon gut, ich glaube, ich habe mich gerade verliebt.“
„Ich gehe jetzt mal davon aus, dass du Orko meinst“, grinste Sabrina und fühlte sich erstaunlich beschwingt.
„Bis jetzt ist das so“, neckte Mark zurück.
Sabrina schaute ihn an, lachte und merkte dann zu ihrem Entsetzen, dass sie rot anlief.
„Also, ich hole mal eben die Bettwäsche.“ Sie drehte sich rasch um und ging.
„Komm, Orko!“, rief sie im Hinausgehen.
Dieser blieb aber bei Mark und schmiegte seinen Kopf an dessen Hosenbein.
***
„Na, Orko, was machen wir jetzt? – Vielleicht erst einmal auspacken?“ Der Hund legte den Kopf schief und strengte sich an, den Mann zu verstehen.
„Dazu müssen wir aber erst zum Auto, das Gepäck holen.“ Mark streichelte das kurze, seidige Fell, dann stieg er die ersten Stufen hinab.
Gleichzeitig betrat Sabrina am unteren Absatz die Treppe, einen Stapel Bettwäsche vorm Gesicht.
Orko, der Schwierigkeiten hatte, die Stufen abwärts zu laufen, schoss förmlich an Mark vorbei und rutschte mehr, als dass er lief, seiner Herrin entgegen. Als er auf seinem Weg nach unten an ihr vorbeischlidderte, strauchelte diese, woraufhin Mark ihr zu Hilfe eilte.
Fest umschloss seine Hand ihren Arm, wobei die Wäsche durch die Luft wirbelte. Schnell umfasste er mit der anderen Hand ihre Taille, als Sabrina den Halt verlor und von den Stufen abrutschte.
Wie eine Schlenkerpuppe hing sie in seinen Armen.
„Hoppala! Das ist ja gerade noch einmal gut gegangen. – Hast du dir wehgetan?“ Mark half ihr, wieder auf die Füße zu kommen.
„Orko, du verdammte Töle!“, schimpfte sie. „Ja, aua“, jammerte sie gleich darauf, sich das linke Schienbein reibend.
„Willst du lieber nach oben oder nach unten?“ Mark stützte sie fürsorglich.
Sabrina sah sich nach der Wäsche um, die auf dem Boden lag und Orko einrahmte, der ihnen wenig schuldbewusst entgegensah. Vielmehr wirkte er zufrieden. „Endlich mal wieder etwas los“, schienen seine Augen zu sagen.
„Nach unten ergibt wohl mehr Sinn“, bemerkte Sabrina trocken.
„Ich wollte sowieso gerade mein Gepäck aus dem Auto holen. Also nach unten.“
Sabrina löste sich etwas verlegen aus seiner Umarmung. „Danke, es geht schon“, und humpelte hinunter.
Mark blieb hinter ihr, und beide bückten sich gleichzeitig, um die Wäsche aufzuheben. Und wie es in jedem Film zu sehen ist, stießen sie tatsächlich mit ihren Köpfen zusammen.
„Ich hole gleich frische“, beteuerte Sabrina und rieb sich den Kopf, den Zusammenstoß ignorierend.
„Ach was. Ist nicht nötig. Ist doch nichts passiert. – Wo kann ich wohl mein Auto parken?“
„Rechts neben dem Haus ist hinter einer Hecke ein kleiner Parkplatz. Dort kannst du es abstellen oder du fährst um das Haus herum auf den Hof. Ganz wie du möchtest.“