Firma, und die hat womöglich ganz andere Prioritäten als die vorherigen Besitzer*innen. Oder: Ein Weltstar beschließt kurzfristig ein neues Werk zu veröffentlichen. Ein solches Unterfangen bindet womöglich die keineswegs unendlichen finanziellen wie personellen Ressourcen eines Labels. Auch bei einem Major wird da mitunter wirtschaftlich konservativ investiert und der garantierte Verkaufshit eines Stars eine*r Newcomer*in vorgezogen.
Manchmal verlieren auch die zuständigen A&Rs den Job. Das heißt noch lange nicht, dass die Bands oder Sänger*innen, die mit ihrer Hilfe gesignt wurden, ihre Verträge verlieren. Oft heißt es aber, dass sich die Ansprechtpartner*innen ändern. Aber dass die neuen Zuständigen die gleiche Leidenschaft für die Künstler*innen aufbringen wie ihre Vorgänger*innen ist nicht immer der Fall.
Genauso bestimmen Trends das Verhalten von Labels. Boy Bands sind ein großer Erfolg? Signt jede Boy Band, die ihr bekommen könnt. Wenn dann der Hype abflaut, sitzt die Band womöglich dort mit ihrem Vertrag und hat noch nicht mal eine einzige Single veröffentlicht. Da Boy Bands nun aber out sind, wird es auch nicht mehr dazu kommen. So gibt es Gerüchte, dass Labels potentielle »Konkurrenzprodukte« lediglich unter Vertrag genommen haben, um sie vom Markt fernzuhalten. Schließlich könnte ein weiteres Produkt für die gleiche Zielgruppe den Erfolg ihres Zugpferdes schmälern. Ein einziger Justin Bieber verkauft eben mehr Platten als fünf Justin Bieber.
Letztlich ist die Musikindustrie, wie der Name bereits sagt, vor allem eins: eine Industrie. Sie gehorcht den Gesetzen des Marktes und so werden auch bei Labels immer wieder Kosten reduziert, um die Firma rentabel zu halten. Das kann, wie bereits erwähnt, Ansprechpartner*innen oder die Künstler*innen selbst treffen. Wieso sollte wirtschaftlich an jemandem festgehalten werden, der die größten Hits vor zig Jahren lieferte oder womöglich gar ein One-Hit-Wonder ist? Auch in dieser Branche wird mit dem Rotstift gearbeitet. Kunst hin oder her.
Insbesondere weibliche Künstlerinnen sind häufig von diesen Regeln des Marktes betroffen, denn sie müssen hinter ihren männlichen Labelkollegen zurückstecken, wenn sie aufgrund der sexistischen Strukturen des Musikgeschäfts weniger der Verwertungslogik entsprechen. Als klassisches Beispiel wäre die Hip-Hop-Künstlerin THE LADY OF RAGE alias Robin Allen zu nennen. Sie war lange die einzige Frau unter den Männern bei Suge Knights Death Row Label. Rage war nicht nur auf einigen Songs des Dr. Dre Klassikers »The Chronic« zu hören, sondern rappte die ersten Zeilen auf Snoop Doggy Doggs »Doggystyle«. Eigentlich wäre ihr Debütalbum »Eargasm« das nächste geplante Release geworden, doch Death Row setzte auf die Zugkraft von Snoop Dogg und veröffentlichte neben zwei Soundtracks erst mal ein Album von Snoops alter Gruppe Tha Dogg Pound. Immer wieder wurde Rages Album verschoben, da die männlichen Rapper Vorrang hatten. Als Dre Death Row im Streit verließ, war »Eargasm« ebenfalls gestorben, das Album war Dres Vision für Rage, die er immer wieder ins Studio holte, um sie auf diversen Beats rappen zu lassen. Rage hatte auf die Veröffentlichungen wenig Einfluss. Tatsächlich war sie sogar dagegen, dass ihr Hit »Afro Puffs« erschien, da sie wenig begeistert vom G-Funk-Sound war. Sie verortete sich stilistisch eher am Eastcoast-Sound. Als 1997 endlich ihr Debütalbum »Necessary Roughness« erschien, war der Hype um Death Row abgeflacht. Zugpferde wie Dre und Snoop Dogg hatten das Label verlassen und Rage konnte wegen der Streitereien zwischen East- und Westcoast nicht die Produzenten bekommen, die sie gerne gehabt hätte.
Doch manchmal sieht ein Label in Künstler*innen etwas, was noch nicht vollends erblüht ist. Der sprichwörtliche Rohdiamant, der nur noch geschliffen werden muss. So arbeitete Lady Gaga vor ihrem Erfolg mit verschiedenen Produzenten und Labels, bis sie letztendlich zu der Kunstfigur wurde, die wir kennen. Auch Carole King schrieb zunächst Songs für andere Künstler*innen, bevor sie eine eigene Karriere startete. Ähnlich erging es Katy Perry …
(A) KATY PERRY UND FINGERPRINTS: DER STEINIGE AUFSTIEG EINES SUPERSTARS
Dass KATY PERRY mal bei der Vereidigung eines Präsidenten ihren eigenen Song singen würde, hätte sie 2006 bestimmt nie gedacht. Zum dritten Mal wurde sie von einem Label fallengelassen, trug die abgelegten Kleider ihrer Freundinnen auf und betete bei jedem ausgestellten Scheck, dass er gedeckt ist. Vor ihrem großen Durchbruch mit »I Kissed a Girl« und dem dazugehörigen Album »One of the Boys« im Jahr 2008 lag ein steiniger Weg. Bereits sieben Jahre zuvor veröffentlichte Perry mit gerade mal 17 Jahren ihr Debütalbum beim Label Red Hill Records, damals allerdings noch unter ihrem tatsächlichen Namen Katy Hudson. Und auch ihre Musik war extrem anders. Die Tochter eines Pastors spielte ereignislosen christlichen Pop-Rock. Zu ihren damaligen Vorbildern gehörte die Sängerin Amy Grant, eine der ersten Künstler*innen der Contemporary Christian Music, die den Sprung in den Mainstream geschafft hatte. Hudson alias Perry gelang dieser Sprung allerdings nicht. Gerade mal 200 Einheiten ihres Debüts wurden verkauft und machen die CD zu einem gesuchten Sammlerstück. Doch wie wurde aus der erfolglosen Katy Hudson der Megastar Katy Perry? Wie wurde aus dem Mädchen, das einen christlichen Gospel-Rock-Song namens »Faith Won’t Fail« schrieb, die Frau, die darüber sang, andere Mädchen zu küssen?
Zwei nie erschienene Alben, die sie zwischen 2003 und 2007 aufnahm, sind der fehlende Part in dieser Geschichte. Kurz nach ihrer ersten CD beschloss Katy Hudsen, alles auf eine Karte zu setzen und nach Los Angeles zu ziehen, um dort ein Popstar zu werden. Um nicht mehr mit der Schauspielerin Kate Hudson verwechselt zu werden, wählte sie den Geburtsnamen ihrer Mutter als Künstlernamen und wurde zu Katy Perry.
Glen Ballard sollte ihr bei ihrem Plan helfen. Perry sah den Produzenten in einer Doku über »Jagged Little Pill« von Alanis Morissette und war beeindruckt. Tatsächlich konnte sie bei Ballard vorstellig werden und die beiden kamen ins Geschäft. Er half ihr nicht nur, neue Songs zu schreiben, sondern auch ein neues Image zu kreieren. Die beiden weckten damit das Interesse von Island Def Jam, die wiederum das Produzententeam THE MATRIX mit ins Boot holten, die dem Pop-Rock von Perry erstmals einige zeitgemäßere elektronische Elemente hinzufügten. Jedoch hatte Def Jam vorerst kein Interesse, Perry als Solokünstlerin aufzubauen. Viel mehr war Perry jetzt Sängerin einer Band und das fertige Album wäre unter dem Namen The Matrix erschienen.
Ohne Solovertrag arbeitete Perry dennoch weiter an einem eigenen Album und es wirkte so, als würde die Platte 2005 erscheinen. In einem Artikel im Blender-Magazin von 2004 wurde Perry als Next Big Thing vorgestellt und machte im Interview dazu klar, dass sie nichts mehr mit der Kate Hudson von früher zu tun hatte: »Mein Album wird rockiger sein, vermutlich denken meine Eltern, dass ich dafür in die Hölle komme.«
So ganz hatte sich Perry aber noch nicht von ihren christlichen Wurzeln gelöst. Denn mit im Team war mittlerweile der Gitarrist der christlichen Rockband Relient K. Auch Songtitel wie »It’s Okay to Believe« klingen noch recht religiös. Für die christliche Metal-Band P.O.D. steuerte sie zudem Backing-Vocals zu »Goodbye for Now« bei und war auch im dazugehörigen Musikclip zu sehen. Nachdem Def Jam zwei Musikvideos (»Diamonds« und »Long Shot«) produzierte, löste es den Vertrag mit Perry auf. Das Label hatte einfach keine Idee, wie es Perry vermarkten sollte. Dabei stand bereits ein Veröffentlichungsdatum für das vermutlich »(A) Katy Perry« benannte Majordebüt fest, das bereits zu 80 Prozent fertig war.
Perry wurde von ihrem Label fallengelassen und war pleite. Die ganze Zeit über war das alles eine Hängepartie für den angehenden Weltstar. Um an Geld zu kommen, gab sie ihre eigenen Songs nun an andere Künstler*innen. Aus ihrem für ihr eigenes Album aufgenommenen »Hook Up« wurde somit Kelly Clarksons Top-20-Hit »I Do Not Hook Up«, und auch »Long Shot« war ursprünglich ein Song von Katy Perry.
Mit dem nächsten Labeldeal gelang abermals kein Durchbruch. Columbia Records brachte zwar den Song »Simple« auf dem Soundtrack zu dem durchaus erfolgreichen Film »Eine für Vier« (2005) unter, ließ der Künstlerin aber ansonsten wenig freie Hand. Auch hier erschien »(A) Katy Perry«, das im Sommer 2006 veröffentlicht werden sollte, nicht. Immerhin schafften es die Stücke »Box« und »Fingerprints« auf eine Promo-Compilation des Labels, die neue Künstler*innen