Andreas Kagermeier

Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt


Скачать книгу

rückt.

      Gleichzeitig wird bei den Motiven auch deutlich, dass von den Akteuren der Tourismuswirtschaft letztendlich nur ein Rahmen für das UrlaubserlebnisUrlaubserlebnis geschaffen werden kann. Insbesondere die in der Reiseanalyse ausgegliederte Motivkategorie „Familie“, aber auch alle anderen auf soziale Kontakte abzielenden Motive lassen sich ja nicht direkt von den touristischen Leistungsträgern generieren. Die touristischen Leistungsträger entlang der gesamten touristischen Servicekette (vgl. Kap. 3.1) können damit letztendlich nur den Rahmen schaffen, innerhalb dessen dann das konkrete Urlaubserlebnis in Interaktion zwischen den Angeboten und den Reisenden entsteht (vgl. auch Merkmale touristischer Dienstleistungen in Kap. 3.2.1).

      2.2.2 Wertewandel in der Phase der Postmoderne

      Wertewandel Nachdem die lange Zeit relevanten sozio-demographischen Aspekte zur Analyse und Prognose der Reisemuster an Relevanz verloren haben und auch der Blick auf standardisiert erfasste Motive von Reisenden allein keinen ausreichenden Deutungsgehalt für die konkrete Gestaltung von Urlaubsangeboten besitzt, wird in den Tourismuswissenschaften in jüngerer Zeit verstärkt auf soziologische und sozialpsychologische Ansätze zurückgegriffen, die versuchen, den gesellschaftlichen und sozialen Wandel zu fassen.

      Reisen als kulturelle Praxis verstehen bedeutet gleichzeitig auch, dass die gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen in Wechselbeziehungen mit dem konkreten touristischen Handeln stehen. Dementsprechend manifestiert sich der, Ende des 20. Jahrhunderts identifizierte Wechsel von der fordistisch geprägten Moderne hin zur Postmoderne auch im Bereich der Freizeit und des Tourismus. Die PostmodernePostmoderne zeichnet sich durch eine verstärkte Betonung des Diskurses kultureller Praktiken aus (vgl. LANZ 1999, S. 74), wobei Pluralisierung, Fragmentierung und Relationalität zentrale Motive darstellen. Während die Moderne von Metaerzählungen geprägt war, die gesellschaftliche Institutionen, politische Praktiken, Denkweisen und Ideologien legitimierten, geht in der Postmoderne dieser Konsens verloren. Es gibt damit keinen einheitlichen, in sich geschlossenen postmodernen Ansatz, sondern gerade die von Eklektizismus und Individualismus gekennzeichnete Postmoderne zeichnet sich durch eine Montage unterschiedlichster parallel existierender Ansätze aus (genauer bei HARVEY 1989, S 340f. und HELBRECHT 1994, S. 32). Die von HABERMAS (1985) vor dem Hintergrund der Krise des Sozialstaates und der Erschütterung der Sozialutopien des 19. und 20. Jahrhunderts formulierte „Neue Unübersichtlichkeit“ kann als Leitmotiv der Postmoderne angesehen werden. Frühere Ansätze und Leitideen werden teilweise ironisierend als Hommage in Form einer Pastiche aufgenommen und als sich kontinuierlich verändernde Heterotopien (FOUCAULT 2005) verstanden.

      Diese gesellschaftliche Fragmentierung und Aufsplitterung als Folge eines Verlustes an gesamtgesellschaftlichen Konsens und dem Bedeutungsverlust von weltanschaulichen Ideologien (bzw. Sozialutopien) gegen Ende des 20. Jahrhunderts spiegelt sich auch in der Heterogenität und Vielfalt von unterschiedlichen Lebensentwürfen. Mit dem Verlust an klaren Orientierungsrastern und Normen verbunden ist die Herausforderung an das Individuum, seine eigene Identität „Jenseits von Stand und Klasse“ (BECK 1994) zu definieren und den gewagten, risikobehafteten Versuch zu unternehmen, im eigenen Erleben glücklich zu werden.

      Die „protestantische Arbeitsethik“ (WEBER 2004), die in der Phase des Fordismus mit dem Primat der Orientierung auf das Arbeitsleben als zentralem Lebensinhalt einen wichtigen Leitwert darstellt, hat gegen Ende des 20. Jahrhunderts an Prägekraft verloren. Neue, nichtmaterielle Leitwerte prägen die Gesellschaft im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts. Von den verschiedenen Ansätzen der Kategorisierung der gesellschaftlichen Entwicklung und den daraus resultierenden Phasen der touristischen Nachfrageausdifferenzierung ist in Abbildung 22 eine an QUACK (2011) angelehnte dargestellt.

      Abb. 22:

      Entwicklung der gesellschaftlichen Leitwerte (Quelle: eigener Entwurf, Phase 1 bis 4 nach QUACK 2011)

      2.2.3 Flexible und hybride Nachfragemuster

      Mit der Ausdifferenzierung von NachfragemusternNachfragemuster verbunden ist die Tatsache, dass klassische Ansätze des Massenmarketings, die lange Zeit auf den sog. „Otto Normalverbraucher“ setzten, sich mit individualisierten und multioptionalen Konsumenten konfrontiert sehen, dem sog. „Markus Möglich“. Damit kommt der Identifizierung von zumindest partiell die Konsummuster auf einer Aggregatsebene deutenden und für ein differenziertes zielgruppenspezifisches Marketing zugänglich machenden Clustern ein hoher Stellenwert zu. Die Heterogenität der Lebensentwürfe wird dabei in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in den letzten Jahren oftmals mit dem Konzept der Lebensstile (vgl. Kap. 1.2.2.2) zu fassen versucht.

      Viele Ansätze zur Charakterisierung des heutigen Touristen (vgl. z. B. FREYER 2011b, S. 195) gehen auf die fünf, von POON (1993, S. 115) identifizierten folgenden Kategorien zurück:

       Größere Kompetenzgrößere Kompetenz: größere Reiseerfahrung, höheres Qualitätsbewusstsein, höhere Lernfähigkeit, Vielfalt von Interessen

       Neue WertvorstellungenWertvorstellungen und LebensstileLebensstile: vom Besitz zum Genießen, Erlebnisorientierung, hohe Emotionalität, Wunsch nach Authentizität, Gesundheits- und Umweltbewusstsein

       Veränderte sozio-demographische Voraussetzungensozio-demographische Voraussetzungen: flexible Arbeitszeiten, mehr Freizeit, demographischer Wandel, kleinere Haushalte, mehr Singles oder Paare ohne Kinder, neue Konsumentengruppen

       Verändertes KonsumverhaltenKonsumverhalten: hybrider, multioptionaler Konsument, offen für neue Technologien und Vertriebskanäle

       Suche nach IndividualitätIndividualität: Risikoorientierung, Wunsch nach Individualisierung, Bedürfnis nach Wahl- und Handlungsfreiheit, fehlende Markentreue.

      Aus dem Blickwinkel der Postmoderne ist dabei darauf hinzuweisen, dass die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Lebenskonzeptionen inzwischen möglicherweise ein konstituierendes Element der postmodernen Gesellschaften darstellt. Damit bleiben eben auch in postmodern geprägten Gesellschaften Elemente traditioneller Gesellschaften erhalten (wenn auch oft in räumlichen oder gesellschaftlichen Rückzugsräumen). Für den Tourismus bedeutet dies, dass zwar einerseits neue Produkte, wie z. B. Wander- oder Fahrradtourismus nachgefragt werden, die auf eine Aktivierung der Besucher und die Generierung von Flow-Erlebnissen (vgl. Kap. 1.2.2.2) abzielen. Gleichzeitig ist nicht davon auszugehen, dass passivere Urlaubsformen, wie z. B. der klassische Badetourismus verschwinden würden. Abgesehen davon, dass Teile der Bevölkerung nach wie vor klassische fordistische Angebotsformen nachfragen, ist auch zu beobachten, dass gerade der Wechsel zwischen unterschiedlichen Tourismusangeboten auf der Individualebene ein konstituierendes Element der aktuellen touristischen Nachfrage darstellt. Dies bedeutet, dass jemand, der beim letzten Urlaub z. B. einen Wanderurlaub mit einfachen Übernachtungsoptionen unternommen hat, beim nächsten Urlaub eine städtetouristische Destination aufsucht, um dort das Kulturangebot nachzufragen und sich dabei im Hochpreissegment bewegt. Der übernächste Urlaub kann dann einer Trendsportart wie dem Kite-Surfen gewidmet sein, das in einer außereuropäischen Destination praktiziert wird.

      In sehr viel geringerem Maße als früher sind Touristen damit als auf bestimmte Destinationstypen oder bestimmte Urlaubsaktivitäten fixiert anzusprechen. Die Tatsache, dass ein und derselbe Reisende unterschiedliche Urlaubsformen in unterschiedlichen Destinationstypen nachfrägt, wird aktuell oftmals versucht mit dem Begriff „Hybrider TouristHybrider Tourist“ zu fassen.

      Für die Anbieter in den Destinationen bedeuten diese veränderten Nachfragemuster, dass in sehr viel geringerem Maß als in früheren Zeiten treue Wiederholungsbesucher oder Stammkunden die Nachfrage charakterisieren. Dementsprechend hat die Notwendigkeit, durch Marktkommunikationsmaßnahmen auf sich aufmerksam zu machen und sich durch Produktinnovationen im Markt zu positionieren, bzw. von den Mitbewerbern abzuheben, deutlich an Bedeutung gewonnen.

      Im Kontext sich verändernder Nachfragemuster ist auch zu berücksichtigen, dass sich im Zuge des sog. Demographischen WandelsDemographischer Wandel auch die Altersstruktur der Bevölkerung verändert (vgl. Abb. 23).